Auch zweiter Bericht im Baukartell-Skandal stützt Whistleblower Quadroni
Miserables Zeugnis für Polizei im Unterengadin

Adam Quadroni deckte das Bündner Baukartell auf. Nun kritisiert ein neuer Bericht das Verhalten der Behörden. Besonders schlecht weg kommt die Polizei im Unterengadin.
Publiziert: 27.11.2019 um 09:58 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2019 um 15:56 Uhr
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Dank Adam Quadroni wurden die Wettbewerbsbehörden auf das Bündner Baukartell aufmerksam.
Foto: Screenshot SRF
Ladina Triaca und Pascal Tischhauser

Die Bündner Polizei und Behörden kommen schlecht weg. Andreas Brunner (70), der frühere Leitende Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich, wirft ihnen im Umgang mit Adam Quadroni (49) Fehler und Versäumnisse vor. Quadroni hatte als Whistleblower die Aufdeckung des Bündner Baukartells ermöglicht.

Das Online-Magazin «Republik» hatte den Baukartell-Skandal im August letzten Jahres haarklein nachgezeichnet. Es schilderte, wie Quadroni zusammen mit seinem Vater an den Versammlungen des Kartells teilnahm, sich in ihm aber immer mehr gegen die Preisabsprachen sträubte, er ausscherte und beim Versuch alles öffentlich zu machen, in Graubünden immer wieder scheiterte. Und wie in der Folge seine Familie zerbrach.

Andreas Brunner räumt ein: Quadroni sei kein einfacher Mensch. Wie viele Whistleblower verfüge er über ein ausgeprägtes Rechtsempfinden und er reagiere sensibel, hartnäckig «und auch mal laut», wenn er Rechtsverletzungen oder Provokationen ausmache.

Genau im Umgang mit schwierigen Menschen stehe unser Rechtsstaat aber auf dem Prüfstand. Und diese Prüfung haben verschiedene Bündner Behörden und Polizisten offenbar nicht bestanden.

Es fehlte die Begründung

So fehlt Brunner für die Hausdurchsuchung bei Quadroni kurz vor Weihnachten 2016 «eine nachvollziehbare Begründung». Und für den erfahrenen Juristen war auch die Ansicht der Polizei, der Whistleblower sei suizidgefährdet, zu wenig begründet.

Und wenn die Polizei schon in Quadronis Heim eindringt und Waffen beschlagnahmt, die dieser von seinem Vater geerbt hatte, dann hätte sie auch konsequent handeln müssen. Schliesslich hielt die Polizei selbst einen erweiterten Suizid für möglich. Also, dass der Whistleblower die Waffe erst gegen Familienmitglieder erhebt und dann gegen sich selbst.

Sie hätte somit umgehend überprüfen müssen, ob Quadroni sein Sturmgewehr nach dem Militärdienst tatsächlich abgegeben hat. Und sie hätte die alten Gewehre über dem Cheminée, die Quadroni den Polizisten bei der Hausdurchsuchung noch gezeigt hatte, ebenfalls beschlagnahmen müssen.

Stattdessen passiert lange nichts. Es kriselt in der Ehe Quadronis. Mitte Juni warnt seine Ehefrau den Postenchef, sie habe Angst um ihre Kinder. Jetzt handelt die Polizei. Und hier muss sich Brunner den Einwand gefallen lassen, gar hart mit den Polizeikräften ins Gericht zu gehen. Denn dass die Polizeibeamten sogleich tätig werden, weil das Leben der Kinder in Gefahr sein könnte, kann ihnen kaum vorgeworfen werden.

14 Grenadiere packten ihn

Quadroni wollte mit seinen Kindern in seine Alphütte fahren. Er hatte die Hütte am 15. Juni extra dafür hergerichtet. Als er mit dem Auto zurückfährt, um die Kinder zu holen, wird Quadroni an einer Strassensperre von 14 Grenadieren angehalten «und unsanft festgenommen».

Die Polizisten hätten hinter einem VW-Bus auf ihn gewartet und seien dann in Kampfmontur und mit gezückten Waffen auf ihn losgestürmt, berichtete Quadroni der «Republik». Man habe ihn an den Haaren aus dem Auto gezerrt und gewaltsam auf den Boden gedrückt. Zehn Minuten hätten die Männer auf ihm gekniet. Die Polizei wollte sich zum Vorfall nicht äussern.

Dann wird der Whistleblower in Handschellen und mit verbundenen Augen zunächst auf den Polizeiposten in Scuol geführt. Dort wird er vom zuständigen Amtsarzt untersucht und in die Psychiatrie in Chur zwangseingewiesen. Die Einweisung sei «noch knapp vertretbar» gewesen, schreibt Brunner in seinem Bericht.

Am selben Tag und am Folgetag werden an Quadronis Wohnort und in der Alphütte Hausdurchsuchungen durchgeführt. Die Beamten finden dabei nur einen alten Munitionsgurt. Dazu Brunner: «Beide Hausdurchsuchungen wurden unter Verletzung von polizeirechtlichen Vorgaben durchgeführt und sind als nicht rechtmässig zu beurteilen.»

Auch Kesb in der Kritik

Noch während der Einweisung Quadronis zieht seine Ehefrau zusammen mit den Kindern in ein Frauenhaus. Ein Vertreter der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) besucht die «stark belastete und wohl überforderte» Frau. Das Gespräch wird nicht dokumentiert. Die Kesb verzichtet darauf ein, Verfahren zu eröffnen – ein solches wäre gemäss Brunner allerdings angezeigt gewesen.

Vier Tage nach der Einweisung entlassen die Ärzte Quadroni wieder aus der Klinik. Für sie gibt es keine Hinweise auf Gefährlichkeit oder Suizidgedanken.

Mitte November 2017 verlangt die Polizei die Herausgabe von Gegenständen von Quadroni, die die Ehefrau und die Kinder für sich beanspruchen. Weil keine Rechtsgrundlage zur Herausgabe besteht, mussten die Beamten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Sie klingeln aber am selben Morgen noch einmal bei Quadroni. Diesmal zeigen sie eine superprovisorische Verfügung des Gerichtspräsidenten vor. Es kommt zum Streit.

Quadroni, wie auch dessen Schwester, die sich laut Bericht eingemischt hatte, werden in Handschellen gelegt. Brunner verurteilt scharf, dass der Schwester Handschellen angelegt wurden und auch bei Quadroni hält er das für fragwürdig.

Es soll weder zu Gewalt noch zu einer Drohung gekommen sein bei diesem Einsatz. Der Vorfall könnte strafrechtliche Folgen für die beteiligten Sicherheitsbeamten haben.

Vor allem der Kantonspolizei im Unterengadin stellt Andreas Brunner ein miserables Zeugnis aus: «Der Fall AQ hat sehr deutlich gezeigt, dass bei der Kantonspolizei zumindest im Unterengadin die handwerklichen Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung des Polizeigesetzes und den darauf basierenden Dienstanweisungen auf allen Stufen des Korps entschieden zu verbessern sind.»

Postenchef bestimmte alles

Brunner bemängelt auch, dass der Chef des Polizeipostens im Fall Quadroni praktisch alles im Alleingang bestimmte. Die vorgesetzten Offiziere hätten ihre Führungsaufgabe «kaum wahrgenommen» und die Anträge aus dem Polizeiposten «bloss abgenickt».

Wie kritisch Brunner das Wirken der involvierten Behörden und Polizeikräfte beurteilt, zeigt auch, dass er insgesamt 19 Verbesserungsempfehlungen abgibt. Seine Kritik weist in dieselbe Richtung wie gestern schon jene der fünfköpfigen parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) des Bündner Kantonsparlaments, die einen 270 Seiten starken Teilbericht vorlegte.

Zu einer Verbandelung des Baukartells mit Polizei und Behörden fanden bisher aber weder die PUK noch Brunner konkrete Hinweise oder Beweise. Das Magazin «Republik» legt nun aber ein Dokument vor, das eine solche direkte Verbindung belege. Diese soll zwischen dem Kartell und möglicherweise begünstigten Personen bestehen, die wiederum mit zwei Behördenmitgliedern von Polizei und Sozialdienst eng verbunden sind. Die Anzeichen verdichten sich also.

Zum Baukartell-Skandal sind noch weitere Untersuchungen im Gang. So wurde auch ein ausserordentlicher Staatsanwalt von der Kantonsregierung beigezogen, um Strafuntersuchungen zu führen. Ein Bericht darüber wird erst nächstes Jahr publiziert.

Diese Strafuntersuchungen werden geleitet von Urs Sutter, der früher Assistent der Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden war und danach Staatsanwalt des Kantons Obwalden. Er überprüfte als ausserordentlicher Staatsanwalt die Verhaftung Quadronis Mitte Juni 2017 und weitere Polizeieinsätze auf strafrechtlich relevantes Fehlverhalten.

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