Wir sind betroffen und masslos enttäuscht», sagt Beatrice Niedermann (66). Am Samstagmorgen stellte die St. Galler Ladenbesitzerin mit Schrecken fest, dass ihr Geschäft in der Nacht von randalierenden Jugendlichen beschädigt worden war.
Nachdem sich am Freitagabend rund 200 Jugendliche auf dem Roten Platz zu einer illegalen Party versammelt hatten, griff die Polizei durch und räumte den Ort. «Die Stimmung war recht aggressiv», sagt Heidi Widmer (22). Sie hat die Szenen von ihrer Wohnung aus beobachtet. «Die Polizei hat versucht, die Jugendlichen von allen Seiten einzukesseln. Danach ist es ausgeartet.»
Einige der Partygänger bewarfen die Polizei mit Steinen und Stühlen, diese setzte Reizgas und Gummischrot ein. Später wurden auch das Schaufenster von Beatrice Niedermann und ein Polizeiwagen beschädigt, ein Polizist leicht verletzt. Mehrere Personen wurden vorübergehend festgenommen.
Erste Party in dieser Dimension
«Wir hatten in letzter Zeit immer mal wieder Partys in Wohnungen, die wir auflösen mussten», sagt Dionys Widmer, Sprecher der Stadtpolizei St.Gallen. «Aber das war die erste Party in dieser Dimension – und die erste mit solchem Aggressionspotenzial.» Der Grund für die Ausschreitungen dürfte nach Widmer vor allem in der aktuellen Pandemiesituation liegen. «Die Nerven liegen bei vielen blank», sagt er. «Gewalt ist aber trotzdem nicht gerechtfertigt – es gibt Regeln und wir haben als Polizei den Auftrag, diese durchzusetzen.»
Auch in Zürich musste die Polizei in letzter Zeit etwa beim Utoquai oder am Bellevue immer wieder Ansammlungen von jungen Erwachsenen auflösen, und es kam teilweise zu Auseinandersetzungen. «Aus diesem Grund haben wir dort bereits seit einiger Zeit an den Wochenenden die Polizeipräsenz verstärkt», sagt Pascal Siegenthaler, Sprecher der Stadtpolizei.
Polizei sucht den Dialog
Vor einigen Wochen kam es in Winterthur ZH ebenfalls zu Pöbeleien unter Jugendlichen . Aber mittlerweile sei die Polizei an den Wochenenden verstärkt mit Uniformpatrouillen und der Jugendpolizei unterwegs und suche den Dialog, sagt der Sprecher der Stadtpolizei, Michael Wirz. Damit habe man gute Erfahrungen gemacht. «Natürlich tolerieren wir weder Sachbeschädigungen noch Gewalt, aber haben ein gewisses Verständnis dafür, dass sich die Jungen in einer schwierigen Situation befinden.» Zudem seien es nur wenige, die tatsächlich ein grenzüberschreitendes Verhalten zeigen: «Die allermeisten verhalten sich hervorragend und arrangieren sich gut mit der Situation.»
Trotzdem: Je länger die aktuelle Situation andauert, desto grösser ist die Gefahr für Vorfälle wie jenem in St. Gallen. «Das Gewalt- und Aggressionspotenzial wird sich in jenen Bevölkerungsgruppen vergrössern, die besonders stark unter Corona leiden», sagt die Psychotherapeutin Jacqueline Frossard. Umso wichtiger sei es, die Bedürfnisse von jungen Erwachsenen ernst zu nehmen. «Sie leiden ganz besonders unter der jetzigen Situation – wir sollten ihren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie anerkennen und ihnen gegenüber auch Verständnis für ihre Frustration zeigen.»
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