Sie sind jung, fahren dicke Schlitten: die sogenannten Autoposer. Genau wie das Wort scheint auch das Phänomen neu zu sein. Nur dank lukrativer Leasingverträge kommen junge Erwachsene an die teuren Boliden, hört man immer wieder. Und die Corona-Zeit habe der Szene zusätzlich Auftrieb gegeben. Aber sind Autoposer tatsächlich eine komplett neue Erscheinung?
Cruisen war schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts cool. Die Stuttgarter Hip-Hopper Massive Töne besangen in ihrem Song «Cruisen», worauf es ankam: «Mit boomendem Beat durchs Wohngebiet» und «unser Revier markieren, damit alle kapieren, dass wir existieren!» Das klappte auch ohne Leasing bestens.
Die Geschichte der PS-Protzerei reicht aber noch viel weiter zurück. Sie ist so alt wie das Auto selbst. Um 1900 kamen die ersten Sportwagen auf die Strasse, mit denen man von Stadt zu Stadt brauste. Anders als heute fuhr nur eine kleine Elite mit sehr viel Geld die Luxusmaschinen. Und auch die «Autler» des frühen 20. Jahrhunderts waren schon genauso unbeliebt wie heute.
In den 1950er-Jahren kam das Frisieren auf
Das Reizwort hiess Lärm, unerträglicher Lärm: Von lauten Motoren und Gehupe fühlten sich viele Bewohner kleinerer Orte abgestossen. Kutscher echauffierten sich, wenn ihre Pferde vor dem brummenden Gefährt scheuten, Kinder sprangen aufs Trottoir und hielten sich die Ohren zu, wenn einer der Herren Automobilbesitzer mit Karacho durch die ländliche Idylle raste. Schon damals war es die Lautstärke des Autos, die polarisierte. Für die einen war es Musik, für die anderen Belästigung. Das ist bis heute so geblieben – Stichwort Autotuning.
Ab den 1950ern wurden Autos für die breite Masse erschwinglich und damit zur Spielwiese der Selbstdarstellung. Das «Frisieren» kam auf: Motoren wurden aufgemotzt, bald auch die Ausstattung und das Design. Autobastler schlossen sich in Klubs zusammen und präsentierten ihre Karossen an Tuning-Events mit Zehntausenden Schaulustigen. Sie machten den eigenen Wagen zum Unikat, zur Zweitwohnung, zur Disco auf fahrbarem Untersatz.
Mit den Veloposern fing es an
Die Individualität auf Rädern begann aber ganz leise – und zwar mit dem Velo. In Abgrenzung zum massentauglichen Eisenbahnverkehr protzten Velofahrer im 19. Jahrhundert mit ihrer Unabhängigkeit. Individuell statt schnell, so die Devise. Und die Fussgänger überholten sie allemal.
Doch waren auch Radler Poser? Liebhaber exquisiter Velos sind so alt wie das Zweirad selbst. Auch die Begeisterung für Fixies und Retroräder ist kein neues Phänomen. Doch die einstige Szene der Eingeweihten ist inzwischen zum Spektakel der Massen avanciert. An der Velodemo in Zürich platzierten die Veranstalter einen Catwalk für besonders bemerkenswerte Mannequins mit zwei Rädern. Die Veloposer sind auf dem Vormarsch.
Trotzdem hinken die stillen Poser den lauten heute hinterher: Sie erregen nicht die gleiche negative mediale Aufmerksamkeit. Veloposer stehen in Zeiten der Klimakrise auf der guten Seite, CO2-Poser sind hingegen verpönt. Ausserdem haben die Autoposer noch einen Provokationstrumpf im Handschuhfach: die Schnelligkeit.
Das Potenzial der PS-Boliden ist offenkundig. Ob die Autoposer tatsächlich auf die Tube drücken oder nur gemütlich cruisen, scheint zweitrangig. Denn die Meinungen sind gemacht. Wie der Verkehrspsychologe Urs Gerhard im Interview mit dem Blick erklärte: «Sowohl die Polizei als auch der Normalbürger denkt: aufgemotztes Auto gleich Schnellfahrer.»
Zumindest solange Schweizer mit Migrationsvorsprung im Wagen sitzen, müsste man anfügen. Denn Autoposer, so der Verkehrspsychologe, seien «oft Secondos oder Migranten». Manchmal scheint es fast so, als sei Autoposer das politisch korrekte Update für das Wort Balkanraser.
Die Autoposer von früher hiessen «Herrenfahrer»
Hitzige Debatten über den Rausch der Geschwindigkeit gab es schon im 19. Jahrhundert. Damals waren Chauffeure noch sprichwörtliche «Heizer», die dampfbetriebene Automobile mit Brennholz fütterten. Mit den Benzinern nahm die Raserei dann richtig Fahrt auf. Die grotesk vermummten «Herrenfahrer» der 1920er ergriffen selbst das Steuer. Sie organisierten risikoreiche Rennen, in denen viele von ihnen ihr Leben liessen. Damit hatten die «Herrenfahrer» ihre ersten Märtyrer – und die erste Zutat, um sich als Ritter der Neuzeit zu inszenieren: ehrenhaft, kühn und kaltblütig. Reiche Bürger konnten sich so dem Adel nahe fühlen und Adelige ihre sinkende gesellschaftliche Stellung kompensieren.
Der Widerstand gegen die Autoposer der Goldenen Zwanziger formierte sich postwendend. «Das Auto ist in seinem heutigen Gebrauch ein Ausdruck vollendeter Ruchlosigkeit», schimpfte der Zürcher Theologe und Sozialist Leonhard Ragaz. Besonders resolut waren die Bündner: Seit 1900 herrschte im Kanton ein generelles Autoverbot, das durch mehrere Volksabstimmungen zementiert wurde. Ganze 25 Jahre hatte die sogenannte «chinesische Mauer» Bestand – und hielt «fremde Autoprotzen» aus dem Unterland fern.
Eine andere Mauer errichteten die Autoposer selbst: Sie schufen eine männliche Gemeinschaft, in der Frauen die Fan-Rolle einnahmen. Wichtig sind Frauen für die Autoposer allemal, denn erst durch ihre Anwesenheit greift das Posing. Frauen, die bewundernd auf die schnellen Schlitten und ihre Besitzer blicken, gemeinsam mit den Fahrern auf Parkplätzen oder Tankstellen für Stimmung sorgen und das Autoposer-Dasein versüssen – was klingt wie ein Klischee, ist manchmal eben Realität.
Frauen waren und bleiben die Ausnahme
Die männliche Allianz mit dem Auto hat sozioökonomische Wurzeln. Wer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Auto kaufen wollte, musste einen dicken Stapel Geld auf den Tisch legen. Frauen besassen meist kein grosses Vermögen, es sei denn, sie hatten geerbt. Dementsprechend rasten nur reiche Witwen oder Ehefrauen gutbetuchter Männer – sogenannte «Selbstfahrerinnen» – übers Land. Hertha Herrmann brachte das in der «Allgemeinen Automobil-Zeitung» 1931 auf den Punkt: Immer, wenn sie in ihrem Boliden einen Mann überhole, gäbe er ohne Rücksicht auf Verluste Vollgas. Denn «er will sofort beweisen, dass er sich nicht von einer Frau ‹besiegen› lässt».
Heute haben viele Frauen einen Führerschein. Aber Berichte über die sehr wenigen Autoposerinnen bestätigen, dass sie immer noch eine Ausnahme von der Regel sind. Die PS-Protzerei ist eine Männerdomäne geblieben – vielleicht eine der letzten. Was die Massiven Töne vor fast 20 Jahren rappten, bleibt also vorerst aktuell: «Wir sind die Coolsten, wenn wir cruisen, wenn wir durch die City düsen» und «die Coolsten, wenn die süssen Ladys uns mit Küsschen grüssen.»
Daniel Allemann ist Oberassistent für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance am Historischen Seminar der Universität Luzern. Britta-Marie Schenk ist Assistenzprofessorin für Geschichte der Neuesten Zeit am Historischen Seminar der Universität Luzern
Daniel Allemann ist Oberassistent für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance am Historischen Seminar der Universität Luzern. Britta-Marie Schenk ist Assistenzprofessorin für Geschichte der Neuesten Zeit am Historischen Seminar der Universität Luzern