Des Bundesrat drückt aufs Gaspedal. Gehts nach Verkehrsministerin Doris Leuthard, sollen in drei Jahren die ersten Pilotprojekte in Sachen Mobility Pricing anlaufen (BLICk berichtete). Das Modell sieht vor, dass Autofahrer und ÖV-Benutzer benutzungsabhängig und zur Kasse gebeten werden.
Wer also in der Stosszeit durch den Baregg-Tunnel will oder in der Rush Hour im Intercity von Zürich nach Bern fährt, soll in Zukunft deutlich mehr bezahlen als ein Ausflügler, der erst am späten Morgen in Zug oder Auto steigt.
Pläne, die der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) mit kritisch beäugt. «Dass man sich über eine alternative Verkehrsfinanzierung Gedanken macht, befürworten wir grundsätzlich», sagt Direktor Ueli Stückelberger zu BLICK. «Auch wir finden es gut, wenn man die Verkehrsspitzen brechen und die ÖV-Benutzung besser verteilen kann.»
«Was heisst schon gerecht?»
Er stellt allerdings in Frage, dass die Verkehrsfinanzierung damit – wie vom Bundesrat beworben – gerechter wird. «Was heisst schon ‹gerecht›? Ich finde nicht, dass das aktuelle System per se ungerecht ist», sagt Stückelberger. So könne man es auch umgekehrt sehen: «Es wäre doch ungerecht, wenn ein Pendler, der während der Stosszeit am Morgen wegen Platzmangels im Gang stehen muss, tiefer in die Tasche greifen muss als jemand, der ein paar Stunden später den halben Zug für sich hat.»
IMAGE-ERRORFür den VöV stehe die Kundenzufriedenheit im Vordergrund, sagt Stückelberger. «Wir wollen keine Pendlerstrafe!» Zudem komme eine Abschaffung des GAs nicht in Frage «Die Abonnemente wie GA und Verbundabonnemente sind bei den Kunden sehr beliebt. Deshalb sollen sie erhalten bleiben.»
Stückelberger bezweifelt, dass die Pendlerströme über die Preise überhaupt massgeblich beeinflusst werden können. Stattdessen werde bereits heute versucht, mit Informationen über die Zugbelegung oder Sparbilletts die Kunden zu sensibilisieren, sagt Stückelberger. «Man ist zudem mit einzelnen Schulen im Gespräch, ob sie die Unterrichtszeiten anpassen können. Denn manchmal reicht schon eine Viertelstunde, um das Problem zu entschärfen.»
Gewerbeverband fürchtet Abzocke
Auch der Gewerbeverband hält von den bundesrätlichen Plänen wenig. Die Regierung wolle damit «die Bürger abzocken», schreibt der Verband in einem Communiqué. Das Gewerbe müsse sich nach den Kunden richten «und kann in der Regel weder Zeit noch Ort der Fahrten selbst wählen». Für KMUs führe Mobility Pricing deshalb «zwangsläufig zu einem nicht beeinflussbaren Kostenschub».
Höhere Preise befürchtet auch FDP-Nationalrat Thierry Burkart. «Kleine Preisanpassungen führen zu fast keiner Verhaltensänderung. Das kennen wir ja: Wird das Benzin um einige Rappen teurer, fahren die wenigsten deswegen plötzlich weniger Auto», sagt er. Die Preise müssten schon enorm steigen, um eine Veränderung zu bewirken. «Zudem kann Mobility Pricing aus meiner Sicht nicht funktionieren, weil dem System ein unlösbarer Zielkonflikt zu Grunde liegt: Ist die Lenkung erfolgreich, hat man zu wenig Geld – und wenn genügend Geld da ist, heisst das, dass die Lenkung nicht funktioniert.»
IMAGE-ERRORGanz anders sieht das SP-Nationalrätin und VCS-Zentralpräsidentin Evi Allemann. Sie findet es «begrüssenswert», dass der Bundesrat nun einen Schritt vorwärts gemacht und sich für Mobility Pricing und erste Pilotprojekte ausgesprochen hat. «Wir sind gezwungen, mutig zu denken. Sonst wird uns der Verkehr bald überrollen.»
Home Office und günstigerer Wohnraum ein Muss
Eine Herausforderung sieht Allemann in Bezug auf den Berufspendlerverkehr. Ohne gleichzeitig flexible Arbeitsmodelle zu fördern und Unterrichtszeiten anzupassen, bringe Mobility Pricing wenig.
Auch müsse in Städten mehr kostengünstiger Wohnraum entstehen, damit das Ziel des Bundesrats wirklich erreicht werden kann. «Doch der Bundesrat will Mobility Pricing ja auch nicht von heute auf morgen umsetzen. Im vorgesehenen Zeithorizont von 15 Jahren wird sich diesbezüglich noch viel tun.»
Aus Sicht der Grünliberalen gehen die Pläne des Bundesrats derweil gar noch zu wenig weit. Mobility Pricing dürfe nicht nur dazu dienen, Kapazitäten besser zu nutzen.
Geht es nach GLP-Präsident Martin Bäumle, müssten auch die Kosten für die Verkehrsinfrastruktur und die externen, durch die Emissionen verursachten Kosten verursachergerecht abgerechnet werden. Alles andere sei ökonomisch und ökologisch «willkürlich».