Der berühmteste Schweizer Whistleblower
Neue Fakten im Fall Quadroni

Zu einem Einsatz von Polizei-Grenadieren im Jahr 2017 gegen den Bündner Baukartell-Whistleblower gibt es neue Fakten. Bisher blieben diese unter dem Deckel. So wurde ein als Verhandlungsführer zur Aktion beorderter Polizist bis heute nie befragt.
Publiziert: 01.12.2024 um 10:20 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2024 um 10:22 Uhr
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Adam Quadroni will nicht aufgeben und weiter für sein Recht kämpfen.
Foto: Linda Käsbohrer

Auf einen Blick

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Andreas SchmidInlandredaktor

Der Fall beschäftigt bis heute die Justiz: Am 15. Juni 2017 haben zehn Bündner Polizeigrenadiere in Kampfausrüstung und mit gezückten Waffen Adam Quadroni (54) aus seinem Auto gezerrt und auf den Polizeiposten in Scuol GR gebracht. Von dort fuhren ihn Polizisten in die psychiatrische Klinik Waldhaus in Chur GR.

In einem familienrechtlichen Streit ordnete der Bezirksarzt eine fürsorgerische Unterbringung an. Er begründete die Zwangseinweisung mit der Befürchtung, Quadroni könnte andere umbringen und dann Suizid begehen. Die Ärzte in der Klinik wunderten sich, dass ein «zugänglicher und freundlicher» Mann wie Quadroni, der sich «adäquat» verhalte, als gefährlich eingestuft werde. Und erst recht, dass er mit Grenadieren, gefesselt und mit verbundenen Augen, eingewiesen worden sei.

Anklage wegen Freiheitsberaubung

Quadroni (54) hatte das Engadiner Baukartell auffliegen lassen, indem er 2012 an die Wettbewerbskommission gelangt war und die langjährigen Preisabsprachen angeprangert hatte. Der Whistleblower war einst selbst Teil des Kartells gewesen, bevor er sich abwandte. Quadronis Hinweise hatten Millionenbussen für die beteiligten Firmen zur Folge, eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) arbeitete die Missstände auf.

Sieben Jahre nach dem Polizeieinsatz wird nun ein verantwortlicher Polizist dafür belangt. Der ausserordentliche, ausserkantonale Staatsanwalt Urs Sutter hat ihn Anfang November «wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung» angeklagt, wie er gegenüber Blick bestätigt.

Auch die PUK befasste sich mit dem verhängnisvollen Vorgehen der Uniformierten am 15. Juni 2017 – sowie einer weiteren Polizeiaktion gegen Quadroni vom November 2017, bei der die Behörden mit Grenadieren die Spielsachen seiner Kinder abholen liessen. Damals manipulierte ein Polizist den Polizeirapport und bezichtigte Quadroni, Beamte bedroht zu haben. Obwohl diese das in Befragungen bestritten hatten. Trotz der Falschaussagen sprach das zuständige Regionalgericht Prättigau/Davos den Polizisten frei, weil er den Bericht aus Unwissen und nicht vorsätzlich unrichtig verfasst habe.

Ungeklärte Fragen

Obwohl der siebeneinhalb Jahre zurückliegende, mutmasslich unverhältnismässige Grenadier-Einsatz von Justiz, PUK sowie einem externen Gutachter – dem ehemaligen Zürcher Oberstaatsanwalt Andreas Brunner – untersucht wurde, war manches im Dunkeln geblieben.

Ein Strafverfahren gegen einen Kadermann der Polizei wurde eingestellt, da dieser auf Anweisung der Vorgesetzten gehandelt haben soll. Zudem konnte sich der anfänglich Beschuldigte nicht mehr an die Vorgänge und an die Beteiligten erinnern.

Vor allem aber: Wie Recherchen von Blick nun zeigen, wurde in den Untersuchungen von Staatsanwalt, PUK und externem Gutachter ein am 15. Juni 2017 anwesender Kantonspolizist nie befragt. Ein ausgebildeter Verhandlungsführer, der in früheren Jahren als Grenadier der Sondereinheit «Kristall» angehörte, war nach Scuol beordert worden und hatte seinen Einsatz begonnen. Das bestätigen am Einsatz Beteiligte und ehemalige Arbeitskollegen des Polizisten. Gemäss einer Quelle sei dieser vom Pikett-Offizier angewiesen worden, seine Tätigkeit abzubrechen und nach Hause zu gehen – obwohl er als Verhandlungsführer eigentlich dazu da gewesen wäre, eine Deeskalation herbeizuführen.

Ein Insider vermutet, dass die Einsatz-Verantwortlichen gar nicht daran interessiert gewesen seien, vom geplanten harten Vorgehen gegen Quadroni abzurücken. So sei der lokale Postenchef seit Jahren persönlich mit diesem zerstritten gewesen.

Der vergessene Verhandlungsführer arbeitet längst nicht mehr im Polizeikorps und lässt Fragen zum damaligen Einsatz unbeantwortet. Er verweist an die Medienstelle der Kantonspolizei. Deren Sprecher Roman Rüegg hält fest: «Der Fall ist mit den Erkenntnissen der PUK, dem Bericht Brunner sowie mit den Freisprüchen in den Strafverfahren beurteilt und abgeschlossen.» Trotz der Fakten, die für die Polizei sprächen, hätten die Verantwortlichen einige Verbesserungsmassnahmen getroffen, sagt Rüegg.

Polizei unkooperativ?

Dass in allen drei aufwendigen Untersuchungen zum Grenadier-Einsatz gegen Quadroni ein wichtiger Zeuge nie auftauchte, hat laut einem Insider einen ganz anderen Grund: Die Kantonspolizei sei gar nicht an einer Aufarbeitung interessiert. So seien Beamte von ihrer Aussage vor der PUK abgehalten worden. Und der von der Polizei gestellte Anwalt habe sich für die Beschuldigten statt für die Zeugen starkgemacht.

Dazu werfen sowohl die PUK als auch der externe Gutachter Andreas Brunner Polizeikommandant Walter Schlegel (62) in ihren Berichten fehlende Kooperation vor. Die Polizei habe sich gegen eine Aufklärung gesperrt, kritisierten Involvierte sogar.

Quadroni selbst will sich nicht dazu äussern, dass ein damals Anwesender doch noch zur Aufklärung rund um den Grenadier-Einsatz gegen ihn beitragen könnte. Er lässt aber durchblicken, dass er nicht aufgebe.

Petition fordert Entschädigung

In den nächsten Tagen will ein Unterstützungskomitee für Adam Quadroni der Bündner Regierung eine Petition übergeben, die Gerechtigkeit und eine Entschädigung für den Whistleblower fordert. Er soll für den durch den Polizeieinsatz erlittenen Schaden und die Millionen, die er dem Kanton mit der Intervention gegen die Preisabsprachen eingebracht hat, eine Abgeltung erhalten.

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