Das Gesetz, das seit 2019 in Kraft ist, ist streng: Wer ein Kind sexuell nötigt, sich vor ihm entblösst oder Kinderpornografie konsumiert, darf nie mehr in seinem Leben mit Minderjährigen arbeiten. Das will die Pädophilen-Initiative so, die die Stimmbevölkerung vor neun Jahren angenommen hat. Nur in «besonders leichten Fällen» kann ein Gericht auf ein solches Tätigkeitsverbot verzichten.
Doch wird die Bestimmung wirklich auch so strikt umgesetzt? Daran gibt es Zweifel. Wie die «NZZ» jüngst berichtete, haben die Gerichte 2021 gerade einmal 191 Tätigkeitsverbote verhängt. Während es im selben Jahr zu 241 Verurteilungen wegen sexuellen Handlungen mit Kindern und knapp 800 wegen illegaler Pornografie kam. Hinzu kommen Täter, die beispielsweise wegen Vergewaltigung oder Schändung von Kindern verurteilt worden sind – Delikte, zu denen es keine gesonderten Zahlen gibt.
Sind die Gerichte zu grosszügig?
Dass jemand, der Kinderpornografie konsumiert, kein Berufsverbot erhält, kann beispielsweise daran liegen, dass er die Tat vor 2019 begangen hat – als das verschärfte Gesetz noch gar nicht in Kraft war. Doch die «NZZ» mutmasst, dass es noch einen anderen Grund geben könnte: Dass die Gerichte in den Kantonen das Gesetz relativ grosszügig auslegen – und häufig die Härtefallklausel anwenden.
Nachweisen lässt sich das bisher nicht. Doch bereits werden Erinnerungen an die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative wach. Vor einigen Jahren zeigte sich, dass Strafverfolgungsbehörden bei kriminellen Ausländern viel häufiger wegen eines Härtefalls auf einen Landesverweis verzichten, als man angenommen hatte. Zum grossen Ärger der SVP, die die Initiative eingereicht hatte.
SVP-Nationalrätin fordert Klarheit
Im bürgerlichen Lager wird die Befürchtung laut, dass es bei der Pädophilen-Initiative in dieselbe Richtung gehen könnte. Für SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann (47) steht darum fest: «Wir müssen dem unbedingt auf den Grund gehen.» Sie will vom Bundesrat in der Herbstsession wissen, wie er es sich erklärt, dass vergleichsweise nur wenige Berufsverbote verhängt wurden. «Wenn er keine gescheite Antwort liefern kann, werde ich per Vorstoss Klarheit verlangen.»
Auch der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni (43) fordert Klärung. «Ich würde eine wissenschaftliche Untersuchung begrüssen», sagt der FDP-Politiker. Schliesslich könnte es auch sein, dass es einfach sehr viele sogenannte Bagatellfälle gibt, bei denen die Verhängung eines Berufsverbots übertrieben wäre, gibt er zu bedenken.
Mehr Rechte für Staatsanwältinnen
Möglich wäre aber auch, dass es – wie bei den Landesverweisen – Fehlanreize im System gibt. So erledigen in einigen Kantonen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte kleinere Sexual- und Pornografiedelikte eigenmächtig per Strafbefehl und bringen sie nicht zur Anklage vor Gericht, zum Beispiel im Kanton Bern. Das spart Zeit und Kosten. Die Krux: Nur ein Gericht darf ein Berufsverbot (oder eben einen Landesverweis) aussprechen. Umgekehrt können Staatsanwaltschaften aber von der Härtefallklausel Gebrauch machen.
Das Parlament will nun, dass künftig nur noch Gerichte über Härtefälle entscheiden dürfen. «Der Bundesrat sollte das Gleiche für Tätigkeitsverbote bei Pädokriminellen prüfen», meint Caroni. Andernfalls werde er das in der Rechtskommission des Ständerats selber thematisieren.
Die Praxis auf kantonaler Ebene sei kritisch, meint auch SVP-Nationalrat Gregor Rutz (50), der sich stark für die Pädophilen-Initiative eingesetzt hatte. Man müsse die Entwicklung im Auge behalten, findet er. Doch etwas beruhigt ihn: «Anders als bei der Ausschaffungs-Initiative legt zumindest das höchste Gericht das Gesetz strikt aus.» Dieses Signal sei wichtig.