Auf einen Blick
- Bern entwickelt sich zur Schwammstadt
- Regenwasser soll besser im Boden versickern und dort gespeichert werden
- Fast alle grossen Städte sind dabei, sie zu Schwammstädten umzuwandeln
Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Steingarten, der Rosalia-Wenger-Platz in Wankdorf-City in Bern. Unter anderem haben hier die SBB und die Post ihre Hauptsitze erstellt. Hochschiessende Gebäude bieten viele Hundert Arbeitsplätze, Restaurants im Erdgeschoss sorgen für Verpflegung. Der neue Bahnhof Bern-Wankdorf ist noch im Bau, auf der anderen Seite der Gleise steht das legendäre Wankdorf-Stadion, Heimat von YB. An den Match-Tagen oder für Konzerte sollen die Gäste von hier aus direkt ins Stadion geleitet werden, statt dass sie über den Bahnhof Bern und wieder zurück umgeleitet werden müssen. Wankdorf-City ist eines der neusten Quartiere der Bundesstadt. Weltbekannt ist Bern für seine Altstadt, die mit ihren Lauben und den prächtigen Sandsteingebäuden als Unesco-Welterbe unter strengem Schutz steht. Doch so wie sich die Altstadt seit 1191 über mehrere Jahrhunderte entwickelt hat, so entwickelt sich die Stadt laufend weiter: Heute leben 144'000 Menschen in Bern – die meisten in Quartieren, die sich nach und nach um den Kern herum gebildet haben.
Mehr Bauen bedeutet aber immer auch mehr Versiegelung des Bodens: Einstellhallen und Parkings reichen tief ins Erdreich, Strassen und Plätze machen den Boden zu einer undurchdringbaren Schicht. Bei Regen muss das Wasser in die Kanalisation abgeleitet werden, im Sommer heizen Asphalt und Beton die Stadt auf. Mit fortschreitender Klimaerwärmung werden Städte so zu Hitzeinseln. Sollen sie aber lebenswert bleiben, braucht es neue Lösungsansätze. Einer davon ist das Prinzip Schwammstadt.
Frau Kruit, Sie wollten hier auf dem Rosalia-Wenger-Platz abmachen. Was ich sehe, ist ein Steingarten. Was soll daran innovativ sein?
Ursprünglich war hier ein versiegelter Boden. Wir haben in Zusammenarbeit mit den Besitzern und Anwohnenden die wasserdichte Auflage entfernt, das Erdreich freigelegt, einen Mikrowald gepflanzt und einen Mergelbelag angelegt. Jetzt kann der Regen in die Erde versickern, die Pflanzen erhalten Wasser, ohne dass wir sie giessen müssen, und der Platz heizt nicht in dem Mass auf, wie das bei versiegelten Flächen der Fall ist.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Die Stadt hat auch ein paar rote Stühle und Tische aufgestellt. Muss man die nicht dauernd ersetzen?
Nein, überhaupt nicht! Der Platz lädt zum Verweilen ein. Die Menschen schätzen das und tragen dem Mobiliar Sorge. Es gibt auch einen runden Brunnen, auf dessen Rändern man sitzen kann. Statt ein leerer Platz ist das jetzt ein Ort, wo Menschen zusammenkommen.
Das Prinzip, nach dem hier gestaltet und umgebaut wurde, heisst Schwammstadt. Können Sie erklären, was das genau ist?
Einfach ausgedrückt: mehr Blau und Grün, weniger Grau. Oder anders gesagt: mehr Wasser und Pflanzen, weniger Beton und Asphalt. In einer Schwammstadt versickert das Regenwasser und wird im Boden gespeichert. Das entlastet die Kanalisation und vermindert Gebäudeschäden. Zudem werden die Pflanzen natürlich gewässert. In Hitzeperioden und während Trockenphasen kann das Wasser langsam über Bäume, Pflanzen und offene Wasserflächen verdunsten. So wird es an diesen Orten kühler.
Wo hilft dieses Prinzip?
An mehr Orten, als auf den ersten Blick möglich scheint. Aber klar, eine Strasse bleibt eine Strasse. Hier kann man versuchen, entlang der Verkehrsachse mit Bäumen das Prinzip Schwammstadt anzuwenden. Bäume sind sowieso entscheidend, wenn die Städte kühler und lebenswerter werden sollen.
Das gibt es doch schon, Bäume hat man ja immer gepflanzt.
Ja, aber oft haben sie zu wenig Platz fürs Wurzelreich. Auch hier weiss man heute, dass man mit dem richtigen Untergrund, viel Platz und vor allem einer oben durchlässigen Fläche die Bäume gesünder erhalten kann.
Was können Einzelne tun, um das Prinzip Schlammstadt zu fördern?
Dach- und Fassadenbegrünungen sind hilfreich. Auch Regenwasserspeicher im Boden oder Grünflächen.
Wie wollen Sie als Vorsteherin der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün der Schwammstadt zum Durchbruch verhelfen?
Mit vielen kleinen Schritten. Das geht nicht auf einen Schlag. Auf dem Breitenrainplatz haben wir ebenfalls eine grüne Insel geschaffen, in Planung sind jetzt der Bären- und der Waisenhausplatz. Dabei gilt es aber auch, die verschiedenen Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Auf diesen beiden Plätzen haben wir Märkte, Restaurants, die Tische draussen haben, der Warenumschlag muss gewährleistet sein. Bei eigenen Bauprojekten ist es einfacher, da wir da bereits von Anfang an so gestalten und bauen können. In bestehenden Strukturen geht es langsamer.
Der bekannteste Platz Berns, der Bundesplatz, ist nicht grad eine grüne Oase – sondern 3600 Natursteinplatten, kein Baum, kein Schatten, nichts.
Der Bundesplatz hat aber ein Wasserspiel! Das müssen Sie auch erwähnen. Und noch etwas: Vor der Umgestaltung war es ein Parkplatz, das wünscht man sich ja nicht zurück. Wie ich gesagt habe, haben Plätze verschiedene Funktionen zu erfüllen, nicht alle können gleich gestaltet sein. Der Bundesplatz ist auch der Ort, der beispielsweise bei Demos für die ganze Schweiz eine Bedeutung hat.
Wann wird ganz Bern eine Schwammstadt sein?
Da werde ich sicher nicht mehr im Amt sein (lacht). Das geht Jahrzehnte. Wir haben einen Gegenvorschlag zur Stadtklima-Initiative ausgearbeitet, der Anfang nächstes Jahr in Kraft tritt. Darin bringen wir Rezepte, wie wir rasch konkrete Projekte angehen können. Wichtig ist: Wir setzen uns jährliche Ziele, wie weit wir kommen müssen. Das scheint uns sinnvoller, als ein Fernziel zu formulieren. Regelmässig Bericht erstatten, das verpflichtet zum Dranbleiben. Das scheint mir der bessere Weg.
Stehen Sie auch mit anderen Schweizer Städten in Kontakt?
Ja. Fast alle grossen Schweizer Städte arbeiten daran, sie zu Schwammstädten umzubauen, und wir tauschen unser Wissen aus.
Wann hörten Sie erstmals das Wort Schwammstadt?
Vor meiner Wahl in die Stadtregierung habe ich mich im Parlament mit Umweltthemen befasst. Aber so richtig eingearbeitet habe ich mich als Gemeinderätin. Das Prinzip scheint logisch. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat das Bewusstsein gefehlt.
Im November finden Wahlen statt, Sie kandidieren auch als Stadtpräsidentin. Bern hatte noch nie eine Frau als Stapi …
Ja, und deshalb ist es jetzt Zeit dafür. Nebst meinem Engagement für eine klimafreundliche Stadt ist mir auch der bezahlbare Wohnraum ein Anliegen. Es ist wichtig, dass wir in den Städten wohnen und nicht nur arbeiten! Voraussetzungen dafür sind die lebenswerte Umgebung, aber eben auch Wohnraum – auch für Familien! Zudem sind mir der öffentliche Verkehr, der Platz für Fussgänger und Velos wichtig, ohne die Zufahrtswege fürs Gewerbe zu vernachlässigen.
Pro Velo hat Sie kritisiert, zu wenig für die Velofahrer zu tun.
Wir schaffen laufend neue, sichere Velowege. Die Velolobby wünscht sich noch mehr und das noch schneller. Als Verkehrsdirektorin muss ich das Ganze im Blick haben: neben Velos auch sichere Fusswege und einen attraktiven öffentlichen Verkehr. Der Platz ist beschränkt, und soll eine Stadt lebenswert bleiben, bedingt das auch, dass wir an alle denken.