Der Berg kommt noch immer, bisher aber nur in Zeitlupe. Weil die «Insel» aus Fels mit einem Volumen von 2000 Einfamilienhäusern weiterhin abzubrechen droht, steht Brienz GR nun schon seit neun Tagen leer. Alle Bewohnerinnen und Bewohner wurden evakuiert. Ihr Zuhause können sie lediglich durch den Feldstecher oder über Livestreams im Internet anschauen.
Es geht um 84 Personen. So viele hätten in einem einzigen Mehrfamilienhaus Platz. Wird in der Stadt ein Mehrfamilienhaus renoviert, zieht man einfach ins nächste. «In so einem Dorf ist das ganz anders», sagt Christian Gartmann, Mitglied des Gemeindeführungsstabs der Gemeinde Albula, zu der Brienz gehört. «Hier sind die Menschen teils seit Generationen verwurzelt. Brienz ist ihr Zuhause.»
Wohnungen dank grosser Solidarität
Die allermeisten sind im näheren Umkreis untergekommen, etwa bei Familie oder Verwandten. Etwa 15 haben die Gemeinde um Hilfe gebeten. Dank der grossen Solidarität fand man innert eines Tages für alle eine Bleibe. Mehr als 160 Wohnungen waren angeboten worden.
Für die Betroffenen bleibt es trotzdem eine riesige Herausforderung. Die Landwirte und ihr Vieh dürfen nicht auf ihre Höfe, alle Tiere stehen in fremden Ställen. Besonders schmerzlich: Jetzt wäre Heusaison, Zeit für die Bauern, ihre Wiesen zu bewirtschaften. «Es ist schwer zu akzeptieren, dass man jetzt nur warten kann, was der Berg macht», sagt Gartmann.
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Die Gemeinde hat eine Hotline eingerichtet. Die reagiert nicht nur auf Anfragen, sondern geht auch aktiv auf die Betroffenen zu. Da kommen laut Gartmann Fragen wie: «Was passiert mit dem Dorf, wenn die Insel kommt? Wie lange müssen wir noch warten?» Fragen, auf die auch die Verantwortlichen keine Antworten haben.
Wie viel löst sich aufs Mal?
Aktuell rechnet man damit, dass die Insel in den nächsten drei bis 20 Tagen abbricht. Was man nicht einmal ahnt: wie viel der zwei Millionen Kubikmeter sich aufs Mal lösen werden. Was mit dem Zuhause der Betroffenen passiert, kann nur in Szenarien und Wahrscheinlichkeitsrechnungen ausgedrückt werden.
Das Risiko eines verheerenden Bergsturzes, dass sich mindestens eine halbe bis zwei Millionen Kubikmeter Material auf einmal löst, wird auf rund zehn Prozent geschätzt.
Doch die Unsicherheit bleibt. Im besten Fall müssen die Betroffenen noch länger ausharren. Im schlimmsten wird eine Rückkehr unmöglich. Gartmann: «Wir haben ihnen gesagt, nehmt alles mit, was die Versicherung mit Geld nicht ersetzen kann. Nehmt alles mit, was ihr für die Bewältigung des Alltags braucht.»