So leiden unsere Kinder unter der Corona-Krise
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Beunruhigende Studienresultate:So leiden unsere Kinder unter der Corona-Krise

Beunruhigende Studienergebnisse
So leiden unsere Kinder unter der Corona-Krise

Die Kleinsten gehen in der Corona-Krise häufig vergessen – obwohl neue Studien zeigen: Auch sie leiden, seelisch wie körperlich.
Publiziert: 15.11.2020 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2021 um 10:06 Uhr
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Kinder gehen in der Corona-Pandemie oft vergessen. Dabei leiden auch sie unter den Einschränkungen im Alltag – körperlich wie psychisch.
Foto: Philippe Rossier
Dana Liechti, Milena Stadelmann und Fabian Eberhard

Die Telefone der Schweizer Kinderärzte laufen heiss. Denn mit der zweiten Welle der Corona-Pandemie sind die Ängste zahlloser Mütter und Väter wieder zurückgekehrt. Eine davon macht den Medizinern besonders grosse Sorgen: Nicht wenige Eltern meiden Spitäler und Arztpraxen – aus Angst, mit dem Virus in Kontakt zu kommen.

Diese gefährliche Zurückhaltung war bereits im Lockdown des Frühjahrs zu spüren. Nun macht sie sich erneut bemerkbar. Ulrike Brennan (44), COO vom Kinderarzthaus, warnt: «Wenn Krankheiten nicht früh genug erkannt werden, kann das für Kinder lebensbedrohlich sein.»

Viele Eltern zögerten einen Arztbesuch hinaus, sagt die Kinder­ärztin. Das Resultat: «Die Kinder, die zu uns kommen, sind kränker als sonst.»

Untersuchungen und Impftermine abgesagt

Nicht weniger gefährlich: Auch Vorsorgeuntersuchungen und Impftermine werden immer wieder abgesagt. Wenn dann etwa eine Masernimpfung unterbleibt, sind die Kleinen einem höheren Infek­tionsrisiko ausgesetzt.

Oft werden auch Entwicklungsschwierigkeiten wie Sprachstörungen nicht rechtzeitig erkannt.

Dabei gibt es keinen Grund, die Arztpraxis zu meiden. Angesichts strenger Schutzkonzepte sei ein ­Besuch beim Kinderarzt gefahrlos möglich, versichert Kinderärztin Brennan. Patienten mit Corona-Verdacht würden strikt von anderen getrennt.

Doch selbst wenn die Masern ausbleiben und keine Sprach­störung zu befürchten ist, bekommt so manches Kind die Folgen der Pandemie an Leib und Seele zu spüren. «Generation Z war gestern», sagt die Kinderärztin. «Jetzt folgt die Generation Corona.»

Kinder sind häufiger übergewichtig

Kinder seien zwar anpassungs­fähig, würden aber durch die vielen ­Einschränkungen in Schule und Freizeit weniger unbeschwert aufwachsen. So fehlt es vielen an Bewegung, weil das Fussballtraining, das Ballett oder die Pfadi wegfällt. Schon jetzt zeige sich, dass die Kleinen häufiger übergewichtig seien. Und dass insbesondere Einzelkinder unter den fehlenden ­sozialen Kontakten litten.

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Wie sehr sich die Corona-Massnahmen auf Kinder auswirken, ­zeigen erste Ergebnisse einer laufenden Studie am Institut Sozial­arbeit und Recht der Hochschule Luzern, in deren Rahmen die Autorinnen Seraina Caviezel Schmitz und Paula Krüger derzeit Familien befragen. In der Zeit nach dem Lockdown berichteten die Eltern von insgesamt zwei Fünfteln der Kinder über Konzentrationsschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten. Jedes fünfte Kind war häufig bedrückt und klagte wiederholt über körperliche Beschwerden wie Bauchweh. «Das war vor allem bei den etwas älteren Kindern ab neun Jahren der Fall», sagen Krüger und Caviezel Schmitz. Zudem legten mehr Kinder aggressives Verhalten an den Tag. Das wiederum belastete das Familienklima. Die Stimmung war – und ist zurzeit wieder – vielfach getrübt.

Familien müssten während und auch nach solchen Ausnahme­situationen stärker entlastet werden, sagen die Studienautorinnen. Besonderes Augenmerk sei dabei auf Familien zu richten, die auch unabhängig von Corona bereits in einer schwierigen Lage seien.

Mehr Konflikte und häusliche Gewalt

Wie stark sich die Pandemie auf die Psyche von Minderjährigen auswirkt, registrieren auch darauf spezialisierte Einrichtungen. Kinder- und Jugendpsychiatrien sind im ganzen Land überbelegt. Und das Beratungsangebot 147 von Pro Juventute verzeichnete von März bis August wesentlich mehr An­fragen als im gleichen Zeitraum 2019. So meldeten sich etwa 47 Prozent mehr Mädchen und ­Buben wegen Konflikten mit den Eltern, 44 Prozent mehr Jugendliche schilderten Fälle von häus­licher Gewalt, 153 Prozent mehr als sonst klagten über den Verlust von Freunden.

Auch regionale Anlaufstellen der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) verzeichnen seit dem Ende des Lockdowns mehr Fälle als in früheren Jahren. «Viele Familien leiden an den Einschränkungen, die mit der Pandemie einhergehen», sagt Patrick Fassbind, Präsident der Kesb im Kanton Basel-Stadt. Das lasse neue familiäre Probleme entstehen oder bestehende stärker werden. Fassbind befürchtet: «Es ist sicherlich auch zu mehr Aggressionen und Gewalt gekommen. Vieles lief unbemerkt ab, die Dunkelziffer dürfte hoch sein.»

Und tatsächlich: Eine Befragung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) bestätigt die Befürchtungen des Basler Kesb-Präsidenten. Die noch unveröffentlichte Untersuchung im Kanton Zürich ergab, dass die Zahl der Übergriffe auf Kinder im Lockdown zugenommen hatte.

Kinder öfter «hart angepackt»

Demnach gaben 3,3 Prozent der befragten Eltern an, dass sie ihre Kinder während des Corona-Stillstands im März und April häufiger «hart angepackt oder gestossen» haben. Das wirkt nicht sonderlich signifikant. Hochgerechnet allerdings bedeutet es, dass allein im Kanton Zürich 5000 Familien solche leichten Übergriffe häufiger meldeten als sonst. Betroffen ist ­jeder dreissigste Haushalt mit ­Kindern unter 18 Jahren.

Die Studie kommt zum Schluss: «Die häufigere Präsenz der Kinder in den Haushalten, die mit dem Lockdown-bedingten Homeschooling einherging, scheint das Risiko zu erhöhen, Gewalt gegenüber Kindern zur Anwendung zu bringen.»

Immerhin scheint die Anzahl schwerer Übergriffe mit Schlägen oder Tritten nicht zugenommen zu haben. Rund ein Prozent der Eltern berichtete sogar, dass es ­seine Kinder im Lockdown weniger häufig hart angepackt ­hätte. ­ Denn auch das gibt es: Haushalte, in denen sich das ­Familienleben während des Lockdowns verbessert hat.

Stress führt zu Aggressionen

Die ZHAW-Befunde über elter­liche Gewalt decken sich mit ähnlichen Untersuchungen im Ausland. Studienverfasser Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention, ist denn auch nicht überrascht: «Wir wissen, dass besondere Belastungssituationen Auswirkungen auf die innerfami­liäre Gewalt haben.» Je grösser der Stress in der Familie, desto eher komme es zu Aggressionen.

Regula Bernhard Hug, Geschäftsleiterin bei Kinderschutz Schweiz: «Die Pandemie macht vor dem Spielzimmer nicht halt.» Sie warnt: «Finanzielle und gesundheitliche Sorgen erhöhen das ­Gewaltrisiko.»

Besserung ist nicht in Sicht. Viele von SonntagsBlick befragte Fachleute befürchten, dass sich fami­liäre Konflikte in den kommenden Monaten noch verschärfen. Und dass mit noch mehr Fällen von häuslicher Gewalt zu rechnen ist.

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