Als Europa und die USA ihre Sanktionen gegen Russland verschärften, wehrte sich Wladimir Putin nur rhetorisch. Der Westen führe einen «wirtschaftlichen Blitzkrieg» gegen Russland, schimpfte der Kreml-Despot. Und kündigte «Vergeltungsmassnahmen» an – nannte aber keinen Details.
Beobachter befürchten, dass sich Moskau mit Cyberattacken gegen kritische Infrastruktur-Einrichtungen rächen könnte, Hackerangriffe auf die Energieversorgung etwa. Es wäre ein Krieg ohne Lärm – Computerviren statt Panzer.
Die Nato bereitet sich seit längerem auf solche Szenarien vor. Im Dezember hielt das westliche Militärbündnis eine gross angelegte Übung dazu ab. Unter dem Titel «Cyber Coalition 21» spielte die Nato verschiedene Szenarien durch. Eines davon: der digitale Angriff auf die Gasversorgung in Europa.
SonntagsBlick-Recherchen zeigen: An der Übung nahmen auch vier Cyberkrieger der Schweizer Armee teil. Mireille Fleury, Sprecherin des Verteidigungsdepartements, bestätigt: «Die Schweiz beteiligte sich mit vier Spezialisten der Führungsunterstützungsbasis (FUB).» Die FUB ist das militärische Zentrum für elektronischen Kriegführung und Kryptologie.
Ein bisschen mit dabei
Die Eidgenossenschaft ist zwar kein Nato-Mitglied, arbeitet aber im Rahmen der «Partnerschaft für Frieden» punktuell mit der Bündnisorganisation zusammen. Die Kooperation erfolge laut Fleury auf freiwilliger Basis, ohne rechtliche Verpflichtung. Jeder Staat könne den Umfang seiner Beteiligung selbst bestimmen.
Koordiniert wurde die internationale Cyberübung in einer Kasernenanlage im estnischen Tallinn. Dort befindet sich das Nato-Kompetenzzentrum für Cyberabwehr, das Hirn im Kampf gegen digitale Spionage und Computerterrorismus in Europa.
Dass die Gefahr eines Hackerangriffs auf die Energieversorgung real ist, zeigt ein aktuelles Beispiel aus den USA. Im vergangenen Mai legte ein Cyberangriff eine riesige Pipeline im Osten des Landes lahm. Die Folge: Benzinknappheit und Hamsterkäufe. Washington rief den regionalen Notstand aus, Biden musste seine Mitbürger öffentlich vor Panik warnen. Nach Einschätzung des US-Präsidenten kam die Attacke aus Russland, allerdings nicht von staatlichen Stellen, sondern von kriminellen Hackergruppen, die Geld erpressen wollten.
Angst vor Vergeltungsschlägen
Der Krieg in der Ukraine sorgt bei Cyberspezialisten in ganz Europa für Unruhe. Als Rache für die Sanktionen befürchten deutsche Sicherheitsbehörden massive Hackerattacken aus Russland. Der Innenminister des Bundeslandes Niedersachsen, Boris Pistorius, sieht Betreiber kritischer Infrastrukturen dazu verpflichtet, «sich noch intensiver auf Cyberangriffe vorzubereiten». Pistorius warnt: «Sollten Cyberangriffe gegen unsere Kraftwerke, Wasser- und Stromversorgungen und andere kritische Infrastrukturen Erfolg haben, könnte das unsere Grundversorgung beeinträchtigen».
Auch der Nachrichtendienst des Bundes verfolgt die Lage mit höchster Aufmerksamkeit. «Der NDB beobachtet seit Beginn des Ukrainekriegs eine Intensivierung von Cyberangriffen sowohl auf russische wie auch auf ukrainische Einrichtungen», sagt Sprecherin Isabelle Graber. Die Schweiz sei im Rahmen des Ukrainekriegs bisher aber nicht zum Ziel geworden – doch die Bedrohung bleibe real.
Das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (NCSC) in Bern sieht zurzeit keine erhöhte Gefahrenlage. Dies könne sich je nach Entwicklung aber schnell ändern. «Das NCSC schätzt aktuell vor allem ungezielte Angriffe als möglich ein», sagt Sprecherin Gisela Kipfer.
Firmen, die Abhängigkeiten zu Lieferanten oder Partnern in der Kriegsregion haben, sollten «spezielle Vorsicht walten lassen».
Darüber hinaus besteht laut NCSC die Gefahr, dass Kriminelle die Vorgänge in der Ukraine nutzen, um vermehrt aktiv zu werden.