Eigentlich hätte 2021 das Jahr der Frauen werden sollen. Die Einführung des Frauenstimmrechts jährt sich zum fünfzigsten, der grosse Frauenstreik zum dreissigsten, seine Wiederholung zum zweiten Mal – Meilensteine der feministischen Bewegung. Und morgen, 8. März ist Weltfrauentag.
Dennoch haben Frauen derzeit besonders wenig zu feiern. Die faktische Gleichberechtigung ist längst nicht erreicht. Schlimmer noch: Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern durch die Corona-Krise verschärft.
«Es waren vermehrt Frauen, die ihre Arbeitszeit während der Pandemie reduziert haben»
Erste Studien deuten darauf hin, dass Frauen von der Krise stärker betroffen sind als Männer. So waren Schweizerinnen laut Bundesamt für Statistik im letzten Quartal 2020 etwa doppelt so häufig vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen wie Männer. In erster Linie trifft die Ungleichheit – einmal mehr – die Mütter. Jene Frauen also, die auch unabhängig von der Pandemie einen Grossteil der unbezahlten Haus- und Betreuungsarbeit leisten – und dafür Lohneinbussen, kleinere Renten und Mehrfachbelastungen in Kauf nehmen müssen. Die Krise verschärft dieses Ungleichgewicht zusätzlich. Insbesondere deshalb, weil Familien durch Schulschliessungen im Frühjahr, durch Kontaktbeschränkungen und den Ausfall ausserfamiliärer Betreuungsangebote auf sich allein gestellt waren. «Es waren vermehrt Frauen, die ihre Arbeitszeit während der Pandemie reduziert haben, um zu den Kindern zu schauen», sagt Regula Bühlmann, Beauftragte für Gleichstellungs- und Familienpolitik beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB).
Manche Unternehmen führten familienfreundliche Massnahmen ein
Lucia Lanfranconi, Gleichstellungsexpertin und Dozentin für Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern, bestätigt das: «Mütter haben ihre eigenen Bedürfnisse im Lockdown zugunsten der Kinderbetreuung am stärksten eingeschränkt», sagt sie.
Zudem deutet eine noch unveröffentlichte, nicht repräsentative Umfrage darauf hin, dass sich Frauen mehr Sorgen um die Kinder machen. Die Studie, die Lanfranconi im Rahmen einer Untersuchung an der Hochschule Luzern durchgeführt hat, zeigt auch: Um Kinder zu betreuen, reduzierten Mütter im Homeoffice ihre Arbeitszeit während des Frühlingslockdowns 2020 rund doppelt so oft wie Väter: «Die ungleiche Betroffenheit vom Lockdown und der Pandemie kann generell längerfristige Folgen haben, weil die betroffenen Frauen jetzt wieder länger auf Jobsuche sind und mit eher kleinen Pensen einsteigen werden – was sich wiederum negativ auf Lohngleichheit und Gleichstellung auswirken könnte.»
Gleichzeitig bringt die Pandemie laut Lanfranconi Auswirkungen mit sich, die einen positiven Einfluss auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben könnten, also auch auf die Gleichstellung. So reduzierten viele Väter ihre Erwerbsarbeitszeit ebenfalls, manche Unternehmen führten familienfreundliche Massnahmen ein.
Zudem sei durch die Krise eine neue, untypische Situation entstanden: Gerade wenn die Frau in systemrelevanten Bereichen wie der Pflege tätig ist, ging sie zur Arbeit ausser Haus, während der Mann vielfach im Homeoffice war und gleichzeitig die Kinder betreute.
Verbesserung in Sachen Familienpolitik ist dringend
«Erste Studien deuten darauf hin, dass Männer mit Kindern im Haushalt unzufriedener waren und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mittlerweile kritischer sehen als vor der Pandemie», sagt die Gleichstellungsexpertin: «Sie spürten plötzlich die Doppelbelastung, die sonst vor allem Frauen erleben, und verstehen dadurch deren Situation vielleicht etwas besser.» Auch dies sei ein möglicher positiver Effekt für den Kampf gegen die Ungleichheit.
Das sieht die SGB-Gleichstellungsbeauftragte Bühlmann genauso: «Die Pandemie hat gezeigt, dass es Zeit wäre, sowohl bezahlte als auch unbezahlte Arbeit, die vor allem Frauen erledigen, mehr wertzuschätzen und bessere Bedingungen zu schaffen.» Frauen seien von unbezahlter Arbeit zu entlasten, indem die öffentliche Hand Betreuungsangebote finanziere. Und indem bezahlte und unbezahlte Arbeit fairer auf die Geschlechter verteilt werde.
«Es ist zentral, dass diese Themen jetzt aufs Tapet kommen», betont Lucia Lanfranconi. «Es braucht dringend eine Verbesserung in Sachen Familienpolitik – auch unabhängig von der Krise!»