Das Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften (ISNO) wird in der jetzigen Form aufgelöst und der Fachbereich neu ausgerichtet. Basierend auf den Erkenntnissen des Berichts der Administrativuntersuchung am ISNO hat die Universitätsleitung der Universität Bern beschlossen, das Institut in der jetzigen Form aufzulösen. Bis Ende Juni 2024 wird die Fakultät einen Strukturbericht zur Neuausrichtung des Fachgebiets vorlegen. Serena Tolino erhält für die aufgetretenen Mängel im Führungsverhalten eine Abmahnung, und das Institut wird bis zur Einsetzung der neuen Struktur der Aufsicht der Fakultätsleitung unterstellt.
Nachdem ein Dozent des ISNO der Universität Bern im Oktober 2023 inakzeptable X-Postings veröffentlicht hatte, wurde diesem fristlos gekündigt. «Ich möchte nochmals festhalten, dass die Universität Bern jegliche Form von Gewalt und Diskriminierung verurteilt. Dies bezieht sich in der aktuellen Debatte besonders auf religiöse Diskriminierung, insbesondere Antisemitismus», sagt Christian Leumann, Rektor der Universität Bern.
Starke Polarisierung am Nahost-Institut
Die Universitätsleitung hatte am 17. Oktober 2023 beschlossen, eine Administrativuntersuchung des Instituts einzuleiten und die Co-Institutsleiterin Serena Tolino von ihren Aufgaben vorübergehend zu entbinden. Die Universitätsleitung beauftragte Antonio Loprieno mit der Administrativuntersuchung des ISNO. Er ist Ägyptologe, ehemaliger Rektor der Universität Basel und ehemaliger Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz.
Der Bericht wurde der Universitätsleitung am 19. Januar 2024 abgegeben, nachdem den beiden Co-Leiterinnen des ISNO das rechtliche Gehör zum Bericht gewährt worden war. Im Bericht geht es in erster Linie um Strukturen am Institut, aber auch um fachwissenschaftliche, wissenschaftstheoretische und hochschulpolitische Aspekte.
Der Bericht hält fest, dass am ISNO international kompetitive wissenschaftliche Arbeit geleistet wird, dass sehr erfolgreich Drittmittel eingeworben werden und dass sich das ISNO international positionieren konnte und Anerkennung geniesst.
Der Bericht stellt aber auch fest, dass am Institut eine starke Polarisierung sowie ein tiefes menschliches Unbehagen bei Institutsmitarbeitern vorhanden sei. Der Bericht führt weiter aus, dass Personal aus dem eigenen globalen Netzwerk rekrutiert worden sei. Es habe Abhängigkeiten von Mitarbeitenden von der Institutsleitung, Interessenskonflikte und einen übertrieben informellen Führungsstil gegeben.
«Zu wenig auf die wissenschaftliche Vielfalt geachtet»
Der Bericht erwähnt weiter, dass am ISNO unter Serena Tolino ein Wechsel der wissenschaftlichen und didaktischen Perspektiven vollzogen wurde. Dieser Wandel sei durch die Besetzung der Assistenzprofessur mit Tenure Track mit Nijmi Edres beschleunigt worden. So sei eine methodologische Homogenität entstanden, die sich auch in der fehlenden curricularen Breite äusserte. Im Weiteren sei auch ein Unverständnis auf Führungsebene für den Auftrag des Wissenstransfers in die Gesellschaft in einem medial sehr exponierten Fach zu erkennen gewesen. Peter J. Schneemann, Dekan der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern, sagt: «Bei der damaligen Neuausrichtung des Instituts wurde in der Tat zu wenig auf die wissenschaftliche Vielfalt geachtet. Diesem Umstand werden wir nun Rechnung tragen, indem wir den Fachbereich in einen breiteren wissenschaftlichen und methodischen Kontext mit weiteren Fachbereichen einbetten sowie dem Wissenstransfer mehr Gewicht geben.»
Thematisiert wird im Bericht auch das Spannungsfeld zwischen Forschungsfreiheit und politischem Engagement («Advocacy»). Die Einsicht, dass hier eine proaktive Grenzziehung notwendig ist, sei am Institut vermisst worden, heisst es im Bericht. «Advocacy und politische Stellungnahmen haben an der Universität Bern keinen Platz. Forschung hat nach breit abgestützten wissenschaftlichen Kriterien zu erfolgen», sagt Rektor Christian Leumann. Eine moralische Nähe zum Forschungsgegenstand sei zu problematisieren und von der wissenschaftlichen Methodik abzugrenzen.
Serena Tolino abgemahnt
Der Bericht gibt Empfehlungen ab, die als Grundlage für die von der Universitätsleitung getroffenen Massnahmen dienten. Das ISNO wird in seiner jetzigen Form aufgelöst. Die Philosophisch-historische Fakultät hat den Auftrag, bis Ende Juni 2024 einen Strukturbericht zur Neuausrichtung des Fachbereichs mit einer sowohl inhaltlich als auch methodisch breiteren Ausrichtung vorzulegen. Dabei sind der Forschungs- und Lehrgegenstand zu erweitern und das Curriculum zu überprüfen. Das heisst, dass der Fachbereich in einen breiteren Kontext von Religion, Sprache und historischer Perspektive integriert werden soll. Bis zur Umsetzung des Strukturberichts wird das Institut der Aufsicht der Fakultätsleitung unterstellt. Diese kann eine Person bestimmen, die der Leitung der entsprechenden Einheit beigestellt wird. «Die Fakultät ist gut aufgestellt, um diese schwierige Aufgabe anzunehmen und die umfassende Weiterführung der Ausbildung zu gewährleisten», sagt Dekan Peter J. Schneemann.
Der Bericht hat Mängel in der Führung des Instituts festgestellt, namentlich bei der Einstellung von Personal. Die Co-Institutsleiterin Serena Tolino wird dafür abgemahnt. Die Universitätsleitung erwartet, dass sich das Führungsverhalten künftig professioneller gestaltet und sich Führungspersonen ihrer wissenschaftlichen Vorbildfunktion und der Grenze zwischen wissenschaftlicher Tätigkeit und politischer Implikation bewusst sind. «Massnahmen müssen gemäss Personalrecht des Kantons verhältnismässig sein; aufgrund des Berichts sind keine Anhaltspunkte aufgekommen, welche weitergehende Massnahmen rechtfertigen würden», sagt Christoph Pappa, Generalsekretär und Leiter Rechtsdienst der Universität Bern. Serena Tolino, die während der Administrativuntersuchung von ihren Aufgaben entbunden war, wird nun unter den erwähnten Rahmenbedingungen wieder im Amt eingesetzt.
«Die Universitätsleitung hat sich eingehend mit dem Bericht beschäftigt. Wir sind überzeugt, mit den verschiedenen Massnahmen, die wir aufgrund der Abklärungen beschlossen haben, einen konsequenten Weg einzuschlagen, um den Fachbereich neu und breiter zu positionieren und damit einen Mehrwert für die Lehre, Forschung und Gesellschaft zu schaffen», sagt Rektor Christian Leumann. (nad)