Frau Flühmann, wo waren Sie, als im Frühling der Lockdown ausgerufen wurde?
Käthi Flühmann: Ich war gerade mit einer Gruppe auf der Engstlenalp im Kanton Bern unterwegs, wir machten dort Skitouren. Mein Mann Dänel rief an und sagte, wir müssten heimkommen. Ich dachte, ich sei im lätzen Film. Am gleichen Tag noch folgte ein Berufsverbot bis im Mai.
Hatten Sie zu kämpfen?
Es war einfach schade. Wir hatten Wetter- und Schneeverhältnisse, wie man sie einmal in hundert Jahren erlebt. Privat habe ich so viele Skitouren gemacht wie schon lange nicht mehr.
Im Sommer und Herbst ist bei Ihnen sonst immer Hochsaison. Wie ist es in diesem Jahr?
Wir haben sehr viel zu tun. Sieben-Tage-Wochen sind normal. Ausser wenn das Wetter schlecht ist, dann fällt die eine oder andere Tour buchstäblich ins Wasser. Aber es ist schon länger so. Jedes Jahr fehlen in der Hauptsaison Bergführer. Bei Touren auf das Matterhorn wartet man offenbar zwei Wochen, bis ein Bergführer Zeit hat.
Früher war das Bergsteigen etwas, das «verruckti Sieche» machten, heute rennt jeder Zweite auf einen Viertausender.
Früher musste man das Essen und Schlafsachen hoch- und wieder runtertragen. Heute bekommt man in den Hütten ein warmes Essen, Wein und meistens ein Bett mit Duvet. Mir gefällt das ja auch. Aber es ist schwieriger geworden, dort unterwegs zu sein, wo nicht Hunderte andere auch sind. Seit einiger Zeit biete ich mehr Touren auf Berge an, die weniger bekannt sind.
Als Bergführerin sind Sie für andere Menschen verantwortlich, was erleben Sie dabei?
Ich komme den Leuten oft sehr nahe, auch wenn sie das vielleicht gar nicht immer so spüren. Ich sehe sie in ihren Ängsten und auch in grosser Freude. Manche weinen, wenn sie einen Gipfel erklommen haben. Das passiert manchmal auch Männern. Ich finde es schön, meine Gäste dahin zu bringen, dass sie auch schwierigere Dinge ausprobieren können und dann stolz auf sich sind.
Käthi Flühmann (56) will nichts Besonderes sein, wie sie im Gespräch betont – und doch ist sie eine Schweizer Pionierin. Als erste Frau in der Deutschschweiz machte sie in den 80er-Jahren die Bergführerausbildung. Seither steigt sie im Sommer mit ihren Gästen im In- und Ausland auf die Gipfel und leitet im Winter eine Skitourenwoche nach der anderen. Seit ihre zwei Buben erwachsen sind, noch viel mehr. Käthi Flühmann lebt mit ihrem Mann in Unterbach im Berner Oberland. www.hasliguides.ch
Käthi Flühmann (56) will nichts Besonderes sein, wie sie im Gespräch betont – und doch ist sie eine Schweizer Pionierin. Als erste Frau in der Deutschschweiz machte sie in den 80er-Jahren die Bergführerausbildung. Seither steigt sie im Sommer mit ihren Gästen im In- und Ausland auf die Gipfel und leitet im Winter eine Skitourenwoche nach der anderen. Seit ihre zwei Buben erwachsen sind, noch viel mehr. Käthi Flühmann lebt mit ihrem Mann in Unterbach im Berner Oberland. www.hasliguides.ch
Frauen wurden erst Anfang der Achtziger zur Bergführerausbildung zugelassen. Sie waren die erste Deutschschweizer Frau auf dem Beruf. Hat es Mut gebraucht?
Ich war mir dem gar nicht bewusst, ich war ja erst zwanzig. Nach meiner Verkaufslehre arbeitete ich als Rinderhirtin auf einer Alp unter den Engelhörnern in den Berner Alpen. In der Nähe gibt es ein Klettergebiet. Ich ging oft mit meinem heutigen Mann und anderen Kollegen z'Berg. Er hatte die Bergführerausbildung gemacht und ermunterte mich, mein Hobby zum Beruf zu machen. Ich wäre von mir aus eher nicht auf die Idee gekommen. Heute darf ich sagen: Das war der beste Entscheid.
Auch wenn es offenbar etwas harzig anfing.
Ich wartete lange auf die Bestätigung des Bergführerverbands. Der Brief war an «Herrn K. Glarner» adressiert – mein Mädchenname. Das Schreiben wurde im Dorf herumgereicht, bis es endlich zu mir kam.
Nicole Niquille, die erste Bergführerin in der Westschweiz, sagte einmal, sie sei härter geprüft worden als die anderen. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe es anders erlebt. Der technische Leiter, ein Grindelwaldner, war ein strenger Mann, ich hatte grossen Respekt vor ihm. Er stand vor uns Aspiranten hin und sagte: «Zum ersten Mal haben wir dieses Jahr ein Fräulein unter uns. Schenken werden wir ihr nichts, aber haltet Sorge zu ihr.» Er lebte vor, was galt. Keiner der Verantwortlichen hatte ein Vorurteil. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.
Wie reagierten die Gäste, wenn kein Kari, sondern Käthi kam?
In meinem ersten Jahr als Bergführerin kam ich in meinen kurzen Hosen und mit T-Shirt an den Bahnhof, ich sah offenbar aus wie eine Teilnehmerin. Mein Auftraggeber hatte der Gruppe nichts von einer weiblichen Bergführerin gesagt. Ende Woche gestanden mir die Männer, dass sie leer geschluckt haben, als klar wurde, dass ich die Tour führe. Diese Gäste kamen jahrelang immer wieder mit mir mit.
Nie ein dummer Spruch?
Es kam vor, dass hinter meinem Rücken getuschelt wurde, wenn ich in eine Hütte kam und meine Gruppe anmeldete. Heute noch passiert es, dass unterwegs fremde Bergsteiger auf einen männlichen Gast zusteuern, um etwas zu fragen. Sie sind erstaunt, wenn sie zu hören bekommen, dass sie mit der Chefin sprechen müssen. Das bringt mich immer wieder zum Schmunzeln.
In der Schweiz gibt es 1534 aktive Bergführer und Bergführerinnen, davon sind 40 Frauen. Die geringe Zahl ist auch historisch bedingt. Im Schweizerischen Alpenclub (SAC) wurden Frauen 1907 ausgeschlossen. 1918 gründeten sie den Frauen-Alpen-Club. Auch zur Bergführerausbildung hatten sie lange keinen Zugang: Man musste militärdiensttauglich sein. 1977 machte das Bundesgericht die Ausbildung auch für einen Militärdienstverweigerer möglich – und ebnete den Weg für die Frauen. 1986 wurde die Westschweizerin Nicole Niquille die erste Bergführerin der Schweiz, 1988 folgte die Deutschschweizerin Käthi Flühmann.
In der Schweiz gibt es 1534 aktive Bergführer und Bergführerinnen, davon sind 40 Frauen. Die geringe Zahl ist auch historisch bedingt. Im Schweizerischen Alpenclub (SAC) wurden Frauen 1907 ausgeschlossen. 1918 gründeten sie den Frauen-Alpen-Club. Auch zur Bergführerausbildung hatten sie lange keinen Zugang: Man musste militärdiensttauglich sein. 1977 machte das Bundesgericht die Ausbildung auch für einen Militärdienstverweigerer möglich – und ebnete den Weg für die Frauen. 1986 wurde die Westschweizerin Nicole Niquille die erste Bergführerin der Schweiz, 1988 folgte die Deutschschweizerin Käthi Flühmann.
Warum, denken Sie, machen noch immer so wenige Frauen die Bergführerausbildung?
Es ist nicht immer nur romantisch. Man muss von den Bergen angefressen sein. Immer wieder muss man den Rucksack packen, die Schuhe binden und tagelang weg sein von zu Hause. Man ist von morgens früh bis abends spät für die Gäste da, und in den Hütten hat man kein Badezimmer. Und auch Privatsphäre hat man keine.
Spielt auch der Lohn eine Rolle?
Vom Lohn her bewegen wir uns in einem ähnlichen Bereich wie ein Handwerker, einfach mit einem grösseren finanziellen Risiko. Keiner zahlt dir die Ferien, keiner einen 13. Monatslohn, und die Ausfälle wegen schlechten Wetters und anderem muss man selbst tragen. Viele steigen aus oder machen es nebenbei.
Warum sind Sie Vollzeit dabeigeblieben?
Ich bin eben angefressen. Mir gefällt es, wenn ich morgens in den Tag hineinlaufen kann. Auch wenn es draussen hudelt. Mein Beruf hat mich wahrscheinlich vor einem Burnout bewahrt. Ich bin ein zappeliger Typ. Wenn ich daheim bin, muss ich immer etwas machen. Wenn ich eine längere Hochtour mache, stehe ich mit den Gästen morgens um vier auf, steige auf den Gipfel und komme müde zurück zur Hütte. Es ist dann gar nicht möglich, noch tausend Sachen anzureissen.
Wie schafften Sie es da, Familie und Job unter einen Hut zu bringen?
Als unsere zwei Söhne klein waren, haben wir uns abgewechselt. Entweder arbeitete ich als Bergführerin, und Dänel machte daheim bei den Kindern den Haushalt, oder umgekehrt. Aber zusammen waren wir selten zu Hause. Manchmal waren wir auch beide weg. Dann haben unsere Eltern zu den Buben geschaut.
Fielen Sie mit diesem Familienmodell im Haslital auf?
Wir waren Chaoten. Für meinen Mann war es schwieriger als für mich.
Er war ein moderner Vater.
Damals sah man das anders. Wenn er Windeln gewaschen hatte, hängte er sie immer schon im Haus an den Stewi und stellte ihn dann schnell raus, damit niemand sah, dass er Wäsche aufhängte.
Warum?
Über einen anderen Vater, der zu seinen Kindern schaute, sagte man, er sei ein «mistfauler Cheib». Für unsere Söhne und ihre Freunde war es toll, dass Dänel daheim war. Alle kamen zu ihm, wenn sie ihre Velos flicken mussten. Er ging mit ihnen fischen, baute mit ihnen im Wald einen Holzschopf. Er war der Vater, der da war.
Jetzt haben wir lange nur über die Geschlechterfrage gesprochen, dabei bestiegen Sie im Himalaya-Gebirge den 8027 Meter hohen Shishapangma – ohne Sauerstoffflasche. Macht Sie diese Leistung stolz?
Stolz sicher, aber ich will das nicht überbewerten. Ich habe schon Interviews gegeben und mit keinem Wort erwähnt, dass ich auf einem Achttausender gestanden bin. Ich hatte es schlicht vergessen.
Wie haben Sie die Tour damals erlebt?
Wir sind in einem Tag von 5900 Metern auf den Achttausender gestiegen. Ich komme mit der Höhe sehr gut zurecht, das war etwas Besonderes. Als ich heimkam, wäre ich am liebsten gleich auf den nächsten Achttausender hoch. Es ist wie ein Virus, das man sich einfängt. Man will mehr.
Warum holten Sie sich dann nicht mehr davon?
Dänel sagte mir damals, wenn ich jetzt anfangen sollte, Achttausender zu sammeln, mache er nicht mehr mit. Da war der ältere Sohn zehn Jahre alt. Ich musste nicht lange überlegen.
Haben Sie es je bereut?
Nein. Wenn ich auf einen Achttausender steige, pushe ich nur mein Ego. Mir war die Familie wichtiger. Und ganz verzichten musste ich nicht. Ich fing an, Bergtouren auf Sechs- und Siebentausender anzubieten.
Hatten Sie auf einer Tour schon mal Angst zu sterben?
Nicht um mich, sondern um einen meiner Gäste. Auf dem Island Peak im Himalaya fiel eine Frau plötzlich in einen Komazustand. Wir trugen sie, 60 Kilo schwer, so schnell es ging, abwechslungsweise zu zweit von 6000 Metern auf 5000 runter. Wie wir das geschafft haben, weiss ich nicht. Aber in der Not kommen ungeahnte Kräfte hoch. Die Frau überlebte zum Glück. In der Schweiz fand man heraus, dass sie ein «Schlegli» hatte. Ich hatte nichts falsch gemacht, das war eine Erleichterung.
Wollten Sie danach den Bettel hinwerfen?
Nein. Aber ich kann nicht sagen, wie ich reagiert hätte, wenn sie gestorben wäre. Das ist der Albtraum eines Bergführers. Wir sind uns bewusst, dass man manchmal Glück haben muss. Heute noch viel mehr als früher.
Wie meinen Sie das?
Die Gletscher gehen zurück. Der Felsen verliert seine Stütze, alles wird loser, es gibt mehr Steinschlag. Letzten Herbst kehrte ich auf einem ganz banalen Berg um, weil immer mehr Steine herunterkamen.
Das klingt gefährlich.
Risiken lauern überall, auch auf der Strasse. Das macht eine Tour ja vielleicht auch gerade aus. Man ist dann besonders stolz darauf, wenn man sie geschafft hat.
Wie lange werden Sie Ihren Job noch machen?
In meinem Beruf macht man keine grossen Pläne. Das Wetter ändert x-mal, man passt sich spontan an. Ich lebe im Moment. Solange ich gesund bin, gehe ich z'Berg. Ich werde es dann schon merken, wenn es nicht mehr geht.