Corona hat die Klimajugend ausgebremst. Statt auf der Strasse demonstrierten die Aktivisten monatelang vor ihren Laptop-Kameras – um zu zeigen, dass sie Corona genauso ernst nehmen wie das Klima.
Doch der digitale Aktivismus lahmt. Den Jungen stinkts. Der Frust ist gewaltig.
«Wir waren einfach nicht mehr sichtbar», sagt ein führender Kopf des Klimastreiks zu BLICK. Nur einmal sorgte man für Aufsehen: Mit der illegalen Bundesplatz-Besetzung im September brachte sich die Klimajugend wieder ins Gespräch.
Seither ist wenig passiert. Der zu Jahresbeginn veröffentlichte Klimaaktionsplan verpuffte. Aus der Politik gab es zu den vorgeschlagenen Massnahmen, wie die Schweiz bis 2030 klimaneutral werden könnte, keine Rückmeldung.
Jetzt hat die Klimajugend die Schnauze voll. Mit dem Frühlingsbeginn will sie wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung dringen. Zum internationalen Klimastreiktag am 19. März ruft die Bewegung schweizweit dazu auf, sich im Freien in coronakonformen Gruppen niederzulassen und Gehör zu verschaffen.
Beim braven Sitzstreik soll es nicht bleiben. Nach BLICK-Informationen plant die Klimajugend in den nächsten Wochen und Monaten Proteste und Aktionen, wie sie die Schweiz selten erlebt hat. «Der Bundesplatz war rein symbolisch», sagt ein Aktivist.
Aus Gesprächen mit zahlreichen Aktivisten und aus Nachrichten und Dokumenten wird klar: Aktionen zum zivilen Ungehorsam werden bei der Klimastreik-Bewegung künftig zum Kerngeschäft gehören.
BLICK enthüllt die konkreten Pläne der Klimajugend:
Blockieren von Strassen, Gebäuden und Firmen
Bislang wurden Blockaden vor allem von den radikalen Umweltschützern Extinction Rebellion (XR) eingesetzt. Auch die Jugend will so künftig maximale Aufmerksamkeit erhalten. Bereits im Herbst träumte der Zürcher Klimaaktivist Dominik Waser (23) laut davon, «Strassen und Quartiere mit friedlichen, gewaltlosen Aktionen» lahmzulegen, am besten gleich «Zürich stilllegen».
Nach BLICK-Recherchen könnten auch Firmen, die einen hohen Treibhausgasausstoss verursachen, verstärkt im Fokus stehen – dazu zählt etwa der Zementmulti Lafarge-Holcim. Oder der Schweizer Finanzplatz wegen Investitionen in fossile Energien.
Mobilisierung von Arbeitern
Für den Klimastreik ist es zentral, dass auch die Arbeiter auf die Strasse gehen. Das Vorbild: der eintägige Frauenstreik. «Aber es müsste grösser und länger sein», sagt ein Aktivist.
Ein erster Testlauf findet am 21. Mai statt. Bei der «Strike for Future»-Demonstration sind mit der Unia, dem Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) sowie der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) einige der wichtigsten Gewerkschaften bei der Planung direkt involviert.
UBS und CS im Visier
Die Grossbanken UBS und Credit Suisse sollten sich verstärkt auf Aktionen einstellen – dazu könnten Blockaden, Sachbeschädigungen, Online-Kampagnen und sonstige Störaktionen zählen. Schon mehrfach waren Filialen das Ziel von Blockaden und Protesten. Im Dezember verübten Mitglieder des Klimastreiks in Zürich und Basel Farbattacken auf Fassaden und Bankomaten.
Die Credit Suisse hat das Thema als «sicherheitsrelevant» erkannt, will sich auf Anfrage aber nicht weiter dazu äussern. Auch die UBS hält sich bedeckt. «Wir treffen alle Vorsichtsmassnahmen, um Mitarbeiter und Gebäude bestmöglich zu schützen», teilt ein Sprecher mit.
Die Klimastreik-Bewegung zahlt den Aktivisten die Bussen
Für den Sommer planen die Aktivisten nach BLICK-Informationen ausserdem etwas, das «grösser als der Bundesplatz» werden soll. Die Folgen der damaligen Besetzungsaktion: 185 Anzeigen – wegen Ungehorsam gegen amtliche Verfügung, Behinderung von Amtshandlungen sowie Gewalt und Drohung gegen Beamte.
Noch sind Dutzende Bussen ausstehend, doch die Kasse für Strafzahlungen und Verfahren ist gut gefüllt: 56'059 Franken sammelten die Initianten der sogenannten «Rise Up For Change»-Woche bei einem Crowdfunding – allerdings verschwiegen die Aktivisten ihren Unterstützern, dass das Geld auch für Bussen gedacht ist. Offiziell wurde auf der Plattform «We make it» als Verwendungszweck nur der Druck von Flyern und Plakaten, Bewilligungen, Infrastruktur sowie Schlafplätze und Essen für die Aktivistinnen und Aktivisten angegeben.
Demo-Experte: «Könnte schnell heikel werden für Klimabewegung»
Geht es an den Rand der Legalität und darüber hinaus, ist die sonst so konsens- und protokollversessene Klimastreik-Bewegung selbst intern verschlossen. «Die Aktionen zum zivilen Ungehorsam planen kleine Gruppen. In der restlichen Bewegung verbreitet sich das dann in Wellen», erklärt ein Aktivist.
«Sobald die Klimastreik-Bewegung bewusst zu illegalen Mitteln greift, verliert sie den grundrechtlichen Demonstrationsschutz. Das könnte sehr schnell heikel werden», sagt der Jurist und Sicherheitsexperte Patrice Martin Zumsteg von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Zwar mindere das Alter der Klimastreikenden das Strafmass, doch gilt: «Je grösser die lahmgelegte Infrastruktur ist und je mehr Menschen betroffen sind, desto heikler. Wenn Mitarbeiter am Zugang zu ihrem Arbeitsplatz gehindert werden, könnte das auch Nötigung sein.»
In Deutschland ist Einzelgruppe schon Fall für Verfassungsschutz
Im Extremfall könnten einzelne Gruppen auch auf dem Radar des Schweizer Geheimdienstes NDB landen. In Deutschland stuft der Berliner Verfassungsschutz etwa die Fridays-for-Future-nahe Gruppe «Ende Gelände» als linksextrem ein. Auch Schweizer Klimajugendliche demonstrierten schon mit den militanten Atomkraft- und Braunkohlegegnern.
Hinweise auf eine linksextreme Unterwanderung gibt es bei der Schweizer Klimabewegung bisher nicht. «Falls aber an Streiks oder durch Aktivisten Gewalt befürwortet, gefördert oder ausgeübt werden sollte, würden wir dies im Rahmen des Themengebiets Gewalttätiger Extremismus behandeln», sagt NDB-Kommunikationschefin Isabelle Graber.
Zusammenarbeit mit XR wird intensiver
Eine grosse Rolle bei der zunehmenden Radikalisierung spielt auch Extinction Rebellion. Deren Mitglieder und ihre Protestformen prägen zunehmend Aktionen des Klimastreiks. «Extinction Rebellion vertritt leicht andere Werte, aber ansonsten arbeiten wir sehr gut mit ihnen zusammen», gesteht eine führende Klimastreik-Aktivistin.
Dabei ist es noch keine zwei Jahre her, als eine Zusammenarbeit mit XR intern noch höchst umstritten war. Beim ersten Gipfeltreffen der europäischen Klimajugend gab es unter anderem wegen der radikalen Umweltschützer Zoff (BLICK berichtete). Mittlerweile sind die Grenzen zwischen dem Klimastreik und XR vollständig aufgeweicht.
Klimastreik will besetzte «Schutzzone» mit verteidigen
Wie militant der Kampf fürs Klima in der Schweiz tatsächlich wird, könnte schon sehr bald in der Romandie sichtbar werden. Seit Mitte Oktober besetzen Umweltschützer den Hügel Mormont bei Eclépens VD, um den Ausbau eines Zementwerks zu stoppen. Nun erteilte ein Gericht den Besetzern eine Absage: Ab dem 16. März können die Behörden das Aktivistencamp räumen.
Die Klimastreikbewegung hat sich mit den Besetzern solidarisiert und bereitet sich darauf vor, Mormont zu «verteidigen». Bei einer anonymen Umfrage in einem Telegram-Channel, in dem auch viele Klimajugendliche Mitglied sind, gaben 20 Aktivisten aus der Deutschschweiz an, jederzeit zur Stelle zu sein – 30 weitere wollen anreisen, wenn sie mindestens einen Tag im Voraus von der Räumung erfahren.
Im Dannenröder Forst, einer ähnlichen Schutzzonenaktion in Deutschland, lieferten sich Waldbesetzer und Polizei bei der Räumung im vergangenen Herbst ein wochenlanges Scharmützel. Auf beiden Seiten kam es zu massiver Gewalt.
Expertinnen raten zu Dialog mit Bevölkerung
Nebst persönlichen Konsequenzen ist mit den illegalen Aktionen auch die Mission der Klimajugend in Gefahr.
«Aufmerksamkeitsträchtige Aktionen ändern unser Bewusstsein für ein Thema, aber wenn sie zu radikal oder gar gewalttätig sind, wird das Ziel nicht erreicht», sagt die Umweltpsychologin Oriane Sarrasin von der Universität Lausanne.
Auf der anderen Seite seien Gruppen wie Greenpeace genau wegen radikaler Aktionen wie dem Blockieren von Walfang-Schiffen erfolgreich, sagt die Sozialanthropologin Simone Gretler Heusser von der Hochschule Luzern. «Man kann nicht sagen: Nur wenn ein Protest bewilligt ist, ist er erfolgreich. Die Bewegung braucht aber auch realpolitische Stimmen.» Wenn die Klimajugend mehr auf zivilen Ungehorsam setze, sei für das Verständnis in der Bevölkerung entscheidend, ob ein Dialog stattfinde.
Klar ist: Der Bundesplatz war nur der Übungsplatz.