Wie viel Umweltverantwortung verträgt unsere Wirtschaft?
«Mit solcher Ökodiktatur wären wir eines der ärmsten Länder Europas»

Mit der Umweltverantwortungsinitiative stünde die Schweizer Wirtschaft vor einem radikalen Umbau. Sie fordert innerhalb eines Jahrzehnts eine drastische Ressourcenreduktion im In- und Ausland. Geht das überhaupt?
Publiziert: 00:13 Uhr
|
Aktualisiert: vor 48 Minuten
1/6
Am 9. Februar stimmt die Schweiz über die Umweltverantwortungsinitiative ab.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Schweiz stimmt am 9. Februar über die Umweltverantwortungsinitiative ab
  • Studie des Bundes: Schweizer Wirtschaft müsste um fast zwei Drittel schrumpfen
  • Experten uneinig über Auswirkungen: Revolution oder Präzisierung bestehender Verfassungsziele
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
RMS_Portrait_AUTOR_817.JPG
Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Teuerung, Armut, Wirtschaftskollaps: Die Gegnerinnen und Gegner der Umweltverantwortungsinitiative sparen nicht mit Albtraumszenarien, sollte das Schweizer Stimmvolk die Vorlage am 9. Februar annehmen. Das Pro-Lager unter der Führung der Jungen Grünen übt sich dagegen in Idealismus und behauptet: Grüne Wiesen, Kreislaufwirtschaft und Solarpanels auf jedem Dach – ein Umbau der Schweiz sei möglich, sofern man denn wolle.

Innerhalb von zehn Jahren müsste der Bund Massnahmen umsetzen, damit die Schweizer Wirtschaft nur noch so viele Ressourcen verbraucht, wie der Schweiz im Verhältnis zum Rest der Welt eigentlich zustehen würden. Doch was passiert wirklich, wenn die Initiative durchkommt? Und wie schlimm wäre es, wenn die hiesige Volkswirtschaft durch die Vorlage um beinahe zwei Drittel – so bilanziert es eine Studie des Bundes – schrumpfen müsste?

Grosse Revolution oder einfache Präzisierung?

«Die Initiative ist nicht die grosse Revolution, als die sie dargestellt wird», findet Irmi Seidl (62), Titularprofessorin an der Universität Zürich. Die wachstumskritische Ökonomin ist Teil des Wissenschaftskomitees der Vorlage. Aus der Sicht von Seidl fordert sie eine Präzisierung dessen, was in der Schweizer Verfassung eigentlich längst verankert ist: Nämlich, dass Bund und Kantone ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erneuerungsfähigkeit und Beanspruchung der Natur anstreben.

Laut Seidl geht also vor allem darum, auch von der Wirtschaft nachdrücklich Nachhaltigkeit einzufordern. Und dabei Versäumtes nachzuholen. Denn die Schweiz verpflichtete sich vor rund acht Jahren im Pariser Klimaabkommen unter anderem zu einer Halbierung ihrer Emissionen bis 2030. Ein Ziel, das die Schweiz mit den aktuellen Massnahmen definitiv verfehlen wird. Die Frist von zehn Jahren für die Umsetzung der Initiative sei zwar sportlich, so Seidl. «Doch wenn stattdessen 20 Jahre eingeräumt würden, würden alle sagen: Ach, wir haben ja noch genug Zeit. Doch die haben wir nicht.»

Klar ist: Die Schweizer Wirtschaft wird schrumpfen

Für Ökonom Aymo Brunetti (61), Professor an der Universität Bern, ist es dagegen weitgehend egal, ob die Forderung in ein oder zwei Jahrzehnten umgesetzt werden müsste. «Das wäre in dieser Zeitspanne nur mit brutalen, planwirtschaftlichen Zwangsmassnahmen vollständig möglich», sagt Brunetti. «Und wenn eine solche Ökodiktatur verwirklicht würde, wäre die Schweiz plötzlich eines der ärmsten Länder Europas.» Damit spiegelt Brunetti auch die Argumente der Wirtschaftsdachverbände: Die Schweiz müsste ihren Wohlstand dem Umweltschutz opfern.

Seidl ist sich bewusst, dass eine Umsetzung der Initiative zu einer schrumpfenden Wirtschaft führen würde. Anders als Brunetti betrachtet sie Verbote und Vorschriften aber nicht als nötig für einen erfolgreichen Umbau der Schweizer Wirtschaft. Eine Aufhebung umweltschädlicher Subventionen – etwa im Verkehr – sowie eine Preissetzung, die die Umweltkosten konsequent einrechnet, wären bereits sehr grosse Schritte, die Entscheidungen verändern und zahlreiche Innovationen auslösen würden.

Zudem könne ein Verlust des materiellen Wohlstands mit technologischen und sozialen Innovationen sowie Ausgleichsmassnahmen aufgefangen werden. «Wenn die Massnahmen sozialverträglich umgesetzt und die Ressourcen viel effizienter eingesetzt werden, muss das gar nicht heissen, dass es den Leuten schlechter geht», sagt die Ökonomin.

Stimmvolk wird sich kaum für weniger Geld entscheiden

Eine schrumpfende Wirtschaft führe in jedem Fall zu weniger Zufriedenheit, erwidert Brunetti die Wachstumskritik. Denn einen solchen Umbau sozialverträglich umzusetzen, sei völlig unrealistisch. «Natürlich kann die Umsetzung an ein radikales Umverteilungsprogramm gekoppelt werden – also etwa die Reichen massiv zu besteuern», sagt Brunetti. «Aber die meisten Reichen werden dann gar nicht mehr hier sein. Es wird also allen, die bleiben, sehr stark wehtun – ganz speziell den Leuten, die wenig haben.»

Letztlich laute die ehrliche Frage, ob das Stimmvolk heute bereit sei, in fünf Jahren jährlich durchschnittlich auf einen fünfstelligen Frankenbetrag seines Einkommens zu verzichten. «Im Elfenbeinturm kann man durchaus sagen, dass die umweltpolitischen Ziele durch die Initiative erreicht würden», sagt Brunetti. «Aber das zentrale Problem ist, dass sie in einer Demokratie politisch durchgesetzt werden muss.» Und das sei nur denkbar, wenn die Massnahmen nicht zu deutlichen Einkommenseinbussen für alle führten.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?