Er hat schon mit den Taliban verhandelt. Afghanistans letzten König kannte er gut, ebenso den ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai. Ob Widerstandskämpfer oder Politiker – seit Jahrzehnten steht er mit vielen in Kontakt. Paul Bucherer (79) kennt Afghanistan wie kaum ein anderer. Mehr als 50 Mal war der Basler bereits dort.
Über 20 000 Bücher in der Bibliotheca Afghanica
Anfang der 70er-Jahre reiste er mit seiner Frau erstmals in das Land am Hindukusch. Sie stiessen auf eine Kultur voller Stolz und Geschichte, die dem Westen kaum bekannt war. Die beiden begannen Kontakte zu knüpfen und Dokumente zu sammeln. 1975 eröffneten sie in Liestal BL ihre Bibliotheca Afghanica. Heute hat sie ihren Sitz in Bubendorf BL.
«Das persönliche Interesse führte uns 1971 erstmals ins Land», sagt Bucherer. «Über die Jahrzehnte ist hier in Bubendorf das Afghanistan-Institut mit der umfangreichsten Bibliothek Europas über dieses Land entstanden.» Von internationalen Standardwerken über kaum bekannte Schriften des Widerstands zur Zeit der sowjetischen Besetzung bis hin zu Comics der deutschen Bundeswehr über ihren Afghanistaneinsatz ist hier alles zu finden. Insgesamt mehr als 20 000 Bücher.
Lernte das Land unberührt und unverdorben kennen
Daneben lagern im Institut 70 000 Fotografien, 5000 frei im Internet verfügbar. Aufnahmen aus einer vergangenen Zeit, vom Hindukusch, vom einfachen afghanischen Landleben, vom regen Markttreiben, aber auch von der in den 1970er-Jahren so modernen Universität Kabul. Viele Bilder hat das Ehepaar Bucherer selbst gemacht. Sie lernten noch das alte Afghanistan kennen, vor den jahrzehntelangen Kriegswirren: «Ich schätze mich glücklich, dass wir das Land damals so erleben konnten. Unberührt und unverdorben.»
Sein Engagement brachte Bucherer und das Institut auch beim Aussendepartement EDA ins Gespräch, in den USA, Grossbritannien und Deutschland, sogar bei den afghanischen Behörden und selbst bei den Taliban. «1998 wollte das US-Aussenministerium, dass ich mit den Taliban und ihren Gegnern die Möglichkeit einer ‹Swiss Solution› für das Land prüfe.» Das Ziel war damals, Afghanistan zu befrieden und föderalistisch zu organisieren – so wie die Schweiz.
Afghanen selbst hätten ihr Kulturgut nie vernichten wollen
Bucherer reiste drei Monate durch Afghanistan, sprach mit sämtlichen Anführern der Konfliktparteien – ohne Erfolg. Dafür habe sich gezeigt, dass beide Seiten andernorts gleiche Interessen hatten: «Die Nordallianz wie auch Teile der Taliban sorgten sich stark um den Verlust ihrer Kulturgüter.»
Zwar wurden zu jener Zeit viele Kunstschätze und Dokumente von den selbsternannten Gotteskriegern zerstört. Aber, so Bucherer: «Dafür verantwortlich waren vor allem die nicht-afghanischen Teile der Taliban, die radikaleren, stärker religiös motivierten Kämpfer aus dem Ausland.» Die Afghanen selbst hätten ihr Kulturgut nie vernichten wollen. «Sie waren sich einig: der Verlust der Geschichte und die Zerstörung ihrer Kultur wäre gravierend.»
Bibliothek wächst weiter
Um den Schutz der historischen Hinterlassenschaften zu planen, kamen der damalige afghanische Präsident sowie der Kulturminister der Taliban 1998 sogar in die Schweiz. «Der Taliban-Minister musste sich dafür extra einen gefälschten Pass organisieren, damit er aus Kabul ausreisen konnte.»
Nach den Gesprächen in Bern und Liestal erklärte sich Bucherer bereit, die Kulturgüter in Bubendorf unterzubringen. Ende 2000 wurde dazu ein Charterflug organisiert. Wegen rechtlicher Bedenken musste die Aktion dann jedoch kurzfristig abgebrochen werden. Der Deal war geplatzt.
Viele Objekte wurden in den Folgemonaten in Kabul zerstört. Durch private Kanäle, aus der eigenen Sammlung sowie durch Gönner kamen schliesslich doch gut 1400 Objekte ins Baselbiet. Das «Afghanistan-Museum im Exil» zog ab 2001 Tausende Besucher an, bis die Objekte auf Wunsch der afghanischen Regierung 2007 wieder nach Kabul gebracht wurden.
Was mit den Objekten geschehen ist, weiss Bucherer nicht. Die Bibliothek in Bubendorf jedoch wächst weiter. «Es gibt heute kaum ein Werk, das hier nicht zu finden ist.»
Dialog fördern, Vorurteile abbauen
Und das Interesse ebbt nicht ab: «Wir bekommen oft Anfragen verschiedenster Menschen aus Afghanistan, aber auch von Afghanen in der Schweiz.» Zudem steht Bucherer mit Forschern und Studenten im In- und Ausland in Kontakt. Afghanistan will weiter erforscht und verstanden werden.
Und das ist auch das Ziel des Instituts: Kultur, Geschichte und Menschen in Afghanistan nicht zu vergessen. Bucherer will den Dialog fördern, Vorurteile abbauen: «Das ist unsere Verpflichtung gegenüber der vom Leid geplagten afghanischen Bevölkerung.»
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