Die Albisgüetli-Rede von Christoph Blocher hallt nach. Nicht nur, weil der 75-jährige SVP-Übervater die Schweiz auf dem Weg in die Diktatur sieht. Sondern auch, weil Blocher der Stadtpolizei Zürich im Zusammenhang mit Sex-Delikten krasses Versagen vorwirft.
Blochers Schilderung zufolge werden weibliche Opfer von Übergriffen, wie sie sich in der Silvesternacht ereigneten, systematisch abgewimmelt. «Bei diesen Sexualdelikten nimmt man Anzeigen in der Stadt Zürich gar nicht mehr entgegen», rief Blocher den 1200 Sympathisanten im Albisgüetli zu. Jede Familie mit Töchtern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren könne das bestätigen. Blocher unterstellt der Polizei, sie wolle das wahre Ausmass der Kriminalität beschönigen. «So kann man die Quote herunterdrücken. Die Missstände sind relativ gross.»
Blumer: Kein Fall bekannt
Wie schlimm steht es also um die Stadtpolizei Zürich? Werden Sex-Opfer wirklich konsequent abgewiesen? Polizeikommandant Daniel Blumer reagiert auf BLICK-Anfrage äusserst scharf: «Ich weise diese Vorwürfe von Alt-Bundesrat Christoph Blocher in aller Deutlichkeit zurück.»
Seit seinem Antritt 2013 sei ihm kein Fall bekannt, bei dem eine Anzeige wegen eines sexuellen Übergriffs nicht entgegengenommen worden sei, so Blumer. Es habe auch nie eine entsprechende Klage, Beschwerde oder Anzeige gegeben.
Opferberaterin lobt Stadtpolizei
Claudia Kaufmann, Ombudsfrau der Stadt Zürich, bestätigt: «In den letzten zehn Jahren gab es bei uns keine einzige Beschwerde gegen die Stadtpolizei, sie habe eine Anzeige zu einem Sexualdelikt nicht entgegennehmen wollen.»
Unterstützung erhält der Polizeikommandant auch von Franziska Geiser-Bedon, Geschäftsleiterin der Frauenberatung Sexuelle Gewalt Zürich. «Den Vorwurf, Sex-Opfer würden von der Stadtpolizei Zürich abgewimmelt, höre ich zum ersten Mal. Und es würde mich extrem erstaunen, wenn da etwas dran wäre», sagt sie. «Die Zusammenarbeit mit der Stadtpolizei erlebe ich als vorbildlich.»
Blocher bleibt Belege schuldig
Was sagt Christoph Blocher dazu? Worauf stützt er seine Vorwürfe? BLICK hat den SVP-Vizepräsidenten und Milliardär gestern aufgefordert, seine Vorwürfe zu belegen. Blocher war nicht erreichbar.
Nach Angaben der Stadtpolizei Zürich gingen in den letzten Jahren jeweils zwischen 1200 und 1900 Anzeigen pro Jahr wegen Sexualdelikten ein. Ein Grossteil der Anzeigen betrifft die Prostitution. 2014 wurde immerhin 84 Mal Anzeige wegen sexueller Nötigung erstattet. Die Zahlen für 2015 liegen noch nicht vor.