«Ihr solltet nicht in der Zugluft sitzen. Ihr müsst warm haben um den Hals», sagt Margrith Müller-Bischof. Sie massiert ihre Ohren, klopft auf ihre Schenkel, lässt ihren Kopf kreisen. «Seid ihr nervös?» – «Nein», ertönt es im Chor. «Mit dr Zunge ums Muul fahre.» Die 25 Kinder folgen den Anweisungen ihrer Chorleiterin. Einturnen nennt sich das. Sie prusten wie Pferde, machen «brumm, brumm» wie ein Töff, rufen «hoiii Sepp» und «juhuuu, Gerda». Einsingen nennt sich das.
Margrith Müller, 49, aufgewachsen im Toggenburg, heute in Unterägeri im Kanton Zug zu Hause, trägt die Haare kurz, bis auf eine einzelne lange Strähne hinter dem linken Ohr. Sie spricht die Wörter «gaaaaanz» deutlich aus und tritt nah an jedes Kind heran, um genau hinzuhören. Sie steht unter Druck. Es ist die vorletzte Probe des Chinderjodelchörli Ägerital. In einer Woche findet das 31. Eidgenössische Jodlerfest in Zug statt. Endlich, zum ersten Mal seit sechs Jahren. Das letzte fiel aufgrund der Pandemie aus. Der ganze Kanton ist in Aufruhr, an jeder Ecke blicken drei Musiker in Tracht von den Plakaten. Im Hintergrund eine Schweizerfahne, ein Alphorn und der See.
Jodeln für alle
Für das Fest haben Margrith Müller-Bischof und ihre Jodlerkollegin Nicole Ochsner (46) extra einen Projektchor gegründet. Das Ziel: Alle Kinder aus dem Kanton Zug sollen mitjodeln können. Nicht nur diejenigen, die bereits im Chor singen oder deren Eltern waschechte Jodler sind. Alle Primarschulen wurden angeschrieben. Das Ergebnis: 150 Kinder treten am Samstag gemeinsam als Zuger Jungjutzer auf. Geprobt wurde mit einem Teil der Kinder Ende April, in Komplettbesetzung vor dem Auftritt. Ansonsten üben die Kinder separat.
Fans der Volksmusik und des Schweizer Brauchtums mussten sich sechs Jahre gedulden. Doch dieses Wochenende findet wieder ein Eidgenössisches Jodlerfest statt. Und zwar in Zug. Im Wettbewerb treten mehrere Tausend aus den Sparten Jodeln, Fahnenschwingen und Alphornblasen in diversen Lokalitäten an. Abseits der Vorträge gibt es ein buntes Rahmenprogramm für die rund 150'000 erwarteten Besucherinnen und Besucher.
«An drei Tagen treffen sich Jung und Alt, um gemeinsam echte und uralte Schweizer Traditionen zu pflegen. Mit diesem Fest werden schweizerische Werte zum Ausdruck gebracht», sagt Karin Niederberger, Präsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbandes.
Das Jodlerdorf und die Jodlermeile sind zentral gelegen, entlang des Zuger Seebeckens, in unmittelbarer Nähe der Vortragslokale und des Bahnhofs Zug. Freitag, 16. Juni, ab 10 Uhr bis Sonntag, 18. Juni 2023, um ca. 22 Uhr.
Fans der Volksmusik und des Schweizer Brauchtums mussten sich sechs Jahre gedulden. Doch dieses Wochenende findet wieder ein Eidgenössisches Jodlerfest statt. Und zwar in Zug. Im Wettbewerb treten mehrere Tausend aus den Sparten Jodeln, Fahnenschwingen und Alphornblasen in diversen Lokalitäten an. Abseits der Vorträge gibt es ein buntes Rahmenprogramm für die rund 150'000 erwarteten Besucherinnen und Besucher.
«An drei Tagen treffen sich Jung und Alt, um gemeinsam echte und uralte Schweizer Traditionen zu pflegen. Mit diesem Fest werden schweizerische Werte zum Ausdruck gebracht», sagt Karin Niederberger, Präsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbandes.
Das Jodlerdorf und die Jodlermeile sind zentral gelegen, entlang des Zuger Seebeckens, in unmittelbarer Nähe der Vortragslokale und des Bahnhofs Zug. Freitag, 16. Juni, ab 10 Uhr bis Sonntag, 18. Juni 2023, um ca. 22 Uhr.
So etwa das Chinderjodelchörli Ägerital. Jeden zweiten Mittwoch treffen sie sich in der Gewerbezone von Unterägeri ZG. Lukas (vanilleblondes Haar, Edelweiss-T-Shirt, Chüeligurt) und Viola (mit Zahnlücke und rotem Shirt mit «Lusmaitli»-Aufdruck) sind erst seit ein paar Monaten im Chinderchörli. «Mir macht jodeln Spass», sagt Lukas. «Ich finde es super, dass wir in der Gruppe singen», sagt Viola. Violas Mama jodelt. Bei Lukas sind es die Tanten, seine Mutter spielt Akkordeon. Sie hatten schon einen Auftritt mit dem Chor, aber an einem Eidgenössischen waren sie noch nie. Beim letzten, 2017 in Brig VS, waren die beiden gerade mal drei Jahre alt.
Zum Auftritt mit den Zuger Jungjutzern sagt Lukas: «Wir singen mit Kindern von der International School.» Er wird «international» noch ein paar Mal auf Englisch aussprechen und immer etwas Mühe haben mit dem Wort. Es sei schon «verruckt», die meisten dieser Kinder sprächen nur Englisch und hätten schweizerdeutsche Wörter so schnell gelernt.
Er meint damit etwa JJ (10) und Zoe (11) von der Internationalen Schule Zug und Luzern (ISZL), die Teil der 150 Zuger Jungjutzer sind und am Jodlerfest in Zug auftreten werden. JJ ist aus Norwegen, Zoe halb Ungarin, halb Engländerin. «Für mich ist jodeln schwierig, es ist nicht so normale Musik», sagt JJ. Und er könne das «chhhh» nicht aussprechen. Zoe hat schon Jodellieder gehört, sie sei in der Schweiz aufgewachsen und habe jetzt auch den Schweizer Pass. JJ hört am liebsten Rap – das sei etwas ganz anderes. Stolz zeigt die Chorleiterin der Schule, Kirsty Kelly (38) ein Video. Es ist die Aufführung des Musicals Hamilton, bei der JJ auf der Bühne rappt. Nervös sind beide. «Ich habe noch nie vor so vielen Menschen gesungen», sagt JJ. «Es kommen 150'000 Leute!», sagt er und kann es selber kaum glauben. Ihre Eltern sind begeistert und wollen nun ständig, dass ihre Kinder zu Hause vorjodeln.
Integration durch singen
Zum Jodeln kamen die Kinder durch ihre Chorleiterin. Die Schottin Kirsty Kelly ist seit zehn Jahren Musiklehrerin an der ISZL. Sie sah den Aufruf der Jodlerinnen und meldete sich. «Ich schaue immer, wo wir als Chor auftreten können. Wir möchten uns integrieren», sagt Kelly. Ihr Schulchor singt etwa im Altersheim oder in der Weihnachtszeit in Zürich beim «Singing Christmas Tree». «Man sieht uns immer als Schule auf dem Hügel, in der alle Englisch sprechen. Aber wir leben hier und wollen auch Teil der Gemeinschaft sein.»
30 Expat-Kinder zwischen acht und elf Jahren singen bei den Zuger Jungjutzern mit. Für die Schüler, die insgesamt aus 54 verschiedenen Nationen kommen, sind jodeln und singen auf Schweizerdeutsch eine Herausforderung. Eine Lehrerin übt mit den Kindern extra die Aussprache der schweizerdeutschen Wörter. «Gahn i zum Grosi übers Land, so chunds mer immer z'Sinn, das Guggerzytli a der Wand, wo's het im Stübli drin», lautet etwa eine Zeile des Liedes «s Guggerzytli». Vier Lieder sind im Repertoire und alle müssen sie auswendig können. Beim Jodeln hat man weder Noten noch Text in der Hand. Doch vor Ort auf dem Hauptplatz des Campus in Baar ZG geben die Chorkinder eine Kostprobe vom «Guggerzytli». Und es zeigt sich: Sie sind bestens vorbereitet.
Die meisten Kinder aus dem Chinderjodelchörli sind mit dem Volkstümlichen und jodelnden Tanten aufgewachsen. Für die Kinder der Internationalen Schule ist das Jodeln ein grosses Abenteuer. Die Kinder haben kaum Berührung mit Schweizer Brauchtum, sie sind hier, weil ihre Eltern hier arbeiten. In der Schule bemüht man sich aber, dass sie Kultur und Traditionen kennenlernen. Und so gab es beim ersten Treffen zwischen den Jodel- und den Expat-Kindern keinerlei Berührungsängste. «Gesang öffnet und verbindet», sagt Ochsner. Das sieht auch Kelly so: Egal, welche Sprache ein Kind spreche, bei der Musik gebe es keine Grenzen.
Mit dem Jodeln gross geworden
Jetzt hofft Projektleiterin Nicole Ochsner nur noch, «dass kein Kind verloren geht». Bis zu 150'000 Besucher werden erwartet, darunter die 150 Kinder, die pünktlich um 14.30 Uhr auf dem Landsgemeindeplatz auftreten sollen. «Wir haben diese Armbändeli, auf die man den Namen und die Nummer des Kindes schreibt, schon verteilt», sagt Ochsner. Sie ist seit 2008 im Jodlerklub vom Ägerital. Das Volkstümliche sei in ihrer Familie immer wichtig gewesen, aber gejodelt habe niemand. Ochsner probierte es und merkte: Jodeln öffnet die Seele. Man kann dabei viel vergessen. «Es tut mir gut.»
Ein bisschen anders ist es bei Kollegin Margrith. Sie ist ein Jodler-Unikat. Sie wuchs in Stein SG auf, kennt das Jodeln von klein auf und war bereits als Kind im dorfeigenen Jodelchörli. In Unterägeri ist sie seit 30 Jahren im Klub, vor zwölf Jahren war sie Mitgründerin des Chinderjodelchörli. Was Margrith für das Fest tue und wie oft sie an diesem Wochenende auftrete, sei «gewaltig», sagt Jodlerfreundin Ochsner.
Die Kinder jodeln «jo-lo-u-o-u-lu-lu-lu» vom Lied «Chlyni Wunder». Müller-Bischof übt mit den Kindern den Einzug und die Aufstellung. Das alles gehört zur Darbietung am Eidgenössischen. Kinder werden zwar im Wettbewerb nicht mit Noten bewertet wie die erwachsenen Festteilnehmer, dennoch soll der Auftritt stimmig sein. Die 150 Kinder werden unterschiedliche Outfits tragen. Die Obwaldner Jung Juizer kommen in ihrer Tracht, die Sännechind Walchwil tragen ein Hirtenhemd, das Chinderchörli Ägerital einheitliche, weisse T-Shirts, auf denen der Chorname gedruckt steht. Alle Kinder von ausserhalb, also die 30 internationalen und 15 weitere Kinder aus Zug, tragen schwarze Hosen, weisse Shirts – und Glarner Tüechli um den Hals.
Von den Liedern träumen
«D’Düme lönd er im Hosesack», sagt die Chorleiterin in Unterägeri. «Ich habe keinen Hosensack», bemerkt ein Kind. «Ja dann schau, dass du am Samstag eine Hose mit Taschen anziehst.» Warum Jodler stets die Hände im Sack haben, dafür gibt es mehrere Theorien. Man habe dabei die fürs Jodeln richtige Haltung, es gebe ein einheitliches Bild ab oder sei schlichtweg bequem. Oder aber die Bauern versteckten so ihre Hände, die sie früher kaum sauber kriegten. Für die Kinder vom Chinderchörli ist wohl einfach wichtig, dass die Hände «versorgt» sind und sie damit nicht zu nervös herumfuchteln.
«Und denkt an die schwarzen Hosen. Lange schwarze Hosen», sagt Müller-Bischof zum Schluss. «Egal, wie heiss es ist.» Und: «Z'Nacht träumen von den Liedern, müsst ihr. Dann kommts gut!»
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