Die «Unorthodox»-Autorin Deborah Feldman über Schattenseiten ihres Erfolgs
«Man machte aus mir das arme jüdische Opfer»

Die jüdische Schriftstellerin Deborah Feldman wurde mit ihrem Buch «Unorthodox» berühmt. Vor kurzem versetzte sie halb Deutschland in Aufruhr. Anlass war ein heikles Thema: Nahost. Ein Treffen in Zürich.
Publiziert: 30.03.2024 um 01:36 Uhr
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Aktualisiert: 30.03.2024 um 09:50 Uhr
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Deborah Feldman schaffte 2012 mit ihrem autobiografischen Roman «Unorthodox» den Durchbruch als Schriftstellerin.
Foto: Thomas Meier
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Mit ihrem Buch «Unorthodox» über die Flucht aus einer ultraorthodoxen chassidischen Sekte in New York wurde Deborah Feldman (38) zum Star. Seit über zehn Jahren lebt sie mit ihrem Sohn in Berlin. In den letzten Monaten ist sie wieder eine gefragte Frau in Talkshows, diesmal ist das Thema heikler: Krieg in Israel. Wir haben sie vor ein paar Tagen anlässlich eines Auftritts in Zürich zum Gespräch getroffen.

Das Christentum feiert Ostern als Neuanfang. Sie haben viele Neuanfänge hinter sich: Als sie aus der Gemeinschaft in New York ausstiegen, in Berlin neu begannen, als Schriftstellerin. Welche Erfahrung haben Sie damit gemacht?
Deborah Feldman: Die Neuanfänge haben mich etwas Wichtiges gelehrt: Wir können uns als Menschen und als Gesellschaft verändern. Dass das Jetzt so anders ist als das Davor, zeigt doch genau, dass die Zukunft wieder ganz anders aussehen kann. Auch Frieden kann es geben. Das gibt mir Hoffnung.

Deborah Feldman

Deborah Feldman (37) wuchs total abgeschottet in einer ultraorthodoxen jüdischen Familie in New York auf. Mit 17 Jahren wurde sie mit einem jungen Mann verheiratet, den sie kaum kannte. Als ihr Sohn drei Jahre alt war, brach sie aus der Gemeinschaft aus. Heute lebt sie als Schriftstellerin ein selbstbestimmtes Leben in Berlin. Ihre Arbeit als Autorin und Essayistin wird weltweit beachtet und diskutiert.

Deborah Feldman (37) wuchs total abgeschottet in einer ultraorthodoxen jüdischen Familie in New York auf. Mit 17 Jahren wurde sie mit einem jungen Mann verheiratet, den sie kaum kannte. Als ihr Sohn drei Jahre alt war, brach sie aus der Gemeinschaft aus. Heute lebt sie als Schriftstellerin ein selbstbestimmtes Leben in Berlin. Ihre Arbeit als Autorin und Essayistin wird weltweit beachtet und diskutiert.

Hatten Sie eine Vorstellung von der Zukunft, als Sie mit Anfang zwanzig Ihren kleinen Sohn nahmen und die Gemeinde verliessen?
Ich habe mir ein Leben ausserhalb meiner Gemeinde vorgestellt, auch eines als Schriftstellerin. Was ich mir nicht vorstellen konnte, war der Erfolg meines Buches. Niemand glaubte, dass so ein Buch, das sich mit einer unbekannten jüdischen Gemeinschaft auseinandersetzt, so einen Erfolg haben kann. Und dass es mit «Unorthodox» zur erfolgreichsten Serie in der Geschichte von Netflix wird.

In Ihrem neuesten Buch «Judenfetisch» kritisieren Sie die jüdische Gemeinschaft in Deutschland…
…Ich habe vor allem die Community der Kostümjuden kritisiert. Diesen Trend der als Juden verkleideten Deutschen, die den Juden das Judentum erklären.

Halb Deutschland verfiel in Schnappatmung!
In Deutschland gibt es überhaupt eine zirkusartige Hysterie. Da weiss man nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Können Sie gar nicht nachvollziehen, warum das Buch manche verletzt hat?
Doch. Das bestätigt mir aber, dass ich genau richtig liege. Ich breche in Deutschland alte Muster auf. Am Anfang gibt es immer einen Gegenwind. Ich kenne das schon von der Publikation von «Unorthodox» in Amerika. Aber das ist ein wichtiger Schritt, damit sich etwas ändert.

Was soll sich ändern?
Wir Juden dürfen nicht als Gemeinde mit vielen verschiedenen Haltungen existieren. Juden dürfen nur eine einzige Haltung haben. Wenn die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sich für einen Waffenstillstand in Israel ausspricht, ist das okay, weil sie nicht jüdisch ist. Wenn ich als jüdische Person das tue oder wenn ich Israel kritisiere, verletze ich das öffentliche Bild des Judentums und man spricht mir meine Glaubwürdigkeit ab.

Warum nahmen Sie den ganzen Ärger in Kauf?
Mit dem Buch wollte ich mich befreien. Ich wollte nicht mehr diese Person sein, die von allen geliebt wird. Ich wusste, dass diese Liebe, die man mir nach «Unorthodox» entgegenbrachte, nur eine Projektion war. Diese Liebe war toxisch.

Diese Liebe brachte Ihnen auch Erfolg.
Doch zu welchem Preis? Man machte aus mir das arme jüdische Opfer. Ich war das arme Enkelkind von Holocaust-Überlebenden, das dieser bösen religiösen Gemeinde entkommen war und das die Deutschen grosszügigerweise bei sich aufnahmen. Ich war ihr Maskottchen. Und auch ein Beweis für alles, was man in Deutschland über das Judentum glaubt.

Was stört Sie daran?
Der Blick auf das Judentum ist höchst romantisierend. Wann immer Artikel über Juden erscheinen, zeigt man uralte Bilder aus dem Schtetl in Osteuropa. Das hat nichts mit der heutigen Realität zu tun. Aber diese Bilder sind symbolkräftig. Und das war eben auch meine Geschichte.

In der Schweiz hat all das weniger Wellen geworfen. Wird bei uns anders über das Judentum diskutiert als in Deutschland?
Absolut. Wenn ich in der Schweiz bin, atme ich aus. Ich bin ich ganz entspannt, weil die Schweizer ganz entspannt sind. Hier kann man ruhig diskutieren. Hier hat die jüdische Gemeinschaft auch nicht gleich das Gefühl, dass sie wegen meiner Aussagen alles verlieren.

Der Schwall an antisemitischen Übergriffen seit dem Hamas-Angriff im Oktober und der Terror-Angriff jüngst hat die Juden in der Schweiz erschüttert. Sie sind ängstlicher geworden.
Aus gutem Grund. Das absolut Traurigste an dem Ganzen ist, dass vor allem die ultraorthodoxen Juden dafür angegriffen werden, was Israel politisch tut. Obwohl sie gar nichts mit dem israelischen Staat zu tun haben. Nur, weil sie so aussehen wie die Verkörperung des Judentums. Das ist sowas von antisemitisch. Die Leute verwechseln das Judentum mit Israel. Genau so, wie es Israel beabsichtigt.

Wie meinen Sie das?
Israel schickt ständig die Botschaft in die Welt: Wir allein stehen für das Judentum, wir haben den Alleinvertretungsanspruch für das Judentum. Der Staat schafft es, jegliche Kritik an seinem politischen Handeln in ein antisemitisches Licht zu rücken. Man will damit alle Kritik ersticken.

Erleben Sie selbst mehr antisemitische Angriffe?
Nein. Ich bin nicht als jüdisch erkennbar. Ich erlebe viel Solidarität. Aber es gibt natürlich auch das Gegenteil. Vor meinem Auftritt hier in Zürich hat mir über die sozialen Medien ein Mann gedroht: Ich müsse aufpassen, er würde im Saal anwesend sein.

Haben Sie Angst?
Nein. Menschen, die mir schaden wollen, kündigen sich nicht an. Ich finde es mehr bezeichnend. Der Mann verbreitet Nazi-Ansichten im Netz und hat eine Israel-Flagge im Profilbild. Das ist die neue Realität. Rechtsradikale, wie auch die AfD, geben sich nun als Judenfreunde aus und greifen dann Juden an. Das erleben wir in ganz Europa.

Hat Sie der Hamas-Angriff dem Jüdischsein eher nähergebracht oder im Gegenteil: davon weggetrieben?
In den letzten Monaten bin ich meinem Jüdischsein sehr viel näher gekommen. Aber auch den Friedensaktivisten, weltoffenen Israelis und Palästinensern. Am 7. Oktober wurde auch ein Wir angegriffen.

Sie meinen als Gemeinschaft?
Ich meine Frieden, Menschenrechte, Humanismus – alles, wofür ich immer gekämpft habe und weiter kämpfen werde. Deshalb gehe ich an die Öffentlichkeit. Ich glaube an einen Frieden.

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