Foto: KEY

Fragwürdige Finanzprodukte à la Credit Suisse
Postfinance macht auf Grossbank

Lieferkettenfinanzierungen – ein Geschäftsmodell, das der Credit Suisse und ihren Kunden Milliardenverluste einbrockte – bietet in ähnlicher Form auch die Postfinance an. Die Staatstochter sucht nach neuen Ertragsfeldern.
Publiziert: 18.04.2021 um 00:51 Uhr
1/8
Für die Credit Suisse endeten die Lieferkettenfonds, die in Zusammenarbeit mit Greensill entstanden waren, im Fiasko. Nun zeigen Recherchen von SonntagsBlick: Auch die Postfinance bietet ihren Firmenkunden Lieferkettenfinanzierungen an, also den Kauf von offenen Debitorenforderungen sowie die Bezahlung von offenen Lieferantenrechnungen.
Foto: Igor Kravarik

Zehn Milliarden Franken hatten Kunden der Credit Suisse (CS) in sogenannte Supply-Chain-Finance-Fonds gesteckt. Entstanden waren diese Lieferkettenfonds in Zusammenarbeit mit dem australischen Banker Lex Greensill(44). Dessen Finanzunternehmen Greensill Capital kaufte Lieferanten auf der ganzen Welt offene Rechnungen ab, wandelte sie in Wertpapiere um und bündelte sie in Fonds.

Vor einigen Wochen kollabierte das aufwendig zusammengezimmerte Finanzkonstrukt: Weil unerwartet viele Schuldner zahlungsunfähig wurden, verloren in den Fonds gebündelte Forderungen ihren Wert. Der Versicherungsschutz erwies sich als nutzlos. Nun muss die CS mühsam die Trümmer zusammensuchen, die der Crash hinterlassen hat. Diese Woche vermeldete die Grossbank, man habe den Fondsanlegern weitere 1,7 Milliarden Dollar ausbezahlt.

Postfinance experimentiert mit neuen Geschäftsmodellen

Insgesamt konnte die CS damit rund die Hälfte der zehn Milliarden Dollar zurückzahlen. Wie viel Geld die Investoren schlussendlich verlieren, bleibt ungewiss. Schon jetzt steht aber fest: Scheinbar fortschrittliche Finanzprodukte führen nicht selten ins Fiasko.

Nun zeigen Recherchen von SonntagsBlick: Auch die Postfinance – eigentlich eher konservativ unterwegs – experimentiert mit neuen Geschäftsmodellen. Die Staatstochter bietet ihren Firmenkunden ebenfalls Lieferkettenfinanzierungen an, also den Kauf von offenen Debitorenforderungen sowie die Bezahlung von offenen Lieferantenrechnungen.

Entstanden sind diese Produkte erst vor wenigen Jahren – und zwar aus der Not heraus. Weil die Erträge im traditionellen Zinsdifferenzgeschäft zunehmend zu wünschen übrig liessen, machte sich Postfinance auf die Suche nach neuen Verdienstmöglichkeiten.

Im Vorwort zum Geschäftsbericht 2017 schrieben Verwaltungsratspräsident Rolf Watter (63) und CEO Hansruedi Köng (55): «Damit Postfinance auch in Zukunft nachhaltig profitabel bleibt, erschliessen wir neue Ertragsfelder.»

Das Ganze sei ein «win-win»

Im gleichen Jahr lancierte das Unternehmen Lieferkettenfinanzierungen, die sie selbst «Working Capital Management» (WCM) nennt. Im Internet bewirbt die Postfinance diese Produkte euphorisch. Angepriesen wird potenziellen Kunden unter anderem die «Generierung zusätzlicher Liquidität» aus Lieferantenrechnungen und Debitorenforderungen, die «stille Abtretung der Forderungen ohne Kenntnis der Debitoren», die «Übernahme des Ausfallrisikos durch die Postfinance» sowie die «Verbesserung der Bilanzkennzahlen» durch die Reduktion der Debitorenforderungen.

Das Ganze sei ein «win-win» für jedes Unternehmen und dessen Lieferanten, so das Versprechen.

Die Risiken, die eine Lieferkettenfinanzierung mit sich bringt, werden nirgends erwähnt. Und auch eine andere wichtige Frage wird ausgeblendet: Soll man sich wirklich wünschen, dass Lieferkettenfinanzierungen in der Schweiz – wie bereits in anderen Ländern – grössere Verbreitung finden?

Keine Vertragspartner ausserhalb der Schweiz

Tatsache ist, dass Geschäftsbeziehungen und Geschäftsberichte durch Lieferkettenfinanzierungen undurchschaubarer werden – was Postfinance sogar als Vorteil dieses Geschäftsmodells anpreist. Kann das wirklich im Sinne der Realwirtschaft sein? Oder doch nur im Interesse der Finanzindustrie? Wenn die Postfinance – oder ein anderes Unternehmen – Lieferketten finanziert, dann will sie daran verdienen. Letztlich wandert also zusätzliches Geld von Industriebetrieben zu Finanzinstituten.

Die Postfinance kann mit dieser Kritik wenig anfangen. Sprecher Johannes Möri hält vor allem fest: «Unser WCM-Angebot kann in keiner Weise mit den Geschäftspraktiken von Greensill verglichen werden.» Im Gegensatz zu dem finanziere die Postfinance zum Beispiel keine Forderungen, die zum Zeitpunkt der Finanzierung noch gar nicht bestehen. Das Ausfallrisiko werde in Form von Kreditversicherungen, Solidarbürgschaften und Bankgarantien voll durch Dritte abgesichert. Die Refinanzierung des WCM-Geschäfts erfolge nicht über Fonds. Und die Postfinance habe in diesem Geschäftsbereich keine Vertragspartner ausserhalb der Schweiz und kenne jeden einzelnen Kunden sehr gut.

«Aus all diesen Gründen ist unser WCM-Geschäft mit keinen besonderen Risiken verbunden», so Postfinance-Sprecher Möri. Das zeige sich unter anderem daran, dass seit Bestehen des Angebots weder bei einem Absicherer ein Schaden angemeldet wurde, geschweige denn ein finanzieller Verlust entstanden sei.

Andere Finanzinstitute lassen Finger von solchen Geschäftsmodellen

Allen Beteuerungen zum Trotz: Ganz wohl scheint der Postfinance beim Thema Lieferkettenfinanzierungen dann doch nicht zu sein. Das Unternehmen betont nämlich: «Unser WCM-Angebot stellt ein Nischenprodukt dar, mit dem wir keinen materiellen Ergebnisbeitrag erzielen – aber auch keinen Verlust.» Das Finanzierungsvolumen sei «im Promillebereich» der Bilanzsumme. «Die Produkte dienen uns zur Vertiefung unserer Geschäftsbeziehungen, und wir können hier für KMU eine alternative Finanzierungsquelle erschliessen und sie so unterstützen.»

Die Finanzmarktaufsicht Finma weiss, dass Postfinance im Bereich der Lieferkettenfinanzierungen tätig ist. Die Behörde hält das Geschäftsfeld an sich für legitim. Es gelte aber, die damit verbundenen Risiken sehr gut zu kennen, zu analysieren und zu minimieren.

Fragwürdig findet die Finma, wie die Postfinance für ihre Lieferkettenfinanzierungen wirbt: «Hinweise im Marketingmaterial, dass auf diese Weise Bilanzkennzahlen optisch besser dargestellt werden können, sind problematisch.» Die Finma nehme solche Fälle typischerweise mit der betroffenen Bank auf.

Andere Schweizer Finanzinstitute, die ein ähnliches Kundensegment bedienen wie die Postfinance, lassen derweil die Finger von solchen Geschäftsmodellen. «Aufgrund fehlender Nachfrage bieten wir keine Lieferkettenfinanzierungen an», lässt ein Sprecher von Raiffeisen ausrichten. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) wiederum begründet ihre Zurückhaltung mit «potenziellen Compliancerisiken», insbesondere im grenzüberschreitenden Geschäft.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?