Sie werden in der Schweiz geboren, gehen hier zur Schule, machen hier eine Lehre oder arbeiten seit Jahrzehnten hier. Sie sind mit Schweizerinnen und Schweizern verheiratet oder liiert, schiessen für den Dorf-Fussballverein Tore. Und trotzdem gehören sie nicht ganz dazu. Politisch sind sie nicht existent. Weil sie Migrantinnen und Migranten sind. Ausländer.
Über zwei Millionen Menschen in der Schweiz geht es so. Obwohl die Hälfte davon alle formalen Kriterien für eine Einbürgerung erfüllt. Warum ist das so?
Die Schweiz gehört international zum Klub der Restriktiven. Das zeigt eine Studie von 2017, an der die ETH und die Uni Zürich beteiligt waren. Wegen der langen Dauer, der zehn Jahre, die jemand vor der Gesuchstellung hier leben muss. Und wegen des Prinzips «Ius sanguinis» – nur wenn die Eltern aus der Schweiz stammen, erhält man automatisch das Bürgerrecht. Liberalere Länder wie Frankreich oder die USA folgen dem «Ius soli»-Prinzip: Bei Geburt erhält man automatisch das Bürgerrecht.
Die Schweiz gehört international zum Klub der Restriktiven. Das zeigt eine Studie von 2017, an der die ETH und die Uni Zürich beteiligt waren. Wegen der langen Dauer, der zehn Jahre, die jemand vor der Gesuchstellung hier leben muss. Und wegen des Prinzips «Ius sanguinis» – nur wenn die Eltern aus der Schweiz stammen, erhält man automatisch das Bürgerrecht. Liberalere Länder wie Frankreich oder die USA folgen dem «Ius soli»-Prinzip: Bei Geburt erhält man automatisch das Bürgerrecht.
Walter Leimgruber hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt. Er ist Präsident der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM), die den Bundesrat und die Verwaltung in Fragen der Migration berät. Walter Leimgruber gehört zu keiner Partei, ist unabhängig. Dieser Mann sagt: «In der Schweiz macht man es den Ausländern sehr schwer, sich einbürgern zu lassen. Unser Gesetz ist auf Abwehr ausgerichtet.» Auch weil dieses Gesetz den Gemeinden viel Spielraum lässt. Sie bestimmen, wer Schweizerin und Schweizer werden darf.
Kampf für den roten Pass
Andi (25), Sonia Casadei (48) und Anja Kilian (55) mussten deshalb hart kämpfen. Sie sind Teil des Schwyzer Projekts «Einbürgerungsgeschichten.ch», das heute startet.
Andi, der 1995 aus dem Kosovo in die Schweiz zog, kam erst nach vier Gesuchen und mithilfe einer Anwältin zum Pass. Die Kosten: zehn Jahre seines Lebens und 12'000 Franken.
Sonia Casadei, in der Schweiz geboren, musste mit ihrer Familie bis vors Bundesgericht ziehen, weil die Einbürgerungskommission gravierende Fehler machte. Die Kosten: fünfeinhalb Jahre und 11'000 Franken.
Anja Kilian, die 1987 aus Deutschland in die Schweiz kam, versuchte es zwei Mal, bis heute vergeblich. Die Kosten: 5700 Franken.
Ihre Erfahrungen und jene von weiteren haben die Initianten von «Einbügerungsgeschichten.ch» gesammelt und online geschaltet. Ein Projekt aus der Zivilgesellschaft. Mitinitiant Elias Studer sagt: «Es ist ein grosses Demokratiedefizit, dass bei uns so viele unserer Mitmenschen vom Stimmrecht ausgeschlossen sind.» Viele hätten Vorurteile gegenüber Migrantinnen und Migranten, sähen diese als Straftäter oder Sozialhilfebetrüger. Das Projekt soll zeigen: «Diese Menschen sind deine Nachbarn, deine Mitschüler, deine Arbeitskollegen. Sie sind wie du und ich.»
Den Initianten gehts vor allem um eines: bessere Chancen für Einbürgerungswillige im Kanton Schwyz. Dafür lancieren sie nun eine Petition. Die Bergkantone Schwyz, Nidwalden und Obwalden weisen die tiefsten Einbürgerungsquoten (die Anzahl der Einbürgerungen geteilt durch die Anzahl Ausländer) auf. Dort sind sie dreieinhalb- bis viermal tiefer als in den Kantonen Zürich und Genf. Das zeigt das vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Projekt «NCCR – On the Move».
Einbürgerungsprozedere sind willkürlich
Die Unterschiede sind gross. Weil es in der Schweiz keine einheitlichen Integrationskriterien gibt, dafür viel Willkür. Was integriert bedeutet, variiert von Dorf zu Dorf. In Arth SZ muss man wissen, was der Gnipen ist, in Freienbach SZ, wie die Dorfschulen alle heissen. Und in Neerach ZH muss man als Deutscher auf der Strasse nett grüssen, wie der «Tages-Anzeiger» kürzlich schrieb.
Sonia Casadeis Mann zog deshalb bis vors Bundesgericht – und gewann 2019. Das Urteil ist wegweisend: Künftig muss eine Gemeinde in der Integrationsfrage eine Gesamtbeurteilung vornehmen, kann jemandes Gesuch nicht nur wegen ein paar falscher Antworten beim Einbürgerungstest ablehnen.
Das Problem bleibt aber. «Viele vor allem kleine Gemeinden bürgern kaum je jemanden ein», sagt EKM-Präsident Walter Leimgruber. Oft würden sie den Antragstellern raten, das Gesuch zurückzuziehen, weil es angeblich keine Chance habe, Andi hat das erlebt. Andere plagen die Einbürgerungswilligen laut verschiedenen Rechtsanwälten weiterhin mit kniffligen Fragen und kommen damit durch – weil die Kandidaten oft die Kraft und das Geld für ein Gerichtsverfahren nicht haben.
Migrationskommission sieht Reformbedarf
Für Leimgruber steht fest: «Das Schweizer System verletzt die Rechtsgleichheit.» Er sieht Reformbedarf. Es brauche einheitliche, transparente Verfahren mit klaren Kriterien, die innerhalb einer festgelegten Zeit abgewickelt würden. Und nur der Kanton, nicht mehr die Gemeinden, solle zuständig sein.
Wie die Chancen dafür stehen, wird sich zeigen. Demnächst befasst sich der Ständerat mit zwei Motionen zum Thema. SP-Ständerat Paul Rechsteiner fordert die Einführung des sogenannten «Ius soli» – dass alle Kinder, die hier geboren werden, automatisch das Bürgerrecht erhalten. Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone geht mit der erleichterten Einbürgerung für die zweite Generation weniger weit.
Heute gehört die Schweizer Einbürgerungspraxis zu den restriktivsten (siehe Kasten). Damit tun wir uns keinen Gefallen. Das zeigt eine internationale Studie, an der Dominik Hangartner, Politikwissenschaftsprofessor der ETH, beteiligt war. Er sagt: «Die Einbürgerung wirkt wie ein Katalysator für die Integration.» Eingebürgerte sind besser über das politische Geschehen informiert, und ihr Einkommen steigt in den Jahren danach um 13 Prozent – vor allem bei Geringverdienern. Das tut auch den Gemeindekassen gut.
Sollten die beiden Motionen scheitern, sagt Ständerat Rechsteiner, «muss eine Bewegung aus der Gesellschaft heraus entstehen». Eine Volksinitiative zum Beispiel. Oder Initiativen wie im Kanton Schwyz.
Der Arther Gemeindepräsident Ruedi Beeler hält fest: «Die verschiedenen Integrationskriterien werden gegeneinander abgewogen, sodass gewisse Mängel in einem Bereich durch gegebenenfalls vorhandene Stärken in einem anderen Bereich kompensiert werden können.» 2020 stellten Einbürgerungswillige in Arth 50 Gesuche, abgelehnt habe man keines. Und Daniel Landolt, sein Amtskollege in Freienbach, sagt: «Eine Bewerberin wird nie nur deshalb nicht eingebürgert, weil sie eine einzelne Antwort nicht kennt.»
Der Arther Gemeindepräsident Ruedi Beeler hält fest: «Die verschiedenen Integrationskriterien werden gegeneinander abgewogen, sodass gewisse Mängel in einem Bereich durch gegebenenfalls vorhandene Stärken in einem anderen Bereich kompensiert werden können.» 2020 stellten Einbürgerungswillige in Arth 50 Gesuche, abgelehnt habe man keines. Und Daniel Landolt, sein Amtskollege in Freienbach, sagt: «Eine Bewerberin wird nie nur deshalb nicht eingebürgert, weil sie eine einzelne Antwort nicht kennt.»
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