Bund prüft Gesetz gegen Fake News
Der Kampf gegen die Corona-Verschwörer

Das Internet ist voll von Fake News. Und nicht wenige fallen darauf herein. Jetzt prüft der Bund, ob er eingreifen soll – und ob es ein Schweizer Gesetz gegen Desinformation braucht.
Publiziert: 05.09.2020 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 03.02.2021 um 18:42 Uhr
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40'000 Menschen demonstrierten Ende August in Berlin gegen die angebliche «Corona-Diktatur», darunter viele Rechtsextreme. Viele der Protestler waren angestachelt von Verschwörungsmythen im Netz.
Foto: imago images/Future Image
Fabian Eberhard

Laura* (34) ist Veganerin, für eine Tierschutzorganisation tätig – und voller Zweifel: Wie kann es sein, dass die Corona-In­fektionen zunehmen, die Spitäler aber leer bleiben? Weshalb müssen wir alle trotzdem Masken tragen?

Mediziner haben Erklärungen ­dafür. Zeitungen schreiben da­rüber. Aber Laura hört nicht auf Medi­ziner. Und erst recht liest sie keine Zeitungen mehr. «Ich glaube, dass uns die Politiker gezielt be­lügen», sagt die junge Frau, die ihren richtigen Namen nicht gedruckt sehen will: «Sie brauchen das Virus, um uns zu manipulieren. Und ihr, die Mainstream-Medien, steckt mit ­ihnen unter einer Decke.»

Um zu verstehen, warum Laura so denkt, muss man in jene digitale Welt eintauchen, in der sie sich seit Monaten mehrere Stunden am Tag aufhält. Auf der Videoplattform Youtube, auf Social Media, beim Messengerdienst Telegram ­haben Geschichten über angebliche Eliten und ihre geheimen Machenschaften Hochkonjunktur.

Verunsicherte Menschen als leichte Opfer

Ein Netzwerk von Verschwörungsideologen nutzt die Unsicherheit der Menschen in der Corona-Krise geschickt aus, um abstruse Theorien zu streuen. Immer öfter gehen diese Falschinformationen viral, fressen sich bis in die­ Mitte der Gesellschaft vor.

Und Zweiflerinnen wie Laura? Sie versinken im Strudel der Fake News. Driften ab in eine Online-­Parallel­welt, in welche Fakten kaum noch vordringen, in der die Menschen das Vertrauen in staatliche Institutionen, in die Medien und am Ende in die ­Demokratie verlieren.

Die Mitgliederzahlen solcher Verschwörungsplattformen sind in den letzten Monaten explodiert. So auch die eines aus der Schweiz heraus betriebenen Telegram-­Kanals der rechten Verschwörungssekte QAnon. Anfang März zählte man dort 23'000 Gleichgesinnte, heute sind es 125'000. Der Kanal verbreitet stündlich Fake News zum ­Coronavirus und über angebliche Machtzirkel, die das Blut von Kindern trinken. Das FBI stuft QAnon als Terrorgefahr ein.

Die Hetz-Influencer

Die Pandemie hat eine neue Art von Influencern an die Oberfläche geschwemmt. Digitale Stars, welche die Krankheit leugnen, gegen Vorsichtsmassnahmen hetzen – und damit ein Millionenpublikum erreichen.

Einer dieser Verschwörungsin­fluencer ist der deutsche Russland-Freund mit dem Pseudonym Ken Jebsen. 500'000 Menschen haben seinen Youtube-Kanal abonniert. Wie so viele Verschwörungsideo­logen verbreitet er in seinen Videos antiaufklärerische Propaganda, teils angereichert mit antisemitischen Versatz­stücken.

Die Folge: Auf solchen Kanälen und in solchen Netzwerken treffen Corona-Skeptiker auf Neonazis, die nichts anderes wollen als den Umsturz. Im schlimmsten Fall landen auch Leute wie die Veganerin ­Laura in Gruppen, wo mittlerweile offen dazu aufgerufen wird, sich zu bewaffnen.

Fake News als Bedrohung für die Demokratie

Die meisten beschränken sich auf eine Art Wohnzimmer-Radikalität, die ihren Ausdruck vor allem auf ­Internetplattformen findet. Vor ­ einer Woche allerdings marschierten in Berlin 40'000 Menschen zu einer Grossdemonstration auf: Esoteriker und Verschwörungstheoretiker Seite an Seite mit Tausenden Rechtsextremisten. Es kam zu Angriffen auf Polizisten. Und es bleibt die Frage: Braucht es strengere Regeln für soziale Me­dien und Plattformen wie Youtube?

Die Schweiz setzte bisher auf die Selbstverantwortung der Internetkonzerne. Der Bundesrat räumte zwar schon 2017 ein, dass Fake News die demokratische Meinungsbildung gefährden. Und mehrere Studien kamen zum Schluss, dass Demokratiefeindlichkeit und Verschwörungstheorien zusammenhängen. Dennoch entschied sich die Regierung gegen staat­liche Eingriffe.

Nun aber scheint hinter den Kulissen ein Umdenken stattzufinden. Recherchen zeigen: Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) prüft, ob neue Gesetze gegen Lügen und Hass geschaffen werden sollen. Im Auftrag des Bundesrats soll es zu dieser Frage bis im Frühjahr 2021 ein Bericht erstellen.

Bakom-Sprecher Francis Meier bestätigt: «Der Bericht wird sich mit der Frage befassen, ob aus Schweizer Sicht Regulierungsbedarf besteht und welche Massnahmen sich hierfür eignen würden.» Wie ein Gesetz gegen Desinformation aussehen könnte, dazu sagt das Bakom noch nichts. Meier verweist aber auf eine Vorstudie vom März, mit welcher der Bund ab­klären liess, wie Internetplattformen zu regulieren wären, ohne verfassungsrechtliche Prinzipien wie die Meinungsfreiheit zu verletzen.

Internet-Unternehmen sollen in Pflicht genommen werden

Eine Möglichkeit wäre es, Suchmaschinen und soziale Medien zu zwingen, ihre Algorithmen transparent zu machen – die Mechanismen also, die entscheiden, wann und wo bestimmte Inhalte an­gezeigt werden. Zudem könnten bei Wahlen und Abstimmungen so­genannte Social Bots verboten ­werden. Das sind Computer­programme, die automatisiert Inhalte verbreiten. Nicht zuletzt könnten die Plattformen rechtlich verpflichtet werden, «die politische, ideologische und reli­giöse Neutralität» zu wahren.

In anderen Ländern wurden aus solchen Überlegungen bereits Tatsachen. In Deutschland etwa müssen soziale Netzwerke Hassreden und Fake News löschen. Tun sie es nicht, drohen hohe Geldbussen.

Im Juni hat nun auch die EU-Kommission angekündigt, Internet-Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, gegen Falschinformationen zum Coronavirus vorzugehen.

Die Behörde fordert von sozialen Netzwerken die Herausgabe monatlicher Berichte über das Aufkommen von Verschwörungs­theorien und ihr Vorgehen dagegen. «Desinforma­tion in Zeiten der Coronavirus-Pandemie kann töten», warnte der EU-Aussen­beauftragte Josep Borrell.

* Name geändert

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