«Da war nichts. Nur Leere»
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Leiterin der Jugendpsychiatrie:«Familien sind auseinander gefallen»

Einige randalieren, andere kollabieren. So leiden Jugendliche wie Jasmina (17) unter der Pandemie
«Da war nichts. Nur Leere»

Der Frust über die Pandemie kann explodieren wie in St. Gallen. Oder implodieren wie bei all den Jugendlichen in der Psychiatrie Baselland. Hier sind seit Monaten alle Stationen fast doppelt belegt. BLICK war zu Besuch.
Publiziert: 06.04.2021 um 07:24 Uhr
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Aktualisiert: 08.05.2021 um 11:46 Uhr
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Jasmina (17) gehört zu den vielen Jugendlichen, die unter der Corona-Krise leiden.
Foto: STEFAN BOHRER
Sven Ziegler

Ruhig sitzt Jasmina* (17) in einem Zimmer in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland in Liestal. Als BLICK die Einrichtung besucht, will sie erzählen. Weshalb sie hier ist. Weshalb sie ihre angestauten Probleme nicht mehr selbst verarbeiten konnte. Wie sie in eine tiefe Krise stürzte – wie so viele in ihrem Alter in diesen Zeiten.

Während der Frust der Jugend am Wochenende in St. Gallen explodierte und in Krawallen endete, begann Jasminas Krise schon lange vor dem ersten Corona-Fall. Ihre Eltern trennen sich, in der Schule wird sie gemobbt. Als im vergangenen Frühling der Lockdown dazukommt, stürzt Jasmina ab. «Mir ging es miserabel. Von einem Moment auf den anderen hatte ich nichts mehr.» Ihren Hobbys kann sie nicht mehr nachgehen, ganze Tage ziehen vorbei, in denen sie nur im Bett liegt. Keine Motivation. Nichts. Tiefe, dunkle Leere.

Familien sind weniger Halt

Jasmina ist nicht alleine. «Unsere Stationen sind praktisch alle doppelt belegt», sagt Brigitte Contin, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, zu BLICK. Wo normalerweise rund 20 Kinder platziert sind, müssen derzeit fast 40 Jugendliche und Kinder betreut werden. Die Klinik führt Wartelisten. «Derzeit warten etwa 15 Personen auf einen Platz bei uns. Die Wartezeit beträgt mehrere Wochen», sagt Contin.

Der Fall von Jasmina ist für Contin derzeit alltäglich. «Der Anstieg ist massiv.» Die Corona-Krise sei zwar nicht unbedingt Auslöser für die psychischen Probleme, allerdings ein starker Katalysator: «Familien können noch weniger helfen, weil sie durch die Krise belastet sind. Kurzarbeit, Jobverlust oder der Verlust des sozialen Umfelds beschäftigen auch die Eltern.» In der ganzen Schweiz explodiert die Nachfrage nach psychiatrischen Angeboten.

Auf der Flucht vor sich selbst

Zwar hatte Jasmina schon vor der Pandemie beschlossen, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch es reichte zeitlich nicht mehr. Der Lockdown kam. Statt auf offene Ohren stösst Jasmina auf verschlossene Türen. Sie taucht ab, in den sozialen Medien verbringt sie Stunden. Tage. Alleine und abgeschottet. Immer im Glauben, verbunden zu sein. «Ich war ständig auf der Flucht vor mir selbst.»

Als der Lockdown zu Ende ist, sucht Jasmina Hilfe. Doch sie ist nicht alleine. Tausende Menschen strömen zu Psychologen, viele sind überlastet. Endlich, «nach einer gefühlten Ewigkeit», sagt sie, findet sie Hilfe.

Klare Strukturen helfen auf dem Rückweg

Die Psychologin merkt: Jasmina braucht mehr als nur ein Gespräch. Die Gymnasiastin wird in die Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen. Wartet erneut. Die Aussicht auf einen Aufenthalt in Liestal ist ihre letzte Hoffnung. Sechs Wochen wartet sie, dann erhält sie einen Anruf. Ein Schimmer inmitten von Dunkelheit.

In der Klinik erhält die 17-Jährige eine feste Tagesstruktur, muss abends ihr Handy abgeben. «Viele Jugendliche haben sich zuvor nächtelang in den sozialen Medien oder mit Netflix abgelenkt. Hier sollen sie in den normalen Tagesrhythmus zurückkehren», erzählt Leiterin Brigitte Contin. Das Ziel: Licht in die Dunkelheit zu bringen. Schritt für Schritt zurück in den Alltag.

Das Licht kehrt zurück

Contin begleitet die Kinder mit. Seit November hat sie allerdings immer weniger Zeit. Zu viele Anfragen, zu wenige Plätze. Zwei zusätzliche Psychologen hat sie eingestellt – nicht genug. «Wir sind unter enormen Druck geraten. Für jeden austretenden Patienten kommen zwei neue nach.» Ein Ende ist nicht in Sicht. «Corona wird uns psychologisch noch sehr lange beschäftigen», ist Contin überzeugt.

Jasmina gelingt die Kehrtwende. Nach einigen Wochen darf sie wieder Teilzeit in die Schule. Mittlerweile, fünf Monate nach ihrem Eintritt, hat Jasmina den tiefsten Teil des Grabens überwunden. Noch diesen Monat soll sie austreten dürfen. «Ich fühle mich bereit», sagt sie.

Dann steht sie auf, dreht sich noch einmal um. Sie will noch etwas loswerden. «Hilfe zu finden, ist momentan extrem schwierig», sagt Jasmina bestimmt. «Versteckt euch nicht, wenn es euch nicht gut geht. Zeigt eure Ängste, euer Unwohlsein», sagt sie. Corona sei «ein Scheiss». Aber: «Schämt euch nicht, Hilfe zu suchen.»

Das Licht in Jasmina, es weicht in diesem Moment einem hellen, lodernden Feuer.

* Name geändert

Hier findest du Hilfe

Die Dargebotene Hand:

Anonyme Beratung unter Einhaltung der Schweigepflicht.

Per Telefon 143 und Online www.143.ch.

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