Die Pandemie bringt von allem das Schlechteste zum Vorschein. Und das Beste.
Im Herbst waren viele Kantone ausserstande, auf den Anstieg der Infektionen angemessen zu reagieren – die Zahl der Corona-Toten schnellte in die Höhe. Als Gegenbeispiel tut sich jetzt Graubünden positiv hervor. Vor einer Woche berichtete SonntagsBlick darüber, in der aktuellen Ausgabe vertiefen wir das Thema weiter: Die Behörden im Bergkanton wollen die Ausbreitung des Virus durch regelmässiges Testen eines grossen Teils der Bevölkerung verhindern. Gelingt das Experiment, bräuchte es weniger Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die Bündner hätten viel Freiheit zurück, der Kanton würde zum Vorbild fürs ganze Land, der Föderalismus wäre rehabilitiert.
Die tödliche Trödelei vom Herbst auf der einen, der Bündner Feldversuch auf der anderen Seite: In beiden Fällen spielt die Nähe der kantonalen Politik zur Wirtschaft vor Ort eine Rolle. Es kam zur Katastrophe, weil die Regierungsräte das Gewerbe nicht mit Geschäftsschliessungen behelligen wollten. Es kommt nun zur Testoffensive, weil man in Chur jenem Bergbahnbetreiber aus der Surselva ein offenes Ohr lieh, der als Erster die Idee dazu hatte.
Nähe allein gibt also keinen Hinweis darauf, wie wir durch die Krise kommen. Entscheidend ist, ob sich aus der Nähe zwischen Staat und Wirtschaft echte Zusammenarbeit ergibt. Einfach die Einkaufsläden offen halten, ist keine Kooperation, sondern Komplizenschaft. Was es in der Krise wirklich braucht, sind ungewöhnliche Denkansätze. Hier kommt die Wissenschaft ins Spiel.
Während die Nagelprobe fürs Bündner Modell noch aussteht, hat sich die Kooperation von Staat, Wirtschaft und Forschung bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs bereits bewährt: beim Vakzin von Moderna, das auf einer völlig neuen Technologie beruht und von dem die Schweiz 7,5 Millionen Dosen bestellt hat.
Moderna wurde erst 2010 in den USA gegründet, kurz nachdem Präsident Obama grosszügige Geldspritzen für die Entwicklung einer neuen Generation von Impfungen in Aussicht gestellt hatte. Bis 2015 erhielt Moderna für seine Forschungen 150 Millionen Dollar aus Washington. In den letzten Monaten – als es konkret um Covid ging – überwies die Regierung Trump dann sogar 2,5 Milliarden Dollar.
Das Gegenstück zur Erfolgsstory von Moderna haben wir im SonntagsBlick vor zwei Wochen erzählt. Es ist die Geschichte von Steve Pascolo, der heute als Privatdozent am Unispital Zürich tätig ist. 2004 publizierte Pascolo den allerersten Übersichtsartikel, der je über genau die Technologie verfasst wurde, mit der Moderna nun arbeitet. Leider nur wollte hierzulande nie jemand Pascolos Forschung finanziell unterstützen.
Die Pandemie kann das Beste zum Vorschein bringen, wenn Akteure aus unterschiedlichen Bereichen gemeinsam neue Wege beschreiten. Denn wenn das Haus brennt, führt der altbewährte Weg durch die Wohnungstür plötzlich ins Verderben. Die Pandemie bringt das Schlechteste zum Vorschein, wenn dieser Geist der Offenheit fehlt.