Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) Felix Gmür (57) spricht sich gegen den Zölibat und für Priesterinnen aus – und gesteht Fehler bei der Missbrauchsaufklärung ein. «Die betroffenen Personen kamen zu wenig zum Zug. Das tut mir sehr leid.»
Zu Beginn seiner Zeit als Bischof habe er am meisten Gewicht auf die rechtlich korrekte Durchführung bei Missbrauchsfällen gelegt, sagte der Basler Bischof im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Die Opferperspektive sei dabei zu kurz gekommen. «Diesbezüglich habe ich mit der Zeit einen Perspektivenwechsel vollzogen.»
Gmür befürwortete eine externe Begleitung der kirchlichen Untersuchung zu den Missbrauchsfällen, wie sie etwa die Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) gefordert hatte. «Bischof Joseph [Bonnemain, 75] hat gesagt, er sei froh, wenn er eine solche Unterstützung erhalte. Und ich finde das ebenfalls super.»
Stellt Zölibatspflicht infrage
Generell müsse die Macht in der Kirche besser verteilt werden, sagte Gmür. «Ich werde mich in Rom dafür starkmachen, dass sich die Kirche dezentralisiert.» Es brauche eine neue Sexualmoral und die Möglichkeit, die Regelungen regional zu treffen.
Die SBK hatte diese Woche beschlossen, ein kirchliches Straf- und Disziplinargericht für die römisch-katholische Kirche in der Schweiz einrichten. Das müsse aber erst noch mit dem Papst besprochen werden, da ein solcher Gerichtshof im Kirchenrecht nicht vorgesehen sei, sagte Gmür. Die kirchenrechtlichen Verfahren seien aber dem staatlichen Recht nachgeordnet, «sie ersetzen also keine weltlichen Strafverfahren».
Zur Aufarbeitung gehöre auch das Hinterfragen der vorherrschenden Zustände. «Der Zölibat besagt: Ich bin verfügbar für Gott. Ich glaube aber, dass dieses Zeichen von der Gesellschaft heute nicht mehr verstanden wird», sagte Gmür. «Die Zeit ist reif, die Zölibatspflicht abzuschaffen. Ich habe überhaupt kein Problem damit, mir verheiratete Priester vorzustellen.»
Unverständliche Unterordnung der Frau
Auch der Ausschluss der Frauen von der Priesterweihe solle fallen. «Die Unterordnung der Frauen in der katholischen Kirche ist für mich unverständlich. Da braucht es Veränderungen», so Gmür. Zudem sei die Kirche beim Konkubinatsverbot für Angestellte «noch nicht dort, wo wir sein müssten».
Die Universität Zürich hatte am 12. September eine Studie veröffentlicht, die von mindestens 1002 Fälle von sexuellem Missbrauch durch katholische Kleriker und Ordensangehörige seit 1950 ausgeht. Nach Ansicht der Forschenden handelt es sich dabei nur um die Spitze des Eisbergs, da die meisten Fälle nicht gemeldet und die Dokumente vernichtet wurden.
Täter fast ausnahmslos Männer
Die Missbräuche wurden laut dem Studienbericht von 510 Personen an 921 Opfern verübt. Knapp 56 Prozent der Opfer waren männlich. Die Täter waren bis auf wenige Ausnahmen Männer. In 74 Prozent der Fälle waren die Opfer minderjährig.
Der Bericht dokumentiert Missbrauchstaten von problematischen Grenzüberschreitungen bis hin zu schwersten, systematischen Vergewaltigungen und Schändungen. Zahlreiche Fälle seien von der katholischen Kirche verschwiegen, vertuscht oder bagatellisiert worden, sagte eine Studienautorin. (SDA)