Im Juli 2021 findet eine Frau im Schilf der St. Petersinsel im Bielersee eine Leiche. Der Verwesungsprozess ist bereits fortgeschritten – der verstorbene Mann lag bereits längere Zeit im Wasser. Zur Identifizierung nehmen die Ermittler die Fingerabdrücke. Die Berner Kantonspolizei informiert die Polizeikorps aller Kantone über den Leichenfund und bittet um Mithilfe, sollten die Angaben zum aufgefundenen Toten mit allfälligen Vermisstmeldungen übereinstimmen.
Auch die Polizei in Basel erhält die Nachricht. Dort wurde elf Tage vor dem Leichenfund ein 50-jähriger schweizerisch-türkischer Doppelbürger als vermisst gemeldet. Familie und Freunde waren in Sorge, weil sie länger nichts mehr von dem Mann gehört hatten. BZ Basel sprach mit einer Freundin des Vermissten. Diese hatte am 7. Juli zum letzten Mal mit dem Mann telefoniert. «Wir wussten alles voneinander», sagt sie.
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In Gemeinschaftsgrab beigesetzt
Eine Öffentlichkeitsfahndung mit Foto und Beschreibung wollten die Angehörigen nicht. «Wir hatten Angst, dass ihn das wütend macht, sollte er noch am Leben sein», sagt die Freundin. Dass es sich beim im Kanton Bern gefundenen Toten um den Vermissten handeln könnte, zog die Kantonspolizei Basel-Stadt nicht in Betracht. Am 2. November 2022 wurde die Leiche schliesslich kremiert und in einem Gemeinschaftsgrab im Kanton Bern beigesetzt.
Zwei Jahre nach dem Leichenfund intervenierte die Türkei bei der Berner Kantonspolizei. Es stellte sich heraus, dass es sich beim Toten vom Bielersee um den vermissten 50-Jährigen aus Basel handelt. In einer Verfügung der Berner Staatsanwaltschaft heisst es: «Erst im August 2023, als sich die türkische Behörde infolge der internationalen Verbreitung der biometrischen Daten der Leiche bei der Kantonspolizei Bern meldete, gelang die Identifizierung.»
«Es war die Hölle»
Weshalb hat die Basler Polizei zwischen dem Leichenfund und der Vermisstmeldung keinen Zusammenhang gesehen? Die Freundin des Verstorbenen ist irritiert: «Die unbekannte Leiche und der Vermisste waren beide männlich, tattoolos, ungefähr gleich alt und gleich gross. Basel und der Fundort sind zudem nicht weit voneinander entfernt. Was braucht es noch, um eine Verbindung in Betracht zu ziehen?» Für sie steht fest, dass die Ungewissheit, die die Angehörigen so lange aushalten mussten, durch das Versagen der Kantonspolizei Basel-Stadt verursacht wurde. «Es war die Hölle.»
Die Kantonspolizei Basel-Stadt erklärt, es gebe immer wieder Fälle von vermissten Personen, die am Leben seien und nicht gefunden werden wollten. «Das ist ihr gutes Recht und wird von der Polizei respektiert.» Die Ermittlungsansätze in diesem Fall hätten nicht auf einen möglichen Suizid hingedeutet. «Die Meldung der Kantonspolizei Bern über den Fund eines nicht identifizierten Leichnams im Bielersee wurde darum von der Kantonspolizei Basel-Stadt nicht in Zusammenhang mit dem Vermisstenfall gebracht», schreibt Mediensprecher Adrian Plachesi. «Die Kantonspolizei überprüft die Prozesse und technischen Gegebenheiten, um einen ähnlichen Fall in Zukunft, auch wenn er unwahrscheinlich ist, auszuschliessen.»
Die genaue Todesursache konnten die Berner Ermittler nicht bestimmen. Ein Tötungsdelikt wird ausgeschlossen. Damit bleiben die Möglichkeiten Suizid oder Unfall – in der fraglichen Zeit gab es im Kanton Bern heftige Gewitter und Hochwasser. (noo)