Der Prozess um das «Kill Erdogan»-Plakat von 2017 in Bern hat mit Freisprüchen geendet. Ein Berner Richter kam zum Schluss, die vier Angeklagten hätten sich nicht der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit schuldig gemacht.
Es sei nicht erwiesen, dass die vier Beschuldigten mit ihrem Plakat zu konkreter physischer Gewalt gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufgerufen hätten: Das sagte der Richter des Regionalgerichts Bern-Mittelland am Mittwoch bei der Urteilsverkündung.
Der Spruch auf dem Plakat – «Kill Erdogan with his own weapons!», also «Töte oder tötet Erdogan mit seinen eigenen Waffen!» – bedeute in erster Linie, den Spiess gegen Erdogan umzudrehen, ihn mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen. «To kill» bedeute auf Englisch nicht nur «töten», sondern etwa auch «ausser Gefecht setzen».
Öffentliche Friede in der Schweiz geschützt
Dass auf dem Plakat auch eine Pistole zu sehen gewesen sei, welche auf den darauf abgebildeten Kopf von Erdogan gerichtet war, sei im gesamten Kontext nicht zwingend eine Aufforderung zu Tötung. Man könne die Pistole auch als Symbol für das gesamte Instrumentarium von Erdogan verstehen, das laut Transparent gegen ihn zu richten sei. Bei politischen Kundgebungen seien Plakate häufig provokativ.
Der Richter sagte auch, nur der öffentliche Friede in der Schweiz werde durch den fraglichen Artikel des Strafgesetzbuchs geschützt. Es sei fraglich, ob dieser Friede durch die relativ geringe Anzahl von Personen, welche das Plakat gesehen hätten, gefährdet gewesen sei.
Er führte zudem aus, dass die Polizei hinsichtlich der vier beschuldigten Personen keine Handlung dokumentierte, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Plakat stand. Dokumentiert ist etwa, dass Beschuldigte auf dem Handwagen standen, an dem das Plakat befestigt war.
Plakat als Aufruf zur Tötung von Erdogan?
Der Richter sprach die vier Beschuldigten auch von Nebenanklagepunkten wie etwa Landfriedensbruch frei. Bei diesem Vorwurf ging es um eine Kundgebung von 2018.
Die Verteidigerin und die Verteidiger der vier Beschuldigten hatten im Prozess vollumfängliche Freisprüche verlangt, der Staatsanwalt eine Verurteilung zu teilweise bedingten, teilweise unbedingten Geldstrafen im Umfang von 32 bis 40 Tagessätzen. Dies in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe.
Der Staatsanwalt argumentierte in seinem Plädoyer, ein «unvoreingenommener Durchschnittsbürger» habe das Plakat als Aufruf zur Tötung von Erdogan auffassen müssen. Zahlreiche Bilder und Videos zeigten, dass die vier Beschuldigten unmittelbar beim Plakat gestanden seien und etwa auch den Lautsprecher des Handwagens bedient hätten.
Insofern hätten sie einen Beitrag zur Verbreitung der Botschaft geleistet – unabhängig davon, ob sie an der Herstellung des Plakats beteiligt gewesen seien oder nicht.
Demonstration von kurdischen Vereinen organisiert
Das Plakat wurde im März 2017 am Rand einer Kundgebung für Demokratie in der Türkei mitgeführt. Dies acht Monate nach einem gescheiterten Putschversuch und drei Wochen vor einer Volksabstimmung über mehr Macht für den türkischen Präsidenten Erdogan.
Organisiert wurde diese Demonstration von kurdischen Vereinen, der SP und den Grünen sowie weiteren Organisationen. Im Verlauf des Nachmittags stiess zu dieser Hauptkundgebung eine Gruppe von rund 150 Personen, die sich beim alternativen Berner Kulturzentrum Reitschule besammelt hatten. Sie hatten das umstrittene Plakat bei sich.
Noch am Tag dieser zwei Kundgebungen protestierte die Türkei wegen des Plakats beim Schweizer Aussendepartement in Bern und bestellte in Ankara die Schweizer Vize-Botschafterin ein. Es kam auch zu einem Telefongespräch zwischen den beiden Aussenministern. Die Türkei forderte eine Untersuchung und Erdogan sagte, die Schweiz müsse aufhören, Terrororganisationen zu unterstützen.
Laut dem Staatsanwalt wurden im Zusammenhang mit dem Plakat zehn Personen ermittelt und sechs von der Polizei identifiziert. Zwei davon akzeptierten einen von der Staatsanwaltschaft ausgestellten Strafbefehl.
Sie kamen nun also schlechter davon als jene vier, welche den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft anfochten. Deshalb kam es zum Prozess. Das Urteil des Berner Einzelrichters kann noch angefochten werden. (SDA)