Nichts essen, für ein paar Tage bloss, für meine Gesundheit – das schaffe ich, dachte ich. Vor allem mit einem durchgetakteten Tagesprogramm, viel Bewegung, Ruhephasen und mit einem Grüppchen Gleichgesinnter. So sollte im Lassalle-Haus im Zugerland meine Fastenwoche aussehen. Ich freute mich auf die Abwechslung, war neugierig, was die Null-Diät mit mir anstellen würde. Bis ein E-Mail reinkam: Man müsse absagen. Verfluchtes Covid! Jetzt sitze ich am Küchentisch, studiere einen Fasten-Ratgeber, den Kühlschrank bis auf ein paar vereinsamte Rüebli und Zucchetti leergeräumt. Sieben Tage lang gibts nur klare Gemüsebrühe, Saft und literweise Tee. Und – auch das soll nicht verschwiegen werden – regelmässige Einläufe, damit das Fasten leichter fällt. So der Plan. Klar, zweifle ich kurz. Aber wenn Kaiserpinguin-Väter monatelang allein vor sich hin fasten können, um ihren Nachwuchs auszubrüten, krieg auch ich die sieben Tage hin. Locker.
Erster Tag: Ausgeliefert
Sonntagmorgen, ich fühle mich fit. Die Tage zuvor kamen nur gegartes Gemüse und Vollkornreis auf den Tisch – zum Eingrooven. Das kommt mir jetzt zugute, ich vermisse Kaffee kein bisschen. Überlege mir sogar schon, ein paar Fastentage dranzuhängen. Am Mittag schlürfe ich meine Gemüsebrühe. Am Nachmittag schaue ich mir eine Ami-Schnulze an. Irgendwann sehe ich nur noch die vollen Teller der Filmfiguren. Pommes. Hamburger. Steak. Esse ich sonst selten, jetzt läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich giesse mir ein Glas Biotta-Fruchtsaft ein – das Einzige und Letzte heute. Trinke Schlückchen um Schlückchen, als wärs Champagner.
Ein schlauer Mensch, der Philosoph Martin Heidegger (1889–1976), sagte einmal: «Verzicht nimmt nicht, Verzicht gibt.» Das passt zur heutigen Zeit. Zu unserer Gesellschaft, die wir den grössten Überfluss an Lebensmitteln in der Menscheitsgeschichte erleben. Unsere Kühlschränke sind ständig voll. Covid verschärft das Ganze. Wir kochen Kochbücher rauf und runter, wir völlern, und wir werden krank: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes nehmen seit Jahren zu. Unser Körper macht das nicht mit. Er ist auf andere Bedingungen eingestellt. Auf Hungerzeiten. Früher wurde gegen Ende des Winters das Essen knapp, die Menschen warteten sehnsüchtig auf die erste Ernte. Das war normal.
Ich werde heute schon nach einem Tag ungeduldig. Ich warte auf Essen. Warten macht machtlos. Man fühlt sich ausgeliefert. Fasten bedeutet Kontrollverlust.
Zweiter Tag: Nagender Hunger
Mein altes Ich konnte Tee nicht leiden, langweilig. Jetzt freue ich mich auf die erste Tasse, hauptsache Geschmack im Mund. Wenn der Körper die letzte Mahlzeit und die Zuckerreserve verbraucht hat, fängt er an, Energie aus Fett und Muskeln zu gewinnen. Gleichzeitig produziert er Ketonkörper, die Energielieferanten während des Fastens. In welcher Phase wohl mein Körper gerade stecken mag?
Ich stehe vor den Spiegel, drücke meine Backen zusammen: Sehe ich mager aus? Eingefallen? Alt? Nur das nicht, ich muss raus. Zwei Stunden lang soll ich mich jeden Tag bewegen, sagen Fastenexperten. Auch um meine Muskeln zu erhalten. Ich trete in Funktionskleidung eingewickelt in den Regen – und beginne zu grübeln: Ich, 36, was soll noch kommen? Kinder? Eine Reise durch den Mittleren Westen der USA? Das kostet. Ich gehe mein toxisches Shoppingverhalten der letzten Zeit durch: Zwei American-Vintage-Pullis, zwei hochfunktionelle Joggingleggins, Käseladen-Käse agogo und einige Blumensträusse als Stimmungsboost. Sparpotenzial: etwa 500 Franken. Weniger konsumieren – mein neuer Vorsatz.
Zurück im Warmen, meldet sich der Hunger, zum ersten Mal heute. Ich sehe einen Teller mit Schweinswurst, Rösti und Zwiebelsauce vor mir, greife um ein Haar in die Tüte mit Carameltäfeli. Nein, aufgeben geht jetzt nicht. Mein Mantra in diesen Tagen. Und dann nagt er richtig, dieser Hunger. Warum ist es so schwierig? Bleibt das so? Ich rufe im Lassalle-Haus an und frage Fastenleiterin Noa Zenger.
Sie fühlt mir auf den Zahn: «Haben Sie innerlich Ja zum Fasten gesagt?»
Ich räume ein: «Ich habe Zweifel.»
Sie sagt: «Damit nehmen Sie sich viel von der Fastenerfahrung.» Das Grübeln gehöre zum Reinigungsvorgang. Jetzt kämen Themen hoch, die im Alltag verdrängt würden. Eine Chance. Sie rät: «Versuchen Sie, die Gedanken wahrzunehmen, ohne zu werten. Und versuchen Sie nicht, Ihre Gefühle zu kontrollieren.»
Dritter Tag: Schwäche
Schwach, schwach, schwach, nicht meine Moral, mein Körper! Den Sprung aus dem Bett bereue ich sofort. Ich sehe schwarz, der Kreislauf. Ich schleppe mich zur Haustür raus, die Limmat entlang. Ichsein ist heute richtig mühsam. Das Aussen dringt ungefiltert in mich ein. Lärmt ein Bagger, quietschen Tramgleise, reagiert mein ganzer Körper wie ein Triangel, den man anschlägt. Aber ich nehme auch Schönes verstärkt wahr: das Plätschern des Flusses, den Duft von gemahlenem Korn. Und ich halte inne, beobachte, wie ein Schwan seelenruhig am Ufer nistet. Ich werde ruhiger. Leichter. Fühle mich eins mit meiner Umwelt. Wie auf einem LSD-Trip – ohne verstörende Halluzinationen. Am Nachmittag habe ich sogar Lust auf Kraftübungen. Und aufs Meditieren. Am Abend verzehre ich mich nach Pizza mit Parmaschinken.
Fasten ist als Heilmittel fast schon so alt wie der Mensch selbst. Schon der griechische Philosoph Sokrates wusste: «Mässigkeit erhält, Fasten heilt.» Studien belegen einen Effekt bei Bluthochdruck, rheumatischen Erkrankungen, Reizdarm und Diabetes Typ 2. Oft brauchen Diabetiker nach einer Kur weniger Medikamente, einige kommen sogar wieder ganz weg davon.
Vierter Tag: Miese Laune
Ich bin aber kerngesund, bei mir ist es das Fasten, das mir jetzt auf die Psyche schlägt. Covid macht es nicht einfacher. Seit über einem Jahr sitzen wir im Ungewissen fest. Essen gibt gerade jetzt Trost, Halt, ein Gefühl der Geborgenheit – wie schon das Säugen an der Mutterbrust zeigt. Essen und soziale Beziehungen sind miteinander verknüpft. Essen schafft Gemeinschaft. Ich sage für das Geburi-Fest meines Kumpels – Gattung Foodie – ab. Stattdessen meditiere ich, schweife ständig ab. Greife zum Laptop, klicke mich auf Zalando durch ein Meer von Pullovern und hoffe, dass das meine Laune hebt. Tut es natürlich nicht. Ich versuche es mit einem Spaziergang, treffe einen Freund im Park. Mir fehlen ständig die Worte, mein Hirn ist Matsch – aber seine Gesellschaft tut gut. Und eine fastenerfahrene Freundin schickt ein SMS: «Es wird bald besser. Bald schwebst du.»
Das Fasten-High. Noch stecke ich in der «Healing Crisis», Heilungskrise, wie sie die Fastenmedizin nennt. Irgendwann reduziert der Körper Stresshormone und schüttet Glückshormone aus. Man fühlt sich nur noch gut, ist voller Energie, heisst es. Na los, worauf wartet ihr Hormone noch?
Fünfter Tag: Wut
Nach der zweiten miesen Nacht mit Wadenkrämpfen werde ich mürbe. Und ich rieche komisch. Nach abgestandenem Gemüse? Kompost? Ich bin ein wandelnder Abfallhaufen. Frust, Wut, ein Sammelsurium von negativen Emotionen treibt mich im Stechschritt über meinen gewohnten Spazierweg. Mir fallen Artikel, Bücher und Dokus zum Thema ein, alle beschreiben Fasten als Next-Level-Erleuchtungserfahrung. Das ist gut möglich. Was es aber auch ist: eine Extremsituation. Manchen fällt das Fasten schwerer als anderen. Vielleicht ist es leichter, wenn man in einer Krise steckt. Gesundheitlich und psychisch. Wenn das Fasten einen Bruch im Leben, eine Neuorientierung verheisst. Mir tut es nicht gut. Am Abend beschliesse ich: fertig mit Fasten.
Sechster Tag: Fastenbrechen
Mein erster Löffel mit pürierter Kartoffelsuppe – eine Offenbarung! So gut schmeckt Essen also. Irgendwo im Netz lese ich: «Ein Erstfaster unternimmt so etwas wie eine psychologische Mondlandung.»
Zum Fasten Ferien nehmen.
Mindestens zwei Aufbautage vor dem Fasten: gedämpftes Gemüse und Vollkornreis.
Zwei bis drei Stunden Bewegung pro Tag.
Am ersten Fastenmorgen Glaubersalz oder Sauerkrautsaft zum Abführen trinken. Regelmässige Einläufe werden empfohlen.
Nach den Fastentagen nicht sofort normal essen, drei Aufbautage einhalten.
Nicht fasten sollten Kinder, Menschen mit einer akuten oder schlummernden Anorexieproblematik oder Frauen in der Schwangerschaft bzw. Stillzeit. Vorsicht bei Vorerkrankungen oder wenn Medikamente eingenommen werden. Absprache mit einem Arzt.
Genauso gesund und einfacher einzuhalten: Intervallfasten. Acht Stunden am Tag darf gegessen werden, sechzehn bis achtzehn Stunden wird gefastet.
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