Kommt jetzt die Maskenpflicht im Unternehmen?
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Novartis greift bereits durch:Kommt jetzt die Maskenpflicht im Unternehmen?

Der Streit um den Mund-Nase-Schutz
Kommt jetzt die Maskenpflicht im Unternehmen?

Bei Novartis und Ems-Chemie müssen alle Angestellten Maske tragen. Für Infektiologen ist klar: Ohne geht es nicht. Doch die Tragepflicht in Unternehmen ist umstritten.
Publiziert: 29.08.2020 um 23:53 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2020 um 20:37 Uhr
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Tragen bald alle Angestellten in der Schweiz eine Maske bei der Arbeit?
Foto: Keystone
Milena Stadelmann und Danny Schlumpf

Es begann in Zügen, Trams und Bussen – im öffentlichen Raum setzte sich der Trend fort: Immer mehr Kantone verlangen das Tragen von Schutzmasken beim Einkauf. Und nun ist das ­Thema bei den Unternehmen an­gekommen.

Vor einer Woche sorgte Pharma-Riese Novartis mit der Ankündigung einer generellen Maskenpflicht für Furore. SonntagsBlick weiss: Bei Ems-Chemie besteht ein solches Obligatorium schon seit Anfang August.

Tragen bald alle Angestellten bei der Arbeit eine Maske? SonntagsBlick hat bei 50 grossen Schweizer Unternehmen nachgefragt. Ergebnis: Alle angeschriebenen Firmen betonen die Bedeutung der Hygieneregeln, bieten freiwilliges ­Fiebermessen an, teilen ihre Teams auf und forcieren das Homeoffice – all dies auch in der Hoffnung, einer generellen Maskenpflicht aus dem Weg gehen zu können. Denn davor schreckt die Mehrheit der Unternehmen zurück.

«Mindestabstände von 1,5 Meter gehen im Alltag schnell vergessen»

Natürlich müssen die Angestellten eine Maske tragen, heisst es bei den Firmen – aber nur, wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann. So empfiehlt es auch das Bundesamt für Gesundheit. Was das BAG und die Firmen gern un­erwähnt lassen, spricht der Tessiner Infektiologe Christian Garzoni offen aus: «Mindestabstände von 1,5 Meter gehen im Alltag schnell vergessen – auch unbewusst.»

OC Oerlikon in Pfäffikon SZ und Balzers FL zum Beispiel versucht das Problem mit einem mobilen Warnsystem namens Safe Zone zu lösen. Alle Mitarbeiter tragen einen Sensor, der anzeigt, wenn sie einander ­näher kommen als 1,5 Meter. CEO Roland Fischer: «Die Innovation bietet uns die Möglichkeit, unsere operativen Produktionsprozesse geordnet und sicher zu gestalten.»

Nur: Reicht das aus, um die Angestellten vor Ansteckungen zu bewahren? Der Infektiologe Christian Garzoni, Leiter der Klinik Moncucco in Lugano TI: «Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass das Coronavirus nicht nur – wie zu Beginn der Pandemie angenommen – durch Tröpfchen übertragen wird, sondern auch durch Aero­sole in der Luft.» Das heisst: In Innenräumen mit grosser Luftbewegung können Aerosole auch über den Mindestabstand von 1,5 Metern hinweg verteilt werden. Dazu gehören vor allem Fabriken und Büros mit Einrichtungen, die das Raumklima beeinflussen.

Auch mit Frischluftanlagen sind Infektionen möglich

Sind also alle Klimaanlagen ­Virenschleudern? Eine pauschale Antwort auf diese Frage gebe es nicht, sagt Adrian Waser, Geschäftsleitungsmitglied der Wolf (Schweiz) AG. Der Kältetechniker empfiehlt regelmässige Instand­haltungsarbeiten. «Zudem sollten Räume mit Klimaanlagen, die mit Umluft betrieben werden, zwingend regelmässig mit Frischluft versorgt werden.» Eine Infektion über Aerosole sei allerdings auch bei Frischluftanlagen nicht auszuschliessen, sagt Infektiologe Garzoni. Für ihn ist deshalb klar: «Eine Empfehlung des BAG für eine generelle Maskenpflicht in Innen­räumen wäre sicher gut und notwendig.»

Umstritten ist auch das Fiebermessen. Die UBS führte die Temperaturkontrolle ihrer Angestellten an mehreren Stand­orten bereits im Mai ein. Doch im Juli be­endete die Grossbank das Experiment. Nestlé und die Zurich-Versicherung führen die Fiebermessung nach wie vor durch, ebenso die Investment-Firma Partners Group in Zug. Mehrere von SonntagsBlick befragte Unternehmen bieten das Fieber­messen auf freiwilliger Basis an.

Virologe Andreas Cerny (44) ­relativiert jedoch dessen Nutzen: «Fieber gehört zwar zu den Symptomen der Covid-19-Erkrankung, aber es kann bei Personen mit asymptomatischem Verlauf auch fehlen.» Zudem könne das Virus schon 48 Stunden vor Symptomausbruch an andere Personen übertragen werden. «Fiebermessen ist deshalb wenig effektiv.»

Betriebe werden immer unsorgfältiger

Eines betonen alle von SonntagsBlick befragten Unternehmen: dass die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden oberste Priorität besitze und die Empfehlungen des BAG vollumfänglich umgesetzt würden. Valentin Vogt (59), Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, ist überzeugt: «Mir fällt auf, dass die Disziplin von Arbeitgebern und Angestellten in den ­Firmen in Sachen Vorsichtsmassnahmen gegen die weitere Aus­breitung von ­Covid-19 sehr hoch ist – deutlich ­höher als im öffentlichen Raum.»

Bruno Giger, Leiter des Arbeitsinspektorats im Kanton Glarus, sieht es allerdings anders: «Gegenüber den ersten Betriebsmonaten nach dem Ende des Lockdowns ist die Sorgfalt bei der Einhaltung der Schutzmassnahmen gesunken.» Über die Hälfte der kontrollierten Glarner Betriebe hätten in dieser Hinsicht Mängel offenbart. Andernorts zeigt sich ein ähnliches Bild. So kontrollierte der Kanton Bern letzte Woche 442 Betriebe – 197 wiesen Mängel auf.

Mehr Kontrollen

Die Arbeitsinspektorate reagieren nun mit einer Intensivierung der Kontrollen. Christine Michel (56), Fachsekretärin für Gesundheitsschutz bei der Gewerkschaft Unia, begrüsst dieses schärfere ­Vorgehen: «Es wäre verheerend, nicht auf diese Entwicklung zu ­reagieren. Es braucht bei der Umsetzung und Kontrolle der Schutzkonzepte am Arbeitsplatz wieder mehr Effort.»

Ob das am Ende auch zu einer ­generellen Maskenpflicht in Schweizer Firmen führt, ist bisher nicht entschieden. Dennoch kommen die Unternehmen kaum umhin, sich mit dieser heiklen ­Frage intensiv zu ­beschäftigen.

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