Seit Jahren wird an künstlichen Intelligenzen (KI) getüftelt. Seit Jahren wird vor ihnen gewarnt. Doch der Erfolg von ChatGPT löste ein Wettrennen aus: Auch Google, Microsoft und Co. gingen mit teils wenig ausgereiften KI-Produkten an die Öffentlichkeit.
Denkt bei diesem Tempo noch jemand ausreichend über die Folgen solcher Neuerungen nach?
Diese Woche lancierte das Future of Life Institute, eine private Stiftung, die sich mit den Risiken von Technologien befasst, einen offenen Brief. Darin fordern Prominente wie der Tesla-Gründer Elon Musk (51) und der israelische Bestseller-Autor Noah Yuval Harari (47) eine Entwicklungspause von sechs Monaten für grosse KI-Projekte – wenn nicht freiwillig, dann gesetzlich.
Gestern wies die Petition rund 2500 Unterzeichnende auf. Wegen des grossen Zuspruchs wird die Liste nur langsam aktualisiert, die tatsächliche Unterstützung dürfte also grösser sein.
Unermessliches Risiko
Auch Gerhard Andrey (47) liess auf Anfrage von SonntagsBlick wissen, er habe unterzeichnet. Der Grünen-Nationalrat und IT-Unternehmer aus dem Kanton Freiburg: «Die Chancen, aber genauso die Risiken sind fast unermesslich.» Gehe man das Thema nicht mit der nötigen Sorgfalt an, sei mit Widerstand aus der Gesellschaft zu rechnen. Gute regulatorische Rahmenbedingungen seien daher auch im Interesse der Branche.
Andrey hofft auf eine gewisse Selbstregulierung. Aber bei solch mächtigen digitalen Werkzeugen genüge das nicht.
«Ein freiwilliger, befristeter Marschhalt ist sicher eine gute Sache», so der Grüne weiter, doch eine staatlich verordnete Pause in der Schweiz hält er wie andere befragte Experten und Politiker für unrealistisch. Er verstehe die Beweggründe und teile viele der Befürchtungen, so GLP-Nationalrat Jörg Mäder (47). «Gleichzeitig ist es ein etwas hilfloser Versuch nach dem Prinzip Hoffnung.» Der Zürcher begrüsst die Debatte. Unterzeichnen werde er aber nicht.
Auslegeordnung nötig
Ähnlich sieht es der St. Galler FDP-Nationalrat Marcel Dobler (42): «Der Zeitraum von sechs Monaten ist im Schweizer System ein Wimpernschlag.» Er bezweifele stark, dass man sich international in so kurzer Zeit auf einheitliche Richtlinien einigen kann. «China, Russland und andere werden sicher nicht mitmachen.» Es gebe inakzeptable KI-Technologien, die verboten werden müssten, etwa soziale Bewertungssysteme. Im Grundsatz gelte es aber, KI zu ermöglichen und Risiken zu vermeiden.
Deshalb fordert Dobler in einem Vorstoss, den er bereits vor dem offenen Brief eingereicht hatte, eine Auslegeordnung. Sein Ziel: Der Bundesrat solle prüfen, wo es in Bezug auf künstliche Intelligenz in der Schweiz rechtliche Lücken gebe – und ein Konzept erarbeiten, wie man sie stopfen kann.