Ein Kosovare hortete zu Hause 15 Wurfmesser, verkehrte im Umfeld der Winterthurer Dschihadisten-Szene, empfing verurteilte IS-Helfer, wurde von der Kantonspolizei als unberechenbar und gefährlich eingeschätzt und Anfang 2022 ausgeschafft.
Auch sein jüngerer Bruder wird vom Bundesamt für Polizei als gefährlich eingestuft. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wollte ihn des Landes verweisen. Trotzdem darf er in der Schweiz bleiben. Der Grund: Das Bundesverwaltungsgericht schritt ein, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet.
Seminar mit deutschem IS-Sympathisanten
Das Bundesverwaltungsgericht rügte das SEM scharf. Seit mehr als drei Jahren habe er sich von der radikalislamischen Szene abgewandt, wie Behördenberichte dokumentieren würden. Die Behauptung, der jüngere Bruder habe sich nicht deradikalisiert sei daher unfundiert, so die Argumentation.
Brisant nur: Im Januar 2021 wurde er zu einem Monat bedingten Freiheitsentzugs verurteilt. Er soll IS-Propagandamaterial mit Gewaltdarstellungen besessen und an einem Seminar teilgenommen haben, bei dem ein IS-Sympathisant eine Rede hielt. Ausserdem soll er einen Spendenaufruf für in Nordsyrien internierte IS-Anhängerinnen versendet haben.
Trotzdem attestieren ihm viele Menschen eine positive Entwicklung. Die «Aargauer Zeitung» nennt unter anderem die Jugendanwältin, den Sozialdienst, den Lehrbetrieb, einen Arzt und die Eltern seiner Schweizer Ex-Freundin. Laut diesen Personen gebe es keine Anzeichen mehr für eine extremistische Haltung.
Das SEM misstraut dieser Darstellung. So soll der jüngere Bruder den älteren 13-mal im Ausschaffungsgefängnis besucht haben. Und sie fügt an, dass zum Beispiel auch der Attentäter von Wien, der 2020 vier Menschen erschoss, den Anschein gemacht habe, er sei deradikalisiert.
Experte ist skeptisch
Politikwissenschaftler Johannes Saal zeigt sich im Gespräch mit der «Aargauer Zeitung» nicht von der Wirksamkeit der Deradikalisierungs-Massnahmen überzeugt. Bei einem Syrien-Rückkehrer aus der Winterthurer Dschihadistenszene habe sich die positive Prognose nicht bewahrheitet und auch eine Untersuchung im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen fiel ernüchternd aus.
Von 130 Dschihadisten hätten sich nur drei komplett deradikalisiert. «Es besteht die Gefahr, dass die Betroffenen nach einem biografischen Bruch wieder in die Extremistenszene abdriften», warnt Saal.
Der Nachrichtendienst des Bundes geht ebenfalls weiterhin von erhöhter Terrorgefahr aus. Das wahrscheinlichste Szenario: ein Attentat eines Einzeltäters. Als Beispiel wird im Bericht eine Frau genannt, die in Lugano zwei Frauen mit einem Brotmesser attackierte.