Sonja Berger (51) treibt die aktuelle Weltlage ein paar Sorgenfalten auf die Stirn. Nicht aus politischen Gründen. Sie hat ihr Geld an der Börse angelegt. Jetzt, wo Gas und Öl knapp werden, US-Dollar und Euro in den Keller rasseln, öffnet sie jeden Tag eine App für Anlegerinnen und Anleger auf ihrem Handy. Verfolgt dort die Kursveränderungen mit der gleichen Spannung wie einen Wallander-Krimi. Sie sagt: «Ich sehe jeden Tag, wie mein Geld davonschwimmt.» Und lächelt, weil richtig ernst ist es noch nicht. Aber es beschäftigt sie. Geldfragen beschäftigen sie. Das ist neu.
Sonja Berger, zweifache Mutter, ist stolz. Sie hat ihre Finanzen unter Kontrolle. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Ganz anders vor ihrer Scheidung vor einem Jahr. «Ich hatte absolut keinen Plan, wie es um mein Geld stand.»
Rein privat. Denn beruflich kann man ihr, mit dem glatt gebügelten weissen Ralph-Lauren-Hemd, nicht viel vormachen. Sie hat Betriebswirtschaft studiert. Ist selbständig, schult Firmen in Social-Media-Fragen. Trotzdem: Lange wusste sie nicht, wie viel Geld in ihrer Pensionskasse deponiert war, wie viel sie für die Krankenkasse zahlte oder wie hoch die Telefonkosten waren. Bei der Scheidung kam sie auf die Welt. Sie sagt: «Was die Finanzen anging, war ich blauäugig.»
Trübe Zukunftsaussichten
Wie ihr geht es vielen Frauen. Das zeigt die Debatte rund um die AHV-Abstimmung vom 25. September. Eigentlich sollten uns die drei Vorsorge-Säulen AHV, Pensionskasse und privates Sparen im Alter absichern. Doch faktisch gilt das nur für Männer. Frauen stehen finanziell schlecht da. Ein Bericht des Bundesrats von dieser Woche zeigt: Sie bekommen im Alter über alle Säulen gesehen 34,6 Prozent weniger Rente als Männer – das sind fast 19’000 Franken. Vor allem wegen der zweiten Säule: Sieben von zehn Männer erhalten eine Pensionskassenrente, bei den Frauen ist es nur jede Zweite.
Das sind die drei Säulen: die für alle Einwohner obligatorische AHV, die für die meisten Erwerbstätigen obligatorische berufliche Vorsorge (Pensionskassen, PK) und die freiwillige Selbstvorsorge (3a oder Sparkonto). Die Idee dahinter: Die erste Säule sichert die Existenz. Zusammen mit der beruflichen Vorsorge soll sie im Pensionsalter 60 Prozent des bisherigen Einkommens abdecken. Die dritte Säule ergänzt diese und soll mithelfen, den gewohnten Lebensstandard zu sichern. Die AHV funktioniert nach dem Umlageverfahren: Mit den Beiträgen der wirtschaftlich aktiven Generation finanziert man unmittelbar die Renten. Es wird kein Geld angespart. Anders die zweite Säule, die auf dem Kapitaldeckungsverfahren basiert. Auf einer Art Sparkonto: Jede Person spart für sich selbst. Genauso wie bei der 3a-Säule, bei der man monatlich auf ein Konto bei einer Bank oder Versicherung einzahlt. Diese Beträge kann man von den Steuern abziehen.
Das sind die drei Säulen: die für alle Einwohner obligatorische AHV, die für die meisten Erwerbstätigen obligatorische berufliche Vorsorge (Pensionskassen, PK) und die freiwillige Selbstvorsorge (3a oder Sparkonto). Die Idee dahinter: Die erste Säule sichert die Existenz. Zusammen mit der beruflichen Vorsorge soll sie im Pensionsalter 60 Prozent des bisherigen Einkommens abdecken. Die dritte Säule ergänzt diese und soll mithelfen, den gewohnten Lebensstandard zu sichern. Die AHV funktioniert nach dem Umlageverfahren: Mit den Beiträgen der wirtschaftlich aktiven Generation finanziert man unmittelbar die Renten. Es wird kein Geld angespart. Anders die zweite Säule, die auf dem Kapitaldeckungsverfahren basiert. Auf einer Art Sparkonto: Jede Person spart für sich selbst. Genauso wie bei der 3a-Säule, bei der man monatlich auf ein Konto bei einer Bank oder Versicherung einzahlt. Diese Beträge kann man von den Steuern abziehen.
Geht es um die Vorsorge, geht es um Arbeit. Und da hakt es für Frauen. Sie arbeiten oft in schlecht bezahlten Berufen, werden nicht Ingenieurin, sondern Altenpflegerin. Für gleiche Jobs bekommen sie nicht gleich viel Lohn wie ein Mann. Was am meisten ins Gewicht fällt: Wenn Kinder kommen, sind es die Mütter, die zurückstecken. Das Bundesamt für Statistik weiss: 80 Prozent der Frauen sind erwerbstätig, doch sechs von zehn davon Teilzeit, viele haben Mini-Pensen. Zum Vergleich: Acht von zehn Männern arbeiten Vollzeit.
Die Bayerin Sonja Berger kam vor 25 Jahren wegen ihres Ex-Manns in die Schweiz. Später arbeitete sie als Beraterin in einer IT-Unternehmensberatung, verdiente gut, 10’000 Franken. Dann kamen ihre zwei Söhne. Erst reduzierte sie ihr Pensum, gab ihren Job ganz auf, als der Grosse in den Kindergarten kam. Sie sagt: «Ich hatte keine andere Wahl.» Die Familie wohnte in Oberbuchsiten SO, auf dem Land. Kinderkrippen oder Mittagstisch gab es keine. Für einige Jahre drehte sich ihr Leben um den Haushalt, Hausaufgaben und den Fussballtrainingsplan des Sohnes. Ihr Mann hingegen machte sich selbständig, startete durch. Berger bezahlte das mit ihrer Vorsorge: Über acht Jahre lang floss kein Rappen in ihre Pensionskasse. Sie sagt: «Als junge Mutter hatte ich so viel Alltagsstress, dass ich mir keine Gedanken über Geld machte.»
Geld ist tabu
Genau das verschärft die finanzielle Ungleichheit: Das Thema Geld ist bei Frauen tabu. Sie scheuen es. Sprechen nicht darüber. Weil sie glauben, sich nicht damit auszukennen – das zeigen mehrere Studien. Die Folge: Sie überlassen es dem Mann. Das Forschungsinstitut Sotomo hat herausgefunden: Bei sieben von zehn Schweizer Paaren kümmert sich der Mann um die Finanzen. Männer werden in Geldfragen immer schlauer, Frauen nicht.
Das spürt die Frauenzentrale Zürich. Sie berät Frauen in Vorsorge- und Budgetfragen. 75 waren es im letzten Jahr. Geschäftsführerin Olivia Frei sagt: «Wir sehen regelmässig, dass Frauen einen Schrecken erleben.» Viele schieben das Thema Geld bis ein paar Jahre vor der Pensionierung vor sich her. Sie verlassen sich auf den Partner. Frei sagt: «Die Ehe ist heute keine Altersvorsorge mehr.»
Die Ehe ist unsicher geworden. Die Scheidungsrate hoch. Und im Eherecht findet derzeit ein Paradigmenwechsel statt. Das Bundesgericht hat die Praxis verschärft. Lange galt bei einer Scheidung: Die Frau bekommt Alimente zugesprochen, mit denen die Kinder und sie selber versorgt sind. Vor allem wenn die Ehe zehn Jahre dauerte oder ein Kind aus ihr hervorgegangen ist – Juristendeutsch: wenn sie «lebensprägend» war. Das ändert sich gerade. Im März hielt das Bundesgericht in einem Urteil fest: «Das Vorhandensein gemeinsamer Kinder allein» reicht nicht mehr aus, damit dem betreuenden Elternteil «gebührender Unterhalt» zusteht. Im Jahr zuvor sagte es schon: Eine Ehe ist nicht mehr automatisch lebensprägend – also lebensversichernd. Und eine über 45-jährige Hausfrau kann aus Sicht des Gerichts wieder ins Berufsleben einsteigen – das war davor undenkbar.
Sprich über Geld
Olivia Frei, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Zürich, sagt: «Rede mehr und offener über Geld.» Mit Freundinnen, mit Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen. Wer sich gewohnt ist, darüber zu sprechen, sei selbstbewusster in Lohnverhandlungen.
Halte dein Geld zusammen
Schau dir deine Bank genau an: Zahle ich zu viel Gebühren? Und: Beobachte jeden Monat, was reinkommt und rausgeht. Die Finanzexpertin Corinne Brecher rät: «Lege einen Notgroschen zur Seite, den du nicht anrührst.» Was dann übrig bleibe, sei ein Sparbetrag, der über einen Sparplan langfristig angelegt werden könne. Generell gilt, sagt Brecher: «Geld anlegen ist auch schon mit kleinen monatlichen Beträgen möglich.»
Beziehe den Partner mit ein
Sobald die Frau für die Familie das Pensum reduziert, sollte ein Paar über seine Vorsorge sprechen. Olivia Frei von der Frauenzentrale sagt: «Bei manchen Paaren kompensiert der Partner den Lohnausfall.» Indem er beispielsweise in ihre dritte Säule einzahlt.
Verhandle den Lohn
Kerstin Windhövel, Dozentin für Vorsorge an der Kaleidos Fachhochschule, sagt: «Frauen sollten bei Vorstellungsgesprächen mehr ihre Kompetenzen in den Vordergrund stellen und dann einen guten Lohn fordern.» Wenn man dem HR-Menschen erzählt habe, wo man überall nicht sattelfest sei und dazulernen müsse, fehle dafür der Mut. Ihr Tipp: Google, wie hoch das Durchschnittseinkommen auf dem Beruf ist, und schlage noch mal 10 bis 15 Prozent drauf. Dann kann man runterhandeln. Windhövel sagt: «Wer zu tief reingeht, holt das nicht wieder auf.»
Sprich über Geld
Olivia Frei, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Zürich, sagt: «Rede mehr und offener über Geld.» Mit Freundinnen, mit Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen. Wer sich gewohnt ist, darüber zu sprechen, sei selbstbewusster in Lohnverhandlungen.
Halte dein Geld zusammen
Schau dir deine Bank genau an: Zahle ich zu viel Gebühren? Und: Beobachte jeden Monat, was reinkommt und rausgeht. Die Finanzexpertin Corinne Brecher rät: «Lege einen Notgroschen zur Seite, den du nicht anrührst.» Was dann übrig bleibe, sei ein Sparbetrag, der über einen Sparplan langfristig angelegt werden könne. Generell gilt, sagt Brecher: «Geld anlegen ist auch schon mit kleinen monatlichen Beträgen möglich.»
Beziehe den Partner mit ein
Sobald die Frau für die Familie das Pensum reduziert, sollte ein Paar über seine Vorsorge sprechen. Olivia Frei von der Frauenzentrale sagt: «Bei manchen Paaren kompensiert der Partner den Lohnausfall.» Indem er beispielsweise in ihre dritte Säule einzahlt.
Verhandle den Lohn
Kerstin Windhövel, Dozentin für Vorsorge an der Kaleidos Fachhochschule, sagt: «Frauen sollten bei Vorstellungsgesprächen mehr ihre Kompetenzen in den Vordergrund stellen und dann einen guten Lohn fordern.» Wenn man dem HR-Menschen erzählt habe, wo man überall nicht sattelfest sei und dazulernen müsse, fehle dafür der Mut. Ihr Tipp: Google, wie hoch das Durchschnittseinkommen auf dem Beruf ist, und schlage noch mal 10 bis 15 Prozent drauf. Dann kann man runterhandeln. Windhövel sagt: «Wer zu tief reingeht, holt das nicht wieder auf.»
Olivia Frei warnt deshalb vor Altersarmut. Sagt, Frauen sollten sich frühzeitig mit Finanzfragen auseinandersetzen. Und rät: «Arbeitet nicht unter 70 Prozent.» Genau das sagte kürzlich die Pro-Senectute-Präsidentin Eveline Widmer-Schlumpf in der «NZZ am Sonntag». Und eckte an damit. Die Kritik von Links: Man schiebe damit die Verantwortung auf die Frauen ab. Es sei das System, das Frauen benachteilige, das falsch sei.
Vielleicht muss man einen Schritt zurück machen, um zu verstehen, warum Frauen Teilzeit arbeiten. Warum sie schlechter bezahlt werden. Warum sie sich weniger um Geld kümmern.
Einen Schritt zurück in die Siebzigerjahre. Zur Zeit, als der Schweizer Erfolgsfilm «Die göttliche Ordnung» spielt. Er beleuchtet die späte Einführung des Frauenstimmrechts. Darin sagt die Hauptfigur Nora zu ihrem Mann: Nur putzen und Socken waschen sei langweilig und mache sie unglücklich. Sie würde gerne wieder arbeiten gehen, als Sekretärin in einem Reisebüro. Doch ihr Gatte verbietet es. Und das ist der Punkt. Bis 1988 besagte das Schweizerische Eherecht, dass der Mann das Oberhaupt der Familie sei – und als solches darüber bestimmt, ob die Frau arbeiten darf. Selbst für ein eigenes Bankkonto brauchte sie bis in die Siebzigerjahre die Erlaubnis des Ehemanns. Frauen und Finanzen – das ging lange nicht zusammen. Das wirkt bis heute nach.
Trend: Anlagekurse für Frauen
Für Sonja Berger war irgendwann klar: «Nur Hausfrau kann’s nicht sein, ich bin zu gut ausgebildet.» Sie machte an der Universität St. Gallen einen Studiengang für Berufs-Wiedereinsteigerinnen, gründete ihre Firma Blueinthemiddle. Und als die Scheidung anstand, sagte sie sich auch privat: «Jetzt musst du deine Finanzen in die Hand nehmen.»
Sie meldete sich bei der Finanzexpertin und Coach Corinne Brecher. Diese betreibt einen Blog, gibt Kurse für Geldanlagen. Sie will Frauen sensibilisieren, sagt: «Frauen müssen ihr Geld aktiv investieren und ihre Finanzen langfristiger planen, um eine allfällige Altersarmut zu verhindern.»
Investieren, anlegen, um fürs Alter vorzusorgen – dieser Gedanke ist für viele Frauen neu. Doch er erhält Schub. Im Netz häufen sich die Angebote speziell nur für Frauen: Her Money, Fortunalista, Geldfreundinnen, Madame Moneypenny oder Smart Purse – so heissen die Plattformen. Sie vermitteln Basiswissen rund ums Thema Geld und Investieren. Das Konzept hat Erfolg, sagt Corinne Brecher. Allein bei ihr besuchen jedes Jahr rund 300 Frauen einen Online-Anlagekurs. «Viele entwickeln sogar eine richtige Begeisterung, wenn sie mal die erste Hemmschwelle überwunden haben», sagt sie.
Auch Sonja Berger besuchte einen Kurs. Legte dann das Geld aus der Scheidung an. Sie sagt: «Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht zu stark mit den Anlagen beschäftige.» Jetzt, wo sie weiss, wie’s geht, interessiert sie, was passiert. Was sich auch geändert hat: ihr Umgang mit Geld. «Ich gebe es nun viel bewusster aus.»