Zum Pech kommt noch die Politik hinzu. Nach einem Sturz vom Baugerüst liegt Christian Bissig im Spital in Zug – das Fussgelenk kaputt, die Bänder gerissen –, da verkündet der Bundesrat am Mittwoch, dass weiteres Ungemach droht.
Mit dem Lockdown gilt neu die Fünf-Personen-Regel. Mehr Leute dürfen bei privaten Veranstaltungen nicht zusammenkommen. Auch draussen sind Gruppen ab sechs Teilnehmern von Montag an verboten.
Schwierige Zeiten für Grossfamilien. Und harte für Papa Bissig. Seine Familie ist zu sechst. Krankenbesuch ist nur seiner Frau Irene erlaubt. Immerhin darf er wohl Mitte nächster Woche heim. Nur, wie soll das gehen? Er ist bettlägerig, und fremde Hilfe, weil das eine siebte Person wäre, ein Regelverstoss.
Als Familie lande man mit der neuen Regel in der Isolation: «Aber mit 30 anderen auf der Baustelle arbeiten ist erlaubt», stöhnt Büezer Bissig. Auf Skipisten und in Gondeln stünden sich die Leute ja auch – völlig legal – auf den Füssen.
Grosses Unverständnis
SonntagsBlick haben Dutzende Zuschriften erreicht, die über die Weisheit der neuen Corona-Regel rätseln. Viele zeigen sich besorgt, manche demonstrieren Galgenhumor, einige sind richtig sauer.
Herausfordernd gestaltet sich die Lage bei Patchwork-Familie Jeker. Vier Kinder und zwei Erwachsene wohnen in Büsserach SO unter einem Dach. Dazu kommen häufig zwei Väter aus früheren Beziehungen. «Wir haben ein gutes Verhältnis, die anderen Papis besuchen uns regelmässig für ein Abendessen», sagt Sven Jeker. Wenn die Kinder für ihr «Papi-Wochenende» abgeholt werden, liege auch mal ein gemeinsames Bier drin.
Familienkonstellationen wie diese dürfte Epidemiologen den Angstschweiss auf die Stirn treiben.
Sven Jeker: «Mit vier Kindern ist es uns gar nicht möglich, die Vorgaben des Bundes einzuhalten.» Man nehme die Lage ernst, aber über manche Vorgabe kann die Familie nur den Kopf schütteln.
Die Tschanzens aus Lyss BE, fünf Personen, steht ebenfalls vor einem Dilemma. Salvina Tschanz betreut als Tagesmutter zusätzliche Kinder. Manchmal sitzen dann sechs, sieben, acht Kinder am Mittagstisch. Und ab Montag arbeitet Jarno Tschanz, eigentlich ein Aussendienster, ebenfalls von zu Hause aus, ziemlich viel Betrieb.
Ist das nun Arbeit oder bereits eine Veranstaltung? Alles nicht so einfach. «Die Tageskinder kommen jedenfalls. Wir rechnen mit ihnen», sagt Jarno Tschanz.
Mit vier Kindern gefangen
Die Alleinerziehende Anoja Toniolo aus Wangen bei Olten SO durchlebt gerade eine schwierige Zeit. Die 5er-Regel macht ihr Leben nicht einfacher: «Ich sitze hier mit vier Kindern und darf niemanden sehen!» Sind die Kinder daheim, dürfe ja nicht einmal eine Freundin vorbeischauen. Toniolo, die bei der Spitex arbeitet und dort auch Covid-Patienten betreut, versteht die allgemeine Lage. Was ihre persönliche aber nicht besser macht.
So geht das weiter. Fünfköpfige Familien ziehen um und fragen sich, wie das ohne Zügelhelfer funktionieren soll. Nannys von Grossfamilien kommen sich vor wie Revoluzzerinnen, weil sie die 5er-Regel unterlaufen.
Zeit für etwas amtliche Klarheit: «Menschen, die im selben Haushalt leben, dürfen natürlich zusammen ausgehen», so das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zu SonntagsBlick. Auch ein Besuch der Spitex oder die Mithilfe von Zügelleuten sei selbstverständlich zulässig, 5er-Regel hin oder her.
Ab da jedoch wird es leider komplizierter ...
Für Tagesmütter gilt laut BAG keine Beschränkung der Personenzahl. Wenn eine von ihnen drei Kinder hat, darf sie drei weitere betreuen, selbst wenn dann sieben Menschen am Mittagstisch sitzen.
Aber: Sobald eine Familie ab und zu einen Nachmittag zu den Kindern von Freunden schaut, ist das eine private Veranstaltung. Und somit auf fünf Leute beschränkt.
Wenn jedoch eine Nachbarin einen Vormittag aushilft, ist das wiederum keine private Veranstaltung. Also ohne Fünfer-Limit.
Keine Polizeikontrollen
Es geht noch verworrener: Ein gemeinsames Essen mit der gleichen Nachbarin wäre, rechtlich gesehen, eine verbotene Veranstaltung. Weil mehr als fünf.
Eben. Alles nicht so einfach.
Oder wie das Bundesamt für Gesundheit gleich selber resümiert: «Bei der Anwendung der Regel muss der gesunde Menschenverstand Vorrang haben.»
BAG-Jurist Mike Schüpbach versuchte diese Woche zu beschwichtigen. Die Verletzung der 5er-Regel könne zwar theoretisch bestraft werden: «Es geht aber nicht darum, dass die Polizei im Privaten Kontrollen durchführt.»
Das hoffen ab Montag jedenfalls ganz viele Familien im Land: Dass der gesunde Menschenverstand zählt.