Der kleine Sasha weint, als ihn Hebamme Alexandra Plüss (36) wiegt. Doch die erfahrene Fachkraft redet sanft auf das vier Tage alte Baby ein und nimmt es auf den Arm. Sofort trocknen die Tränen wieder, und der Säugling nuckelt genüsslich an seinen Fingern. «Das ist mein Traumjob», sagt die Fach- und Teamleiterin der Hebammen im Geburtshaus «Luna» in Ostermundigen BE. Das sieht man auch in ihren Augen, als sie den kleinen Sasha anstrahlt.
Seit 14 Jahren hilft die Bernerin mit viel Leidenschaft, Kinder auf die Welt zu bringen. Wie vielen sie beim Start ins Leben schon geholfen hat, weiss sie nicht mehr so genau. «Ich führe eigentlich eine Strichliste, aber die sollte ich schon seit längerem mal wieder aktualisieren», meint sie lachend zu Blick. Vermutlich seien es aber an die 800 Geburten, die sie bereits begleitet habe.
Babyboom im Geburtshaus!
Die Arbeit geht der Hebamme so schnell nicht aus: Wie in anderen Spitälern im Kanton Bern stieg auch im «Luna» die Geburtenrate dieses Jahr rapide an. Die Zahlen zum Baby-Boom: Wurden in Ostermundigen in den ersten vier Monaten des Jahres 2020 lediglich 88 Familien stationär betreut, waren es dieses Jahr im gleichen Zeitraum schon stolze 129.
Sind das nun die «Lockdown-Babys», von denen im Volksmund schon länger die Rede ist? Alexandra Plüss schmunzelt über diese Theorie und meint: «Das werden wir erst in ein paar Jahren erfahren.» Fakt ist aber: Im umgebauten Bauernhaus herrscht reges Treiben – es gibt alle Hände voll zu tun.
«Die Babys kommen, wann sie wollen»
«Wir sind derzeit unterbesetzt und auf der Suche nach zusätzlichen Hebammen, die Geburten begleiten», erklärt die Teamleiterin. «Es gibt Tage, da haben wir vier oder fünf Geburten, da arbeiten wir dann 14 oder 15 Stunden.»
Diese Schichten seien schon anstrengend, danach gehe sie meistens fast direkt ins Bett. «Aber es ist auch sehr befriedigend und schön, wenn alles gut gegangen ist.» Manchmal gebe es auch sehr ruhige Zeiten – momentan allerdings gar nicht. «Aber das liegt halt in der Natur der Sache. Die Babys kommen, wann sie wollen.»
«Ich hatte schon Angst, dass ich mich infiziere»
Mittlerweile hat die Hebamme den zufrieden glucksenden Sasha seinen Eltern Sophie Schmid de Gruneck (38) und Yachar Nafissi-Azar (40) zurückgegeben. Da die Geburt ohne Komplikationen verlaufen ist und alle wohlauf sind, reisen die drei nach dem Mittag wieder heim zum frischgebackenen grossen Bruder Nima (4).
Ex-Anwältin Schmid de Gruneck, die derzeit Ergotherapie studiert, erzählt von ihrer Schwangerschaft während Corona: «Ich hatte schon Angst, dass ich mich infiziere. Wir haben unsere Kontakte daher sehr reduziert.»
Kinderwunsch unabhängig von Lockdown
Lediglich die engsten Angehörigen hatte die französischsprachige Familie noch getroffen – und auch nur im Freien. «Weil es Winter war, war das nicht so lustig», sagt die Genferin, die nun in Bern lebt. «Da ich aber derzeit studiere und Prüfungen hatte, konnte ich mich darauf sehr stark fokussieren und war so ein wenig abgelenkt.»
Dass die Pandemie und der Lockdown etwas mit ihrem Kinderwunsch zu tun haben, darüber kann die frische Zweifach-Mama nur lachen: «Uns war nicht langweilig oder so.» Ihr Ehemann, der als Diplomat im Aussendepartement arbeitet, stimmt dem grinsend zu: «Wir wollten sowieso ein zweites Kind.»
Zweites Kind hin oder her – Fragen gibt es trotzdem viele. Alexandra Plüss berät das Paar noch kurz bezüglich Stillen, dann verabschieden sie sich. Für die Hebamme immer wieder ein schöner Moment: «Eine glückliche Familie macht auch mich glücklich.»