Das Coronavirus verbreitet sich in der Schweiz in einem Höllentempo. Innert einer Woche haben sich die Fallzahlen verdoppelt. Die Lage spitzt sich derart zu, dass der Schweiz nun innert kürzester Zeit die Kontrolle zu entgleiten droht. Das Contact Tracing könnte zusammenbrechen, der Platz in den Spitälern knapp werden.
Auch über andere Länder ist die zweite Welle hereingebrochen. Um das exponentielle Wachstum zu brechen, greift Wales zu einem Mini-Lockdown: Ab Freitag steht das öffentliche Leben im Land für zwei Wochen still. Das Haus verlassen dürfen die Waliser nur, wenn es unbedingt nötig ist. Zum Beispiel, falls Homeoffice unmöglich ist oder um zum Arzt zu gehen. Möglich ist aber auch eine Joggingrunde. Privat andere Menschen treffen: verboten.
Überlastungsschalter umlegen
Die Massnahme wird auch «Circuitbreaker» genannt – «Überlastungsschalter». Sie sei nötig, um Leben zu retten und das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren, meint die Waliser Regierung. Nordirland hat bereits zu diesem Mittel gegriffen. In weiteren Ländern steht es zur Debatte.
Wenig erstaunlich, dass auch Stefan Kuster (43) vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) vor den Medien einräumt, der Bund prüfe solche kurze Lockdowns. Schliesslich verzeichnen die Behörden in Wales derzeit «bloss» etwa 120 Corona-Fälle auf 100'000 Einwohner. In der Schweiz sind es 340.
Experten verwerfen die Idee denn auch nicht einfach: «Auch bei uns würde ein Circuitbreaker etwas bringen», meint Matthias Egger (63), Epidemiologe an der Uni Bern und früherer Leiter der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes. Wie viel genau, sei schwer vorherzusagen.
Zu lange gezögert
Aber: «Hätten wir einen solchen Mini-Lockdown Anfang September gemacht, hätte er wahrscheinlich eine grosse Wirkung gehabt. Jetzt bin ich mir nicht sicher, ob zwei Wochen reichen.» Der Vorteil sei aber, dass man den Menschen so einen klaren Zeitraum vorgebe. «Das ist besser zu ertragen, als wenn man einen Lockdown einführt und die Menschen nicht wissen, wie lange die Situation andauert.»
Die Idee hinter einem kurzen Lockdown sei, dass man dem Virus den Boden entzieht, sagt Egger. Die Frage ist, ob das Virus nicht schon zu viel an Boden gewonnen hat. «Was jetzt in Spitälern passiert, reflektiert das Infektionsgeschehen vor etwa drei Wochen. Ich bin deshalb besorgt, wie das weitergeht», meint er.
Besser gezielt eingreifen
Bereits zu spät für einen «Circuitbreaker» ist es, wenn es nach dem früheren GLP-Präsidenten Martin Bäumle (56) geht. Zudem wäre er «wirtschaftlich heikel», gibt der Nationalrat zu bedenken. «Gefragt sind gezielte Eingriffe – und zwar dort, wo sie die grösste Wirkung haben, der wirtschaftliche Schaden aber begrenzt ist.»
Für ganz gezielte Massnahmen plädiert auch FDP-Chefin Petra Gössi (44). «Auch Mini-Lockdowns müssen möglichst verhindert werden», sagt sie. Stattdessen hofft sie, dass unter anderem mit Schnelltests die Lage unter Kontrolle gebracht werden kann.
Und beim BAG macht man sich Sorgen darüber, wie man aus einem kurzen Lockdown wieder herausfinden würde. Das Amt befürchtet: Auch wenn dieser von vornherein auf 14 Tage begrenzt wäre, wäre es schwierig, wieder zu öffnen. Denn einen möglichen Erfolg sieht man erst Tage später.
Wie viele Corona-Neuinfektionen gibt es in der Schweiz? Die täglichen Fallzahlen des BAG gibt es laufend im Statistik-Ticker auf BLICK.
Wie viele Corona-Neuinfektionen gibt es in der Schweiz? Die täglichen Fallzahlen des BAG gibt es laufend im Statistik-Ticker auf BLICK.