Das meint SonntagsBlick
Unsere helvetische Misstrauenskultur

Über Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung redete man in der Schweiz bisher kaum. Betroffene fühlen sich alleingelassen. Nicht ernst genommen. Diese Entsolidarisierung und Misstrauenskultur ist auch jenen Missbrauchsdebatten geschuldet, die vor Jahren die SVP lostrat.
Publiziert: 31.01.2021 um 11:43 Uhr
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Tobias Marti, Reporter SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer
Tobias Marti

Irgendwann wird die Pandemie gestoppt sein. Der Moment der Normalität, das Leben vor Corona, wie es sich alle sehnlichst herbeiwünschen, wird für Zehn­tausende Menschen in der Schweiz aber nicht mehr wiederkommen. Die Rede ist von jenen Menschen, die zwar von Covid geheilt wurden, deswegen aber noch lange nicht gesund sind.

Sie leiden an Long Covid. Über diese Langzeitfolgen einer Covid-­Erkrankung redete man in der Schweiz bisher kaum. Keine offizielle Behördeninformation, ­keine Sprechstunden oder spezi­fische Behandlungs- und Reha-­Angebote. Betroffene fühlen sich ­alleingelassen. Nicht ernst genommen. Hilflos.

Peinlich für das Land mit dem ­offiziell besten Gesundheitssystem Europas – und dem teuersten der Welt (zusammen mit den USA). Das Ausland macht es besser. In England haben sich bereits über 60 Kliniken für Long-Covid-Betroffene zusammengeschlossen, der National Health Service (NHS) nahm Mil­lionen in die Hand. In Deutschland haben mehrere Spitäler eine «Post-Covid-Ambulanz».

Warum kümmern wir uns nicht um dieses Problem? Es ist höchste Zeit dazu. Long Covid wird nicht verschwinden. Im Gegenteil. Für die Krankenkassen und die Sozialversicherungen wie die IV und die Unfallversicherung dürften die Langzeit­folgen zum Stresstest werden.

Hat es damit zu tun, dass wir den Betroffenen nicht glauben? Viele ­Patienten der ersten Welle können keinen Test vorweisen, weil sie sich damals nicht testen lassen durften. Viele Symptome sind nicht greifbar. Manchmal kaum messbar. Die Schatten auf der Lunge sind längst wieder weg, die Atemnot aber blieb. Oder wie misst man Fatigue, also chronische Müdigkeit und Erschöpfung?

Bereits vor der Pandemie gab es unsichtbare Leiden, wie etwa Schleudertraumata, die von den Ver­sicherern misstrauisch beäugt wurden. IV-Rentner werden seit Jahren gezielt in die Sozialhilfe abgeschoben, wie SonntagsBlick aufgedeckt hat. Depressiven wird systematisch eine IV-Rente verweigert.

Diese wachsende Entsolidarisierung und Misstrauenskultur ist unter anderem jenen Missbrauchsdebatten geschuldet, die vor Jahren die SVP lostrat. Und auch jetzt schüren Teile der Partei bereits fleissig den Unfrieden. Wie jüngst der abgewählte SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli in der «Weltwoche»: Die «Pandemie solcher Rentenansprüche» werde die Covid-Pandemie um Jahrzehnte überleben, warnte Mörgeli. Und deckte die ­Betroffenen gleich noch mit einem Sprüchlein ein: «Als der Kranke genas, war er ärger als zuvor.» Das ist zynisch und geschmacklos.

In Bundesbern gab es für Betroffene diese Woche immerhin erste Good News. Die Gesundheitskommission des Ständerats wollte ­wissen, wie es um die Betreuung von Long-Covid-Betroffenen steht und insbesondere wer deren Therapien finanziert.

Es geht also wieder mal zuerst ums Geld, aber zumindest geht was.

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