Justizministerin Karin Keller Sutter (56) ist im Schuss: Landauf, landab weibelt sie gegen die Konzernverantwortungs-Initiative, die in einenhalb Wochen zur Abstimmung kommt.
Gemäss den neusten Umfragen steht das Anliegen von Hilfswerken, Kirchen und linken Parteien auf Messers Schneide. Und ausgerechnet jetzt, im Endspurt, attackieren Rechtsexperten die Justizministerin mit dem verbalen Zweihänder.
In einem Gastbeitrag in der «NZZ» werfen ihr vier renommierte Juristen vor, die Stimmberechtigten «unrichtig» und «unvollständig» zu informieren. Darunter sind Markus Schefer (55), Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel, und Franz Werro (63), Professor für Obligationenrecht an der Universität Freiburg.
Franz Werro steht dem Lager der Befürworter nahe. Er hat an einem «Modellgesetz» mitgearbeitet, in dem die Initianten aufzeigen, wie die Initiative konkret umgesetzt werden könnte, und trat auch schon an einer Medienveranstaltung des Initiativkomitees als Experte auf.
KMU nicht betroffen
Die Experten stören sich erstens daran, dass Bundesrätin Keller-Sutter behaupte, die Initiative, die Schweizer Unternehmen und ihre Tochterfirmen für Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen im Ausland haftbar machen will, tangiere zahlreiche KMU.
So verweist die Justizministerin immer wieder darauf, dass die Vorlage «grundsätzlich alle Unternehmen» betreffe, da im Initiativtext nicht explizit von «Konzernen» die Rede sei.
Unternehmen statt Konzern
Die Experten erklären, dass es für die Wortwahl im Initiativtext einen einfachen und «offensichtlichen Grund» gäbe: Ein Konzern verfüge über keine eigene Rechtspersönlichkeit und bezeichne im rechtlichen Sinn lediglich eine Gruppe von Unternehmen. Oder anders gesagt: Den Begriff «Konzern» kann man nicht für den Gesetzestext verwenden, weil er streng rechtlich etwas anderes bedeutet als umgangssprachlich damit gemeint ist.
Deshalb sei auch im Gegenvorschlag, der massgeblich aus Keller-Sutters Küche stammt, nicht die Rede von Konzernen – sondern von Unternehmen.
Daraus liessen sich allerdings keine Folgerungen für die Anwendung auf KMU ziehen. Zudem verpflichte der Initiativtext das Parlament, bei der Umsetzung der Konzernverantwortungs-Initiative auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen Rücksicht zu nehmen.
Keine Beweislastumkehr
Das Blut der Juristen richtig zum Kochen bringt ein weiteres beliebtes Argument der Gegner: Das die Initiative eine Beweislastumkehr vorsehe. «Der Boden ernsthafter rechtlicher Analyse wird mit der Feststellung verlassen», empören sich die Experten. Es sei nach wie vor am Kläger, «den Schaden, die Kausalität, die Widerrechtlichkeit und das Kontrollverhältnis» zu beweisen.
Bei der im Gesetz vorgesehene Regelung, wonach sich ein Unternehmen von der Haftung befreien kann, wenn es die Einhaltung seiner Sorgfaltspflichten nachweist, handle es sich um eine «Befreiungsmöglichkeit» und nicht um eine «Beweislastumkehr».
Zweite GfS-Umfrage: Konzern-Initiative wird zur Zitterpartie
Keller-Sutter hatte in einem Interview gesagt, bei den neuen Regeln handle es sich um eine Abweichung von den Grundsätzen des Schweizer Rechtssystems. Schliesslich müsse der Staat ihr «in der Regel beweisen, dass ich einen Fehler gemacht habe, nicht ich muss beweisen, dass ich unschuldig bin».
Die Professoren zeigen sich irritiert über diese Aussage. Sie sind sich einig: Die Justizministerin verwechselt hier das Straf- mit dem Zivilrecht. Diese Verwechslung «verunmögliche» eine nüchterne rechtliche Einordnung der Haftungsregelungen der Initiative.
Entbehrt «juristischer Grundlage»
Drittens stören sich die Experten daran, dass die FDP-Bundesrätin die Haftungsregeln für Konzerne als «weltweit einzigartig» und für die Schweizer Rechtsordnung «untypisch» darstellt. Diese Bezeichnungen entbehrten einer «juristischen Grundlage», so die Rechtsexperten.
Die in der Initiative vorgesehene Konzernhaftung lehne sich an «die bestehende Geschäftsherrenhaftung im Obligationenrecht» an. Zudem sei das Bundesamt für Justiz bereits 2018 zum Schluss gekommen, dass es sich bei den Haftungsregeln lediglich um «eine Konkretisierung der geltenden Regelung» handle. (til)
Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungs-Initiative ab. Sie will, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dafür haften, wenn sie, ihre Tochterfirmen oder andere kontrollierte Unternehmen im Ausland gegen Menschenrechte oder Umweltstandards verstossen. Im Rahmen einer Sorgfaltsprüfung müssen Unternehmen künftig mögliche Risiken erkennen und geeignete Massnahmen dagegen ergreifen. Diese Sorgfaltspflicht gilt für alle Unternehmen in der Lieferkette.
Dagegen sind Bundesrat und Parlament. Sie argumentieren, dass ein Ja ein Alleingang der Schweiz wäre, der vor allem dem Wirtschaftsstandort schaden würde. Dem Nein-Lager gehören CVP, FDP und SVP an, dazu kommen die Wirtschaftsverbände, allen voran der Dachverband Economiesuisse. Sie befürchten eine Schwächung der Schweizer Unternehmen, den Rückzug von KMU aus Entwicklungsländern, zu viel Bürokratie und erpresserische Klagen.
Dafür sind neben den über hundert Nichtregierungsorganisationen, welche die Initiative ergriffen haben, SP, Grüne, GLP, EVP und BDP. Dazu kommt ein bürgerliches Komitee mit Vertretern von CVP und FDP.
BLICK beantwortet hier die wichtigsten Fragen zur Initiative.
Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungs-Initiative ab. Sie will, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dafür haften, wenn sie, ihre Tochterfirmen oder andere kontrollierte Unternehmen im Ausland gegen Menschenrechte oder Umweltstandards verstossen. Im Rahmen einer Sorgfaltsprüfung müssen Unternehmen künftig mögliche Risiken erkennen und geeignete Massnahmen dagegen ergreifen. Diese Sorgfaltspflicht gilt für alle Unternehmen in der Lieferkette.
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