Corona-Skeptiker lieben das Buch, der ehemalige «Mr. Corona» Daniel Koch (65) hatte dafür nur ein müdes Lächeln übrig: «Corona Fehlalarm?» des deutschen Autorenpaars Karina Reiss (45) und Sucharit Bhakdi (73) hält sich seit Wochen in den Bestsellerlisten. Als am Montag eine Gruppe Aktivisten Koch im Zürcher Fraumünster bestürmte, hielten die Zweifler ein Exemplar in die Höhe. Doch was steht da drin? BLICK hat die Kernaussagen der Skeptiker-Bibel mit dem Epidemiologen Andreas Cerny (64) analysiert.
Auf dem Cover versprechen die Autoren, eine Biochemikerin und ein Mediziner, wissenschaftliche Sachlichkeit. Wenn man das Buch öffnet, ist die Sprache aber polemisch. «Wie dumm kann man eigentlich sein?», beginnt zum Beispiel das Kapitel zur Maskenpflicht. «Jeder Blinde» könne sehen, dass «ALLE» Massnahmen aufgehoben werden «MUSSTEN», steht in Grossbuchstaben.
Die Kernthesen der Autoren hörte man in den letzten Wochen und Monaten immer wieder. Was ist dran?
These 1: Es gibt nur mehr Covid-Fälle, weil mehr getestet wird. Ein Argument, das auch US-Präsident Donald Trump (74) oft ins Feld führt. Dazu sagen die Autoren: Die Corona-Tests liefern viele falsch-positive Resultate.
Das sagt die Wissenschaft: «In meinem Arbeitsalltag im Corona-Referenzspital Moncucco in Lugano TI sind falsch positive Tests kein relevantes Problem. Es gibt dafür falsch negative Tests, wenn Abstriche nicht richtig gemacht wurden», so Cerny. Auch die Theorie, dass nur die Zunahme der Tests zu mehr positiven Resultaten führen, halte der Realität nicht stand. «Im Mai hatten wir teilweise nur eine einstellige Anzahl positiver Tests pro Tag. Heute sind es wieder mehrere Hundert. Die Zunahme lässt sich mit der Anzahl Tests nicht erklären.»
These 2: Covid-19 ist nicht gefährlicher als die Grippe. Das Risiko, am Coronavirus zu sterben, sei für eine unter 65-jährige Person «so hoch wie bei einer täglichen Autofahrt von 32 Kilometern».
Das sagt die Wissenschaft: «Die Grippe hat eine Sterberate von 0,1 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rechnet für Covid-19 mit drei bis vier Prozent», widerspricht Cerny deutlich. Dazu komme: Corona verbreitet sich viel schneller als die Grippe. «Das Coronavirus verbreitete sich innert Wochen um die Erde. Dafür braucht die Grippe Monate.»
These 3: Masken bringen nichts. Das Virus sei zu klein, um vom Stoff aufgefangen zu werden. «Wie durch ein offenes Fenster» würden die Viren durch die Maske fliegen.
Das sagt die Wissenschaft: «Es stimmt, dass das Virus an sich kleiner ist. Aber das Virus überträgt sich nicht allein, sondern durch Tröpfchen, wo auch Zellbestandteile und Schleim drin sind. Diese Tröpfchen werden von der Maske aufgehalten», erklärt Cerny. Heute wisse man, dass man sich auch als Träger einer chirurgischen Maske vor Ansteckung schützen könne.
Dass die Maske in der Schweiz besonders umstritten ist, dürfte auch an der Kommunikation des Bundesamts für Gesundheit liegen. Dass die Maske vor wenigen Monaten noch als wirkungslos betitelt wurde, sieht Cerny kritisch: «Es wäre ehrlicher gewesen, man hätte am Anfang gesagt, dass wir nicht genug Masken haben. Das ist eine offene Wunde des BAG.»
These 4: Der Lockdown nützte nichts. Er könnte sogar Menschenleben gekostet haben. So würden sich Kranke nicht mehr ins Spital trauen, so die Autoren. Und die Anzahl an Suiziden werde «sehr wahrscheinlich» zunehmen.
Das sagt die Wissenschaft: Cerny widerspricht und empfiehlt hier einen Blick ins Ausland. «Man kann das Beispiel von Schweden nehmen, das einen sehr sanften Lockdown hatte. Die Zahlen nahmen dort viel schneller und länger zu. Ähnlich sieht es in Brasilien oder den Südstaaten der USA aus. «Man sieht, wie gross dort das Unheil war, wie viele Leute gestorben sind.»
Tatsächlich wird auch unter Experten heiss diskutiert, ob jede einzelne der Massnahmen sinnvoll war – und ist. Diese Frage dürfte alle, bis die Krankheit unter Kontrolle ist und wieder Normalität einkehrt, auch weiter beschäftigen.
These 5: Eine Impfung bringt nichts. Bald haben wir eine Herdenimmunität. Ausserdem könnten die Nebenwirkungen schlimmer als das Virus sein.
Das sagt die Wissenschaft: Cerny stimmt teilweise zu. «Bei der Impfung habe ich auch Fragezeichen. Wir haben null Sicherheit, dass eine zukünftige Impfung wirkt und sicher sein wird.» Ein zweites Standbein der Wissenschaft sei aber ein Corona-Medikament. «Hier bin ich persönlich optimistischer», sagt Cerny.
Wer steckt hinter der Verschwörung?
Das Buch belässt es nicht bei medizinischen Thesen, sondern geht weiter: Es könne ja nicht sein, dass die Regierungen und ihre Berater so «dumm oder inkompetent» seien, um zu glauben, dass das Coronavirus wirklich gefährlich sei. Also, «MUSS» eine Absicht hinter dem Ganzen stecken. Fragt sich: Wenn es bei alledem gar nicht um ein Virus ging – worum geht es dann? Und: Wer steckt dahinter?
Das Autorenpaar hat verschiedene Theorien. Eine davon ist, dass Grosskonzerne von der Krise profitieren würden. Ein anderer verdächtigt die «korrupte» Wissenschaft, sich einfach an Forschungsgeldern bedienen zu wollen. Eine der letzten Seiten ist gespickt mit kruden Nazivergleichen und insinuiert: Maske und Co. bringen uns auf direktem Weg in eine Diktatur. Spätestens da ist man im Reich der Verschwörungstheorien angekommen.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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