Das SRF lässt User Flüchtlinge abschieben. «Wie verteilt Europa Flüchtlinge fair? Entscheiden Sie!», ruft das Schweizer Fernsehen dazu auf, Menschen, die vor Krieg und Armut geflohen sind, zu verteilen.
Die User sollen bestimmen, welche Länder zu viele und welche zu wenige Asylsuchende zählen. Das heitere Flüchtlingsschieben passiert durch die Betätigung von vier Reglern: Soll der Wohlstand, hier gemessen am Bruttoinlandprodukt, ein wichtiger Faktor für die Aufnahme von Flüchtlingen sein? Die Bevölkerungsgrösse? Die Fläche eines Landes? Oder die Arbeitslosenquote?
Wissenschaftlicher Anstrich
In der Welt von SRF lässt sich so einfach ein Verteilschlüssel kreieren. Die dazu verwendeten Daten kommen von der Uni Neuenburg, was dem Ganzen einen wissenschaftlichen Anstrich gibt.
Zwar ist ein solcher Verteilschlüssel schon länger in der Diskussion, doch beispielsweise osteuropäische Staaten wie Ungarn legen sich bei der Festlegung eines solchen Schlüssels quer. Fachleute zweifeln deshalb daran, dass sich Europa je auf eine gerechte Verteilung der Asylsuchenden einigt.
Und – was niemand gern sagt – eigentlich will kein Staat viele Flüchtlinge, sondern ist froh, wenn diese in den anderen Ländern bleiben oder weiterreisen.
«Weit weg von der Realität»
Der Migrationsexperte Eduard Gnesa hält denn auch fest: «Die Flüchtlingsverteilung bei SRF ist weit weg von der politischen Realität.» Der einstige Direktor des Bundesamts für Migration betont, «wenn ich der Sache etwas Gutes abgewinnen wollte, würde ich sagen, sie zeigt uns, dass in einer idealen Welt das Bruttoinlandprodukt und weitere Kriterien zu einer faireren Verteilung von Asylsuchenden herangezogen werden könnten.» In einer idealen Welt müsste aber auch niemand fliehen, gibt er zu bedenken.
Auch die Aufnahmestaaten selbst würden unterschiedliche Kriterien einsetzen, um die Asylsuchenden innerhalb des Staates zu verteilen: in Deutschland nach Bevölkerungszahl und Steuereinnahmen der einzelnen Länder, in der Schweiz nur nach der Bevölkerungszahl der Kantone. Umso unrealistischer sei es, sich auf einen solchen Verteilschlüssel zu einigen. Und dies auch aus folgendem Grund: «Wer würde nach seiner Verteilung nach Bulgarien dort bleiben und nicht weiterziehen nach Deutschland oder in die Schweiz?», fragt Gnesa.
«Chalbereien»
«Das gebührenfinanzierte SRF sollte auf solche ‹Chalbereien› verzichten und ernsthaften Journalismus betreiben», findet SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (57). Mit solchen Aktionen verhelfe es ja nur der Initiative zur Senkung der Serafe-Gebühr auf 200 Franken zum Durchbruch.
Und die grüne Nationalrätin Natalie Imboden (52) ereifert sich: «Migration ist kein Spiel!» Das Thema sei zu ernst, als dass man es auf die leichte Schulter nehmen kann. «Es ist ja richtig, sich über eine faire Verteilung von Flüchtlingen Gedanken zu machen. Nur scheint mir das hier nicht besonders gelungen», erklärt sie.
Denkanregung
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Das SRF verteidigt sich, der Beitrag sei im Rahmen der «10vor10»-Serie «Brennpunkte der Migration» entstanden, die diese Woche ausgestrahlt wird. «Mit unserem Artikel und dem interaktiven Element des Schiebereglers möchten wir unsere Userinnen und User dazu anregen, sich Gedanken darüber zu machen, wie ein Flüchtlings-Verteilschlüssel aussehen könnte.» Es würden ja keine Flüchtlinge «verteilt», sondern man zeige nur, «wie ungleich die Asylanträge 2022 verteilt waren». Zudem werde die Thematik per Interview mit dem Wissenschaftler Etienne Piguet eingeordnet.
Piguet selbst erklärt: Die Identifizierung von Ländern, die viele Menschen aufnehmen, und von solchen, die sehr wenige aufnehmen, sei eine Grundlage, um über eine solidarische europäische Asylpolitik nachzudenken.