Während der Corona-Sturm erneut über den Erdball fegt, üben die Verantwortlichen in der Schweiz mit Vorliebe das Zuschauen. «Wir beobachten die Situation genau», sagte Gesundheitsminister Alain Berset am 18. November, um wenig später nachzudoppeln: «Wir beobachten die Situation weiter.»
Der Thurgauer Regierungsrat Urs Martin mahnte am Dienstag: «Bund und Kantone sind in der Pflicht, die aktuelle Situation genau zu beobachten.» Martins Zuger Kollege, Gesundheitsdirektor Martin Pfister, beteuerte ebenfalls, «die Situation genau zu beobachten». Da ist er sich mit Rudolf Hauri einig. Der Zuger Kantonsarzt sagt: «Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge.»
Nun aber überstürzen sich die Ereignisse – die Omikron-Mutation hat Europa erreicht, einige Kantone weiten die Maskenpflicht aus, Firmen streichen Weihnachtsessen, für Afrikareisende gilt Quarantänepflicht. Andere Länder gehen weiter: Österreich hat den Lockdown verhängt, ab Februar gilt eine allgemeine Impfpflicht. Grossbritannien schreibt Einreisenden PCR-Test und Quarantäne vor.
Was will die Bevölkerung?
Es sind wichtige, vielleicht die entscheidenden Fragen, die derzeit unbeantwortet bleiben: Was will die Bevölkerung? Findet die Soft-Strategie der Regierung und der Kantone Rückhalt? Oder wollen die Schweizerinnen und Schweizer mehr?
Die repräsentative Umfrage bei 1003 Personen im Auftrag von SonntagsBlick zeigt: Eine Verschärfung des Regimes gegenüber Ungeimpften hätte eine deutliche Mehrheit. 63 Prozent, knapp zwei Drittel wollen die 2G-Regel – also den Status «geimpft» oder «genesen» – als Bedingung für die Teilnahme am öffentlichen Leben eingeführt sehen.
Eine Impfpflicht begrüssen 53 Prozent. Noch deutlicher befürwortet wird eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen: 69 Prozent wollen Pflegerinnen und Pfleger zur Immunisierung zwingen. Gemäss Epidemiengesetz, das die Stimmbürger 2013 angenommen haben, wäre dieser Schritt schon heute möglich.
Alles, nur kein Lockdown!
Chancenlos wäre nur ein Lockdown: 18 Prozent, nicht einmal ein Fünftel, können sich für einen weiteren Stillstand des Landes erwärmen. Ein Lockdown nur für Ungeimpfte, wie ihn Österreich kurzzeitig erprobte, findet ebenfalls keine Mehrheit. Immerhin sprechen sich 47 Prozent der Befragten dafür aus.
Die Stimmung im Volk weicht also von der Linie des Bundesrats und vieler Kantone ab – gleichwohl kann von einer Vertrauenskrise keine Rede sein. Die Frage, ob man das Zuwarten der Landesregierung gutheisst, bejaht mit 50 Prozent die Hälfte der Befragten.
Etwas schlechter sind die Noten für die Stände: 54 Prozent sind unzufrieden mit der Arbeit der Kantone.
Sichtbar werden in der Erhebung auch Gräben, die sich in der Pandemie durchs Land ziehen: In Agglomerationen und Städten wünschen sich 52 Prozent ein härteres Regime des Bundesrats, auf dem Land nur 43 Prozent, knapp zehn Prozent weniger.
Auch zwischen den Geschlechtern gibt es Unterschiede: Die Mehrheit der Frauen, 54 Prozent, verlangt eine Verschärfung der Massnahmen durch den Bund, bei den Männern sind es lediglich 46 Prozent.
Deutschschweizer kritischer
Auch der Röstigraben existiert: 58 Prozent der Deutschschweizer sehen die Arbeit der Kantone kritisch, in der Romandie nur 44 Prozent. Mögliche Erklärung: In der Westschweiz liegen die Inzidenzen tiefer als in vielen Ost- und Zentralschweizer Kantonen. Die Welschen empfinden die Dringlichkeit aufgrund der Lage weniger stark.
Dazu unterscheiden sich die Antworten nach Alter: Für eine generelle Impfpflicht sind 48 Prozent der unter 30-Jährigen, aber 62 Prozent der über 60-Jährigen.
Die Resultate der Meinungsforscher der Firma Link sind brisant – zumal der Druck, auch hierzulande die 2G-Regel einzuführen, täglich steigt. Ungeimpfte, die schon unter der Kostenpflicht für Tests leiden, stünden dann vor der Alternative: Spritze oder soziale Isolation. Ein grosser Teil der Mediziner plädiert dafür, ebenso viele Gesundheitspolitiker.
Sicher ist: Wenn der Bundesrat kommende Woche über weitere Massnahmen berät, steht nicht nur das Verdikt über das Covid-Gesetz im Raum, sondern auch die Mehrheitsmeinung der Bürgerinnen und Bürger, die mit dieser Umfrage nun erstmals bekannt wird.
Eine Lage, die man mit Sicherheit beobachten wird.