5G-Desaster für Swisscom und Co.
«Es wird Anzeigen hageln!»

3000 Einsprachen gegen neue 5G-Antennen wurden in der Schweiz schon gemacht. Jetzt kommts für Swisscom und Co. noch dicker. Das neue Netz steht vor dem Aus.
Publiziert: 06.10.2021 um 15:09 Uhr
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Die Behörden werden mit Einsprachen gegen den Bau neuer 5G-Antennen überrollt.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Danny Schlumpf

Als einer der ersten Staaten der Welt versteigerte die Schweiz Anfang 2019 Frequenzen für 5G. Swisscom, Sunrise und Salt schlugen zu – obwohl ihnen bewusst war, dass die gesetzlichen Strahlengrenzwerte für die neue Mobilfunktechnik zu tief lagen. Sie gingen davon aus, dass sich das Problem später lösen lasse – und wurden von einer massiven Protestwelle überrascht.

Der Zorn der 5G-Gegner entzündet sich an den sogenannten adaptiven Antennen. Diese ermöglichen die Anwendung der neuen Technologie, senden zielgerichtet und erzeugen deshalb – so stellen es Swisscom und Co. dar – insgesamt weniger elektromagnetische Strahlung als vielfach befürchtet.

Doch viele Anwohner der Sendeanlagen glaubten das offenbar nicht: Sie reichten innerhalb von zwei Jahren mehr als 3000 Einsprachen gegen den Bau neuer Antennen ein.

Das Protestpotenzial ist allerdings viel grösser, denn von den knapp 20'000 bestehenden Anlagen in der Schweiz lassen sich 12'000 zu adaptiven Antennen umbauen. Und gegen solche Umrüstungen war in vielen Kantonen keine Einsprache möglich: Sie wurden im Bagatellverfahren durchgewunken, auf Empfehlung des Bundes.

An bestehenden Grenzwerten gibts nichts mehr zu rütteln

Ob neu oder umgerüstet, adaptive Antennen erbringen ihre volle Leistung nur mit mehr Strahlkraft. An den bestehenden Grenzwerten aber ist angesichts der massiven Proteste nicht mehr zu rütteln. Deshalb drückten die Mobilfunkanbieter den sogenannten Korrekturfaktor durch: Er erlaubt es, die Sendeleistung von 5G-Antennen punktuell über den Grenzwert hinaus zu erhöhen, solange der Maximalwert im Durchschnitt trotzdem eingehalten wird. Auch dagegen gab es vielerorts keine Einsprachemöglichkeit, die Aktivierung des Korrekturfaktors setzte nicht einmal ein Bagatellverfahren voraus.

Den Anwohnern umgerüsteter 5G-Antennen blieb deshalb nur, sich nach erfolgtem Umbau mittels Rechtsbegehren zu wehren. Anita Schälin (45) aus Sarnen OW weiss, wie das funktioniert: Ihr Verein «5G-freies Obwalden» ging auf diese Weise schon gegen sieben Sendemasten im Kanton vor. Einer davon steht in Sarnen, mitten im Dorfzentrum.

Swisscom motzte die Anlage vor zwei Jahren zu einem 5G-Modul auf. Schälin wehrte sich mit einem Rechtsbegehren, doch der Kanton lehnte ab: Die Umrüstung überschreite die Schwelle zur Baubewilligungspflicht nicht. Nun liegt der Fall vor dem kantonalen Verwaltungsgericht. «Wir richten uns nicht gegen die Politiker», sagt Schälin. «Denn sie stecken häufig zwischen Stuhl und Bank. Aber wir setzen uns standhaft für ein 5G-freies Obwalden ein.»

Juristisches Gutachten schenkt Gegnern neuen Mut

Jetzt schöpft die Sarnerin neuen Mut, dank einem juristischen Gutachten der Uni Freiburg zuhanden der Konferenz der kantonalen Baudirektoren (BPUK). Das Papier enthält Aussagen mit Sprengkraft: Für die Umrüstung konventioneller Mobilfunkanlagen zu adaptiven Antennen sei eine Baubewilligung sehr wohl nötig, schreiben die Gutachter. Dasselbe gelte für die Aktivierung des Korrekturfaktors. Und damit würden auch Einsprachen möglich.

«Wir übernehmen diese Interpretation», sagt der Freiburger Staatsrat Jean-François Steiert (60), Vizepräsident der BPUK. Ziel der Baudirektorenkonferenz ist ein einheitliches Vorgehen der Kantone ab 2022, die für die Baubewilligungen zuständig sind. Die BPUK hat ihnen bereits empfohlen, das Bagatellverfahren auszusetzen.

Das neue Regime dürfte rasch zum Standard werden. So hat es Zürich, wie der Kanton auf Anfrage bestätigt, bereits in Kraft gesetzt: Umrüstungen und der Korrekturfaktor sind dort ab sofort bewilligungspflichtig.

Für die Mobilfunkanbieter zeichnet sich ein Desaster ab. Rebekka Meier (30), Präsidentin des Vereins «Schutz vor Strahlung», rechnet mit einer massiven Einsprachewelle. Diese hätten sich die Anbieter selber zuzuschreiben, sagt Meier: «Sie dachten offenbar genau wie der Bund, sie könnten 5G einführen, ohne die Einwohner zu fragen. Doch sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht.»

Die Sarner 5G-Gegnerin Schälin glaubt, dass bald auch viele Projekte vor dem Richter landen, die bereits durchgewunken wurden: «Sobald die Umrüstung auf 5G und der Korrekturfaktor bewilligungspflichtig sind, wird es Rechtsbegehren und Anzeigen hageln!»

5G vor dem Kollaps

5G steht nach dieser Einschätzung vor dem Kollaps. Die Modernisierung der Netze sei bereits stark verzögert, sagt der Schweizerische Telekommunikationsverband Asut dazu: «Wird die Einführung von 5G weiter hinausgeschoben, droht eine deutliche Verschlechterung der Mobilfunkversorgung.»

Jean-François Steiert widerspricht: «5G ist weiterhin möglich. Aber eine neue Technologie darf nicht über die Köpfe der Bürger hinweg eingeführt werden. Deshalb sind Verfahren mit einer Einsprachemöglichkeit gegen Umrüstungen beziehungsweise den Korrekturfaktor für Kantone wichtig, die das möchten.»

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