Die Kirchenorgel in der Luzerner Hofkirche ist gewaltig. Die Bass-Pfeifen sind so dick und lang wie Fabrikkamine, ihre tiefen Töne lassen die Hosenbeine flattern. Niemand hat die über 7000 Pfeifen so gut im Griff wie der ehemalige Hoforganist Wolfgang Sieber (67). Er gewann Kunstpreise und sorgte regelmässig für eine volle Kirche. Er gilt als Star in der Schweizer Orgelszene. Jetzt wurde ausgerechnet er von der katholischen Pfarreileitung mit einem Spielverbot belegt.
Der Paukenschlag kam per eingeschriebenen Brief, der Blick vorliegt. «Ich habe noch immer Schlafstörungen, wenn sich meine Gedanken um das Spielverbot drehen», sagt Wolfgang Sieber. 30 Jahre lang war er Hauptorganist an der Luzerner Hofkirche. Er sammelte Spenden für den Orgelausbau durch ein Echowerk, immerhin gut zwei Millionen Franken kamen zusammen. Er montierte für 50'000 Franken audiophile Aufnahmegeräte, die einen unglaublichen Surround-Sound einfangen konnten.
Die Zuschauer tanzten auf den Kirchenbänken
Sein Engagement kam gut an: 2009 wurde er mit dem Kunst- und Kulturpreis der Stadt Luzern ausgezeichnet, 2014 erhielt er den Goldenen Violinschlüssel, die höchste Auszeichnung der Schweizer Volksmusik. Umso härter trifft ihn das Spielverbot an der schönsten Orgel der Schweiz – auch weil er den konkreten Grund nicht kennt: «Ich kann nur spekulieren. Vielleicht bin ich der jetzigen Kirchenleitung zu unkonventionell.»
In der Kirche erzählt er Blick von seinen vielen Auftritten zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Organist bei Gottesdiensten, darunter die «Orgelgewitter» jeweils am Dienstag über Mittag. «Als Polo Hofer starb, spielte ich seine Hits. Einmal machten wir ein Queens-Special, die Zuhörer tanzten zu ‹We Will Rock You› auf den Bänken», erzählt er. Dann wird er nachdenklich: «Vielleicht stiessen genau diese Auftritte der Kirchenleitung auf.»
Er selber sieht aber auch in solchen Auftritten eine wichtige Funktion für die Kirche: «Wir konnten so die teuren Konzerte mit internationalen Organisten quersubventionieren. Mir war auch immer wichtig, viele Leute in die Kirche zu locken. An den Mittagskonzerten hatten wir regelmässig über 150 Zuhörer und das Helvetische Konzert zum 1. August war meistens ausverkauft.»
Jazz-Improvisation zur Beerdigung
Auch manche Inszenierungen von Gottesdiensten waren aussergewöhnlich, wie er sagt – so etwa 2006 an der Beerdigung von Josi Meier (†80), erste Ständeratspräsidentin und Kämpferin für das Frauenstimmrecht. Er erinnert sich: «Sie sagte mir kurz vor ihrem Tod, dass ich an ihrer Beerdigung das Zusammenspiel kräftig strahlender Knabenstimmen mit der Orgel wirken lassen solle. Und nur Beethovens Dramatik sei akzeptabel, dazu wünschte sie sich die Kraft der Jazz-Improvisation. Ich setzte genau das um.»
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Auch für Hans Koch, den ehemaligen langjährigen KKL-Direktor, inszenierte er in der Hofkirche eine Beerdigungsmusik nach Wunsch. «Er wollte das ‹Phantom of the Opera› und die ‹Rhapsody in Blue› von George Gershwin», erzählt Wolfgang Sieber.
«Es ist ein Kopfentscheid»
An der Hofkirche jedenfalls sind die künstlerisch wertvollen Auftritte Siebers vorbei. Als Grund fügt Pfarrer Ruedi Beck an: «Mit der Wahl des neuen Hoforganisten entschied sich die vielköpfige Wahlkommission für eine neue Ausrichtung der Kirchenmusik.» Er habe im Zusammenhang mit der Amtsübergabe den harten Entscheid des Spielverbots fällen müssen. «Es ist ein Kopfentscheid, nicht ein Herzensentscheid.»
Der Verzicht tut Wolfgang Sieber weh. Seine Medizin gegen den Schmerz: «Am besten vergessen kann ich den Verlust beim Schwimmen im Vierwaldstättersee.» Der Musiker tut dies beinahe täglich, auch im Winter: «Die Weite des Wassers stärkt meine Lebensfreude.»