«Meine Töchter haben geweint»
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Fabienne Patriarca (40):«Meine Töchter haben geweint»

Chindsgi Ingenbohl verweigerte Giulia das Vollpensum
Mutter enthüllt traumatische Erfahrungen ihrer Tochter

Streit in Ingenbohl SZ: Familie Patriarca kämpft sechs Monate lang, bis ihre Tochter endlich die volle Stundenzahl in den Kindergarten darf. Es war nicht der erste solche Fall, wie Blick-Recherchen zeigen.
Publiziert: 10:06 Uhr
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Aktualisiert: 10:10 Uhr
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Die beiden Zwillingsschwestern Giulia (6, links) und Alessia (6) sind ein Herz und eine Seele. Doch Giulia durfte den gemeinsamen Kindergarten in Ingenbohl lange nicht im gleichen Rahmen wie ihre Schwester besuchen. Wegen einer Entwicklungsverzögerung ist sie auf zusätzliche Betreuung angewiesen.
Foto: Fabienne Patriarca

Auf einen Blick

  • Familie Patriarca kämpft für Vollpensum ihrer Tochter im Kindergarten Ingenbohl
  • Schule reduzierte Giulias Pensum ohne Begründung, Eltern schalteten Anwalt ein
  • Nach 6 Monaten Kampf erhält Giulia 16 Stunden Unterstützung im Kindergarten
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Beat MichelReporter

Giulia (6) und Alessia (6) Patriarca sind Zwillingsschwestern. Beide besuchen den Kindergarten Ingenbohl SZ. Während Alessia Vollzeit am Unterricht teilnehmen darf, wurde dieser Giulia bis vor wenigen Wochen teilweise verwehrt. Sie hat eine Entwicklungsstörung und ist sehr lebhaft. Weil sie mehr Betreuung braucht als andere Kinder, durfte sie nur in einem reduzierten Pensum in den Chindsgi.

Dabei wollte Familie Patriarca nur, dass beide Töchter nach dem Grundsatz der Inklusion in den Kindergarten gehen dürfen. Doch das gestaltete sich schwierig. Familie Patriarca blieb nichts anderes übrig, als Anwälte einzuschalten. Heute – ein halbes Jahr später – darf auch Giulia wieder regulär in den Kindergarten.

Traumatischer Start in Schulkarriere

Bereits der Start ins Chindsgi-Leben gestaltete sich schwierig. Die Mutter Fabienne Patriarca (40) erzählt: «Wir waren mit unseren Töchtern am Besuchstag, noch vor dem offiziellen Beginn. Damals muss bereits beschlossen worden sein, dass Giulia nur 10 von 16 Stunden in den Chindsgi darf. Bevor es überhaupt losging, eröffnete man uns, dass sie nur in diesem reduzierten Pensum kommen dürfe.»

Das Problem: Giulia bekommt wegen eines allgemeinen Entwicklungsrückstands vom kantonalen Amt für Volksschulen und Sport vier Stunden Heilpädagogik und sechs Stunden Klassenassistenz zugesprochen. Das leicht behinderte Mädchen erhält somit während zehn Stunden eine zusätzliche Person zur Betreuung. Was in den restlichen sechs Stunden passiert, lässt der Kanton offen. «Giulia hinkt in der Entwicklung etwa eineinhalb Jahre hinterher. Motorisch hat sie aber nur einen kleinen Nachteil», sagt die Mutter.

Ohne Assistenz wollen sich die damaligen Kindergärtnerinnen aber nicht um das ansonsten völlig normale Kind kümmern. Resultat: In den verbleibenden sechs Wochenstunden ist Giulia im Kindergarten nicht willkommen. Fabienne Patriarca wehrt sich. Sie wendet sich zunächst an die Kindergärtnerinnen, dann an die Schulleitung und schliesslich an die kantonale Verwaltung.

Rektor droht mit Rückstellung

Die Familie kämpft für ihre Tochter, beisst aber beim Rektor der Schule, Vincenzo Gallicchio, auf Granit. Dieser droht in einem E-Mail an die Eltern: «Bei Unvereinbarkeit oder ausstehender Antwort wird dem Schulrat ein Antrag zur Rückstellung unterbreitet.» Heisst: Fügen Sie sich den Vorgaben, oder Giulia darf gar nicht in den Kindergarten.

Erst als die Patriarcas einen Experten in Sachen Schulrecht engagieren, wanken die Mauern. Der Anwalt verlangt per E-Mail von der Schulleitung, Giulia mit der vollen Stundenzahl zu unterrichten. Als der Rektor sagt, dass er vom kantonalen Amt für Schulpsychologie zur Stundenkürzung angewiesen worden sei, fragt der Anwalt auch dort nach.

Der Kanton allerdings weiss von keiner solchen Anweisung. Nach einem Gespräch zwischen dem Anwalt und dem Kanton schicken die Patriarcas beide Töchter am 13. Dezember zum ersten Mal wieder regulär in die Schule. Der Rektor protestiert in einem E-Mail an die Eltern, lässt dem Geschehen dann aber seinen Lauf.

Kein Einzelfall

Am 19. Dezember erlässt das Amt für Volksschule und Sport dann die Verfügung, dass Giulia im vollen Pensum Unterstützung durch eine Klassenassistenz erhält und den Kindergarten somit normal besuchen könne. Im Schreiben wird ausdrücklich erwähnt, dass der Kanton keine Reduktion verfügt habe.  

Die Reduktion des Kindergartenpensums bei etwas lebhafteren Kindern in Ingenbohl ist kein Einzelfall. Auch die Kinder von der Krankenschwester Nicole Leuenberger (41) haben eine fast identische Geschichte erlebt, wie sie erzählt. Ihre zwei Buben sind heute sieben und zwölf Jahre alt. Während die Kindergartenzeit beim älteren Bruder unproblematisch verlief, wurde beim lebhafteren jüngeren Buben das Pensum reduziert. Und das, obwohl er sich nicht in einem integrativen Setting des Kantons befand.

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Kanton gibt Fehler zu

In einer Stellungnahme lehnt Rektor Gallicchio gegenüber Blick die Verantwortung ab. Die Gemeindeschule habe die Kürzung des Pensums nicht verfügt, schreibt er. Für die Zukunft aber verspricht er, dass dies nicht mehr passieren könne, ausser wenn es von oben verfügt würde.

Einzig die Vorsteherin des Amts für Volksschule und Sport, Tanja Grimaudo Meyer, gibt Fehler zu. Sie schreibt auf Anfrage: «Vorliegend ist seitens Amt bei der Aufgleisung der Umsetzung der Massnahme ein Fehler passiert, was zum reduzierten Pensum geführt hat. Nachdem der Fehler erkannt wurde, hat das Amt die Umsetzung des vollen Pensums initiiert und entsprechende Massnahmen ergriffen, damit das künftig nicht mehr passieren kann.» Warum es ganze sechs Monate gedauert hat – trotz massiver Gegenwehr der Eltern –, erklärt Tanja Grimaudo Meyer hingegen nicht.

Nach dem Streit haben alle Seiten verloren. Die Familie Patriarca stand monatelang unter extremem Stress, die Mädchen freuen sich zwar sehr über die gemeinsame Zeit am Chindsgi, aber es bleibt eine dunkle Erinnerung. Die beiden zuständigen Kindergärtnerinnen haben mittlerweile gekündigt.

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