Etwa 50 Gramm wiegt der Klumpen, den Archäologe Peter-Andrew Schwarz (61) aus dem Erdloch zieht. Für ungeübte Augen ein Stück Blei, vielleicht eine Plombe? Dabei ist es eine brutale Waffe: Um 15 v. Chr. hatte ein römischer Soldat das Wurfgeschoss genau hier, in den Bündner Alpen, in seine Schleuder gespannt und mit einer Geschwindigkeit von bis zu 130 km/h an einen gegnerischen Kopf geschleudert.
«Auf ihrem Eroberungszug durch die Alpen haben die Römer hier die Suaneten bekämpft – den damaligen Alpenstamm», sagt Schwarz. Ein Kampf, fast 1200 Meter über Meer, der in keiner historischen Quelle überliefert wurde. Doch jetzt entlockt ein Team aus Archäologinnen und Forschern dem Boden die Geheimnisse, die er rund 2037 Jahre lang konserviert hat. Sie beweisen: In der Crap-Ses-Schlucht kam es zum Gefecht. Es ist der bisher einzige nachgewiesene römische Kampfplatz in der Schweiz.
Schwertscheiden und Schuhnägel
Heute ist die Wiese, fünf Autominuten von Savognin GR entfernt, nicht mehr von kämpfenden Römern besetzt. Stattdessen gehen Leute in Leuchtwesten auf und ab. Über ihnen ragt der Piz Toissa wie eine Krone in den Horizont, doch sie haben nur Augen für den Boden. Mit Metalldetektoren suchen sie den Hang nach den Schätzen der Vergangenheit ab.
Überraschend häufig schlagen die Detektoren aus, dann schrillt ein metallenes Piepen durch die Bergluft. «In den meisten Fällen ist es ein Stück Alufolie oder ein Cervelatringli», sagt eine Archäologie-Studentin, die die Fundstücke ausgräbt. Doch hin und wieder ist ein wertvoller Fund darunter: Schwertscheiden, unzählige Schuhnägel römischer Militärsandalen und römische Münzen hat das Team bereits gefunden. Ausserdem Lanzenspitzen, mit denen sich der Alpenstamm verzweifelt gegen die Invasoren aus dem Süden zu wehren versuchte.
Am Samstag, 17. September 2022 findet ein öffentlicher Besuchstag in der Crap-Ses-Schlucht statt. Von 10 bis 15 Uhr werden auf dem Parkplatz Burvagn die neusten Ergebnisse präsentiert. Eine beschränkte Anzahl Parkplätze steht zur Verfügung, die Bushaltestelle Burvagn ist in 15 Minuten zu Fuss erreichbar. Gutes Schuhwerk, Sonnen- und Regenschutz sowie ausreichend Getränke werden empfohlen.
Am Samstag, 17. September 2022 findet ein öffentlicher Besuchstag in der Crap-Ses-Schlucht statt. Von 10 bis 15 Uhr werden auf dem Parkplatz Burvagn die neusten Ergebnisse präsentiert. Eine beschränkte Anzahl Parkplätze steht zur Verfügung, die Bushaltestelle Burvagn ist in 15 Minuten zu Fuss erreichbar. Gutes Schuhwerk, Sonnen- und Regenschutz sowie ausreichend Getränke werden empfohlen.
«Die Fundstücke beweisen, dass die römische Inbesitznahme der Alpen nicht reibungslos abgelaufen ist», sagt Schwarz. Über 60 Kilometer kann der römische Feldzug durch die Bündner Berge nun nachgezeichnet werden. Vom italienischen Como her marschierten drei römische Legionen ins Bergell, überquerten den Septimerpass und bekämpften die Bevölkerung der Crap-Ses-Schlucht. Danach zogen sie weiter, wohl über die Lenzerheide nach Chur und weiter an den Bodensee. Aber dafür fehlen die archäologischen Nachweise.
Mehr als Streitwagen und Togas
Fast fünfhundert Jahre lang war die heutige Schweiz Teil des Römischen Reichs, das sich über drei Kontinente rund um das Mittelmeer und bis nach Grossbritannien ausgebreitet hatte. Bis heute prägt uns «The Roman Way of Life», also die römische Lebensweise, sagt Schwarz: «Viele Ortsnamen haben eine lateinische Wurzel, auch die gesamte Rechtssprechung stützt sich auf die antiken Regeln. Mit den Römern kamen viele Nahrungsmittel wie Walnüsse, Knoblauch, Granatäpfel und die Weinrebe in die Schweiz.» Auch wird nach wie vor in vielen Teilen des Kantons Graubündens romanisch gesprochen.
Seit 2021 untersucht das Forschungsprojekt «Cvmbat» (romanisch für Gefecht) die Crap-Ses-Schlucht. 2019 fand ein ehrenamtlicher Metallsuchgänger dort einen reich verzierten römischen Dolch. Dieser Sensationsfund motivierte den Archäologischen Dienst Graubünden zusammen mit der Vindonissa-Professur der Universität Basel zu dem Forschungsprojekt. Nach Abschluss der auf fünf Jahre angelegten Untersuchungen werden die Fundgegenstände in einer Ausstellung gezeigt.
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