Streit mit der EU, türkische Währung auf Rekordtief
Diese Krise könnte Erdogan den Kopf kosten

Ärger mit der EU und die Lira im Rekordtief: Die Türkei steckt in der Krise. Laut Türkei-Experte Christoph Ramm von der Uni Bern könnte Erdogan bei den nächsten Wahlen sogar die Macht verlieren. Blick erklärt die Hintergründe.
Publiziert: 25.10.2021 um 23:47 Uhr
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Bis zu seiner Verhaftung setzte sich Osman Kavala für die Kulturförderung in der Türkei ein.
Foto: AFP
Guido Felder

Erst noch hat die abtretende deutsche Kanzlerin Angela Merkel (67) dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (67) einen netten Abschiedsbesuch abgestattet. Und schon liegen die Regierungen beider Länder wieder in grossem Streit. Der Grund: der Umgang der türkischen Regierung mit dem Unternehmer, Menschenrechtsaktivisten und Mäzen Osman Kavala (64).

Kavala sitzt seit vier Jahren im Gefängnis. Vorwürfe gegen ihn gibts viele, Urteil aber keines. Der Druck der EU sowie von Botschaftern aus zehn Ländern haben Erdogan vollends verärgert und die Fronten verhärtet. Blick erklärt, wie es dazu kam und was die Folgen sind.

Der Fall Kavala

Osman Kavala wurde am 18. Oktober 2017 am Flughafen von Istanbul verhaftet. Der Vorwurf: Er habe die Gezi-Park-Proteste von 2013, die sich gegen Erdogan richteten, finanziert und wolle die verfassungsmässige Ordnung zerstören.

Im Februar 2020 wurde er nach kurzer Entlassung erneut festgenommen, weil er in den Putschversuch von 2016 verwickelt gewesen sein soll. Diese Vorwürfe wurden auch fallen gelassen, dennoch hält man ihn seither wegen «politischer und militärischer» Spionage fest.

Der bekannte Unternehmer Kavala hat mehrere Verlage sowie 2002 die Organisation Anadolu Kültür gegründet, die Kunst und Kultur fördert.

Der Druck der EU

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte im Dezember 2019, dass die Türkei im Verfahren gegen Kavala die Menschenrechtskonvention verletzt habe und der Gefangene umgehend freigelassen werden müsse.

Weil die Türkei das Urteil nicht anerkannte, machten am 18. Oktober die Botschafter von Deutschland, Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Neuseeland, Norwegen, Schweden und den USA Druck und verlangten gemeinsam eine «zügige und gerechte» Entscheidung im Fall Kavala.

Die Reaktion Erdogans

Der türkische Präsident reagierte verärgert. Er erklärte die zehn Botschafter zu «nicht erwünschten Personen». Seine anfängliche Drohung, sie auch auszuweisen, hat er am Montagabend zurückgenommen.

Die Folgen

Erdogan schneidet sich ins eigene Fleisch, denn der Eklat beschleunigt die Talfahrt der türkischen Währung. Nach dem Rausschmiss von drei Notenbankern, der Senkung des Leitzinses trotz hoher Inflation und nun durch den diplomatischen Streit hat die Lira ein Rekordtief erreicht. Seit Anfang Jahr hat sie gegenüber dem Euro einen Viertel an Wert eingebüsst.

Die Ausweisung der zehn Botschafter wäre ein drastischer Schritt gewesen. Es hätte die Beziehungen des Nato-Partners Türkei zur EU sowie zu den USA noch weiter belastet – und das eine Woche vor dem G20-Gipfel in Rom.

Dort hofft Erdogan eigentlich auf ein Treffen mit US-Präsident Joe Biden (78). Die USA haben gegen die Türkei Sanktionen verhängt, weil diese das russische Raketenabwehrsystem S-400 gekauft hat.

Die Einschätzung

Türkei-Experte Christoph Ramm von der Uni Bern: «Bei der Ankündigung, die zehn Botschafter ausweisen zu lassen, handelt es sich um ein ziemlich durchschaubares Manöver, um von der Wirtschaftskrise in der Türkei und der zunehmend schlechteren Bilanz der Präsidialregierung Erdogans abzulenken.» Wie bei allen rechten Populisten bleibe auch Erdogan in Krisensituationen nur der Nationalismus, um die Bevölkerung hinter sich zu versammeln.

Doch Erdogans Zeit könnte bei den kommenden Wahlen, die bis Juni 2023 stattfinden sollen, definitiv abgelaufen sein. Ramm: «Wenn die nächsten Wahlen einigermassen fair verlaufen und es der türkischen Opposition gelingt, einen zugkräftigen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, besteht durchaus die Möglichkeit, dass die AKP die Macht verliert.»


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