Vom viralen Tiktok-Trend zum Feindbild – diese Wortschöpfung hat eine Blitz-Karriere hinter sich: Talahon. Gemeint sind vorwiegend Jugendliche mit arabischem Hintergrund. Sie tragen trotz anrasierten Köpfen Gucci-Caps und Nike-Schuhe, gerne auch gefälscht – und fast obligatorisch: eine Bauchtasche. Der Begriff ist aus dem arabischen «Ta' Lahon» abgeleitet, was «komm her» bedeutet. Und hier liegt auch schon das Problem:
Ein echter Talahon ist immer auf Konfrontation aus, schon per Definition. Und «komm her» ist sein Schlachtruf auf dem Weg zur nächsten sinnlosen Pöbelei. Der Talahon wird so zur Karikatur vom jugendlichen Problemausländer.
Und zum einfachen Feindbild: «Mittelalterlich» nennt etwa die deutsche «Bild» die Talahons. Denn nach den sozialen Medien, wo sich das Wort zuerst verbreitete, sind die Talahons im Mainstream angekommen. In Deutschland, wo der Begriff herkommt, hat das eingedeutschte Wort eine hitzige Debatte ausgelöst.
Mittelalterliche Einstellung
Die Talahons seien «frauenfeindlich, sexistisch, patriarchisch und gewaltverherrlichend», schrieb die «Bild» weiter. Hierbei stützt sich das Blatt auf Internet-Formate, wie etwa dem Kuppel-Format «Frankfurt-Tinder» des Youtubers «Pumping MNKY». In einem Video mit dem Titel «Die Talahons» werden zwei Frauen von einer Gruppe Männern umzingelt, wobei die Männer wie wild herumhüpfen. Einer erklärt: «Es gibt nur vier Arten Frauen: Eine zum Kochen, eine zum Putzen, eine zum Sex und mit einer kannst du machen, was du willst.»
In einem anderen Video von Tiktokerin Niki_asks antwortet ein Talahon-Vertreter: «Die Frau darf nicht raus. Sie muss Hausfrau sein, meine Hausfrau!»
Anti-Wokeness-Inhalte sind gefragt
Trotz ihres asozialen Verhaltens kommen die Talahons – vor allem auf Social Media – an. Aber weshalb?
Kriminologe Dirk Baier erklärt auf Blick-Anfrage: «Alles, was provoziert, hat eine Chance auf Social Media. Dies ist bei den Talahons nicht anders.» Ausserdem treffe das Thema den Zeitgeist: «Anti-Wokeness-Inhalte sind derzeit leider in. Sich gegen Gleichheit und Toleranz zu positionieren sowie das Zurück zum Gestern oder Vorgestern haben aktuell Erfolg», sagt Baier. «Dies sehen wir auch im Rechtsruck in Europa und insbesondere auch bei Jugendlichen.»
Zum vermittelten Männlichkeits-Bild der Talahons erklärt Baier: «Es handelt sich um eine inszenierte Männlichkeit von Jugendlichen, die sonst wenig haben.» Das vermittelte Männlichkeits-Bild sei jedoch zweifellos problematisch, so Baier: «Es ist eine Legitimation, Gewalt gegen Frauen anzuwenden.»
Wo sind die Talahons hier zu Hause?
Zwar stammen die meisten Talahon-Videos auf Tiktok aus Deutschland. Baier hält jedoch fest: «Auch in der Schweiz gibt es junge Männer, für die solche Männlichkeits-Bilder reizvoll sind.»
So berichten Rabbuni Luifu (17) und Leo Ronaldo Baumann (19) aus Schlieren: «Die Talahons sind an Bahnhöfen, in Parks und an Schulen anzutreffen, vorwiegend am Abend.» Luifu erklärt: «Sie laufen meistens in Gruppen und machen Aktivitäten, wie etwa Schattenboxen, hören laut Musik und rauchen.» Deren Alter: kaum in der Pubertät bis kurz nach der Volljährigkeit.
Sackmesser und Schlagringe
Laut Luifu und Baumann ist den Talahons wichtig, zu zeigen, wie krass sie sind. Luifu: «Sie wollen zeigen, dass sie jemand sind.» Baumann erklärt: «Sie denken, sie sind voll Ghetto. Aber Mami und Papi zahlen ihnen alles.»
Ganz ungefährlich seien die Talahons nicht, so die beiden. «Zu ihrer Ausstattung gehören Sackmesser und Schlagringe.» Sie beide gehen den Talahons wenn möglich aus dem Weg, so Luifu.
Inzwischen machen immer mehr Satire-Videos die Runde auf Social Media – auch mit Bezug auf die Schweiz. So zeigt Tiktoker Benji, wo es hier keine Talahons gibt: beim Wandern in den Schweizer Bergen. Es ist auch eine Realität in der Diskussion: Online vermischen sich die Grenzen zwischen Ernst und Satire schnell.
Umdeutung des Begriffs
Ein Song, der in den meisten Tiktok-Videos unterlegt ist: «TA3AL LAHON» von Rapper Hassan, erschienen im Jahr 2022. Mit seiner Liedzeile «Ta’ Lahon, ich geb dir einen Stich, bin der Patron» trat Hassan eine neue Welle bei den Jugendlichen los.
Dem Begriff zur Beliebtheit verhalf wohl der Rapper Farid Bang (38). Dieser nahm das Wort in einem Tiktok-Video bereits 2022 auf. In der Aufnahme schlägt der Musiker immer wieder mit seiner Hand von oben nach unten, wenn das Wort «Ta’ Lahon» fällt. Als ob er signalisiert: «Komm her, wenn du ein Problem hast.»
Rassistische Deutung
Subkulturen, die in ihren Liedern Gewalt verherrlichen, gab es schon früher: Lange vor den Talahons machten etwa Gangster-Rapper mit ähnlichen Inhalten die deutschen und Schweizer Kinderzimmer unsicher: Gewaltverherrlichung und mittelalterliche Frauenbilder.
Mittlerweile haben auch rechte bis rechtsextreme Kreise die Talahons für sich entdeckt. Und auch auf den sozialen Medien hat der Wind gedreht: Sucht man nach dem Begriff, findet man hauptsächlich Kommentare, in denen die Talahons nicht gerade gut wegkommen.
Wie die deutsche Zeitung «Spiegel» berichtet, warnte der deutsche Rapper Animus (36), dass der Begriff Talahon zu einem «verbalen Freifahrtschein» für Rassismus wird. Dann ist Talahon nicht mehr nur der Schlachtruf jugendlicher Pöbler – sondern auch der Schlachtruf der Rechten.
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