Am 7. März 2022 richteten sich alle Blicke auf Bildungsdirektorin Silvia Steiner (64). Verschiedene Zürcher Kantonsratsmitglieder wollten wissen: «Mit welchen Massnahmen gedenkt der Regierungsrat dazu beizutragen, dass in den kommenden Jahren auf der Volksschule genügend Lehrpersonen zur Verfügung stehen?»
Es gebe dazu eine Taskforce Lehrermangel, hatte die Regierung im Vorfeld der Debatte mitgeteilt. Grünen-Kantonsrätin Karin Fehr Thoma (59) hakte im Rat nach: «Gern wüssten wir etwas über die Überlegungen der Taskforce Lehrermangel. Vielleicht haben Sie heute, Frau Regierungsrätin Steiner, ein paar Informationen zur Arbeit dieser Taskforce?» Gemäss Ratsprotokoll wiederholte Steiner in der Folge, was der Regierungsrat bereits mitgeteilt hatte.
Panik an den Schulen
Wenige Wochen später eskalierte die Situation. Der Lehrermangel entwickelte sich zu einem Lehrernotstand. Hunderte offene Stellen konnten nicht besetzt werden. In vielen Schulen herrschte Panik. Steiner sah sich gezwungen, erstmals die Anstellung von Lehrpersonen zu erlauben, die nicht «über die üblicherweise erforderliche Zulassung» verfügen. Im selben Communiqué teilte sie mit, es würden verschiedene Massnahmen mit einem mittel- bis langfristigen Horizont eingeleitet. Eine davon sei die Weiterführung der Taskforce Lehrermangel.
Nur: Die Taskforce tagte gar nicht. Und sie tut es bis heute nicht. Die letzte protokollierte Sitzung fand am 3. Oktober 2019 statt, vor über drei Jahren. Das zeigen Sitzungsprotokolle und weitere Dokumente, die der Beobachter gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat.
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch.
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Silvia Steiner ist auch Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) und damit die oberste Bildungsverantwortliche der Schweiz. Der Mangel an Lehrpersonen ist eines ihrer Kerndossiers. Wie erklärt sie ihre irreführende Kommunikation und das heimliche Ende der Taskforce? – Die Taskforce sei nach der letzten Sitzung im Oktober 2019 in «stetigem bilateralem Austausch» gewesen, schreibt Steiners Sprecher. Diese Gespräche seien aber nicht protokolliert worden, «im Gegensatz zu den formellen Sitzungen des Gesamtgremiums».
«Nicht in der Lage»
Kantonsrätin Fehr Thoma zeigt sich überrascht über diese Antwort. Sie sagt: «Es ist eine Katastrophe, wenn man in einer solchen Krisensituation eine Taskforce nicht weiterführt, entgegen anderen öffentlichen Behauptungen.» Es sei ein weiterer Beleg, dass Steiner als Bildungsdirektorin nicht in der Lage sei, mit den wichtigsten Akteuren strukturierte Gespräche zu führen, um das Problem Lehrpersonenmangel zu lösen.
Auch der Präsident des Zürcher Lehrerverbands (ZLV), Christian Hugi (44), erfuhr erst vom Beobachter, dass sich die Taskforce seit drei Jahren nicht mehr trifft. Auch er zeigte sich überrascht: «Ich bin davon ausgegangen, dass die Taskforce weitergeführt wird.»
Hugi war selbst Mitglied dieser Taskforce – neben Vertreterinnen und Vertretern des Volksschulamts, der pädagogischen Hochschule, der Schulpräsidien und des Schulleiterverbands. Sie hatte sich erstmals im Januar 2008 getroffen. Bis 2019 tagte das Gremium mindestens zweimal pro Jahr.
Lehrermangel ist jetzt Chefsache
Kurz vor der letzten offiziellen Sitzung im Oktober 2019 verliess Hugi die Taskforce – unter Protest, wie er gegenüber dem Beobachter erstmals erklärt. Er kritisierte, dass man sich fast ausschliesslich um kurzfristige Massnahmen kümmere.
Um den Mangel an Lehrpersonen nachhaltig zu beheben, seien aber strukturelle Massnahmen nötig; man müsse zum Beispiel den Berufsauftrag anpassen und bei der Integration mehr unterstützen. Das sei bis heute nicht geschehen. Die ungelösten Probleme seien eine Ursache, warum sich die Personalknappheit in der Volksschule in den letzten 15 Jahren immer weiter zugespitzt habe.
Nachdem die Taskforce offenbar nur noch «informell» tagt, fragt sich: Wer arbeitet nun im Kanton Zürich die Konzepte gegen den Lehrermangel aus? Der Sprecher der Bildungsdirektion schreibt dazu, Steiner habe «gewisse Geschäfte» im Zusammenhang mit dem Lehrpersonenmangel zur Chefsache erklärt und damit der Kompetenz der Taskforce entzogen. Verschiedene Massnahmen seien «bereits in Bearbeitung». So etwa die Weiterentwicklung der Quereinsteiger-Ausbildung, die Zulassungsbedingungen fürs Lehrerstudium und die Angleichung der Löhne der Kindergartenstufe an die Unterstufe.
«Extrem langsam»
In den Schulen ist davon noch wenig zu spüren. «Alles geht extrem langsam voran», sagt Christian Hugi vom Lehrerverband. «Es ist noch immer nicht klar, wie die Lehrpersonen entlastet werden, damit sie wieder mehr Zeit für ihr Kerngeschäft haben, den Unterricht und die Klassenführung.» Ebenso unklar sei, wie es mit der Ausbildung von Laienlehrkräften weitergehe, wenn ihr Vertrag Ende Schuljahr ausläuft.
Ex-Taskforce-Mitglied Hugi befürchtet denn auch, dass es im nächsten Frühling erneut zu wenig Lehrpersonen gibt. Vielleicht dann aber mit einer neuen Bildungsdirektorin. Im Februar wird in Zürich die Regierung neu gewählt.