Forensiker zum Gleis-Killer Habte A.
«Es erinnert schon sehr an ein Amokdelikt»

Auch Tage nach dem Horror von Frankfurt sitzt der Schock tief. Was trieb Habte A. zu einer solchen brutalen Tat? Der forensische Psychologe Jérôme Endrass spricht mit BLICK über die möglichen Gründe.
Publiziert: 01.08.2019 um 01:14 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2019 um 10:54 Uhr
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Rechtspsychologe Jérôme Endrass (48) spricht mit BLICK über die schreckliche Tat von Habte A.*
Foto: zvg
Martin Bruhin

Habte A.* (40) gilt in der Schweiz als Musterbeispiel der Integration. Er fällt durch seine Arbeitsleistungen positiv auf – ist ein regelrechter Musterbüezer. Doch dann verändert sich etwas in seinem Leben. Habte A. wird im Januar 2019 wegen psychischer Probleme krank­geschrieben, muss sich gar in psychiatrische Behandlung begeben.

Wie «Focus» berichtet, litt Habte A. offenbar seit letztem Sommer unter Verfolgungswahn und hörte Stimmen. Schliesslich dreht der Eritreer durch, bedrohte letzte Woche seine Nachbarin mit einem Messer. Am Montag folgte dann die schreckliche Tat in Frankfurt. Dort stiess er einen achtjährigen Buben vor einen fahrenden Zug und tötet ihn damit.

«Schwere psychische Störung»

Warum er es tat, ist bisher unklar. «Das Ganze spricht stark für eine schwere psychische Störung», sagt der forensische Psychologe Jérôme Endrass (48) zu BLICK. Eine solche Störung könne sich zum Beispiel darin äussern, dass man sich verfolgt fühlt oder Stimmen hört. Stimmen die einen auffordern würden, etwas zu tun.

«Dann kann es sein, dass man auf jemanden los geht – zum Beispiel, wenn man das Gefühl hat, sich verteidigen zu müssen.» Doch ein psychisches Problem alleine könne die Tat nicht erklären, sagt Endrass. Dafür sei der Fall zu aussergewöhnlich.

«Es erinnert schon sehr an ein Amokdelikt»

Denn: «Eine solche Form von massiver Gewalt passiert bei Personen über vierzig Jahren nur sehr selten – wenn dann im engeren Familienkreis», sagt Endrass. «Dass einer von Null auf Hundert mit über vierzig Jahren auf Fremde losgeht, ist sehr ungewöhnlich.» So etwas geschehe eher bei jüngeren Personen, sagt er. Noch ungewöhnlicher sei aber, dass es sich bei Habte A. um einen Ersttäter handelt.

«Eine solche zielgerichtete Gewalt mit Absicht auf mehrfache Tötung, erinnert schon sehr an ein Amokdelikt.» So etwas komme selten vor. In ganz Deutschland passiere das höchstens ein bis zwei Mal im Jahr. «In der Schweiz kommt das vielleicht alle fünf bis zehn Jahre einmal vor», so Endrass.

«Absolute Ausnahme»

Falls es doch passiert, gebe es aus seiner Sicht nur zwei mögliche Ursachen: «Bei einer versuchten Mehrfachtötung von Unbekannten hat es meistens mit einer weltanschaulichen Komponente zu tun – so wie etwa bei Terroristen» sagt Endrass. Wie die Kantonspolizei Zürich bei einer Pressekonferenz am Dienstag mitteilte, gab es bisher jedoch keinerlei Hinweise auf eine Radikalisierung oder ein ideologisches Motiv.

Nach jetzigem Wissensstand könne daher eher eine schwere psychische Störung die Tat erklären – zumindest teilweise. Denn: Bei solchen Störungen komme es meist gar nicht zu schweren Gewaltdelikten, sagt Endrass. Zudem würden sich solche psychischen Probleme normalerweise schon in jüngeren Jahren bemerkbar machen. Endrass: «Eine abrupte Verhaltensänderung wie im Fall Habte A. ist die absolute Ausnahme.» 

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