Die Schweizer Armee schlägt Alarm. Ihr gehen die Soldaten aus! Jahr für Jahr verliere das Militär ein paar Tausend junge Leute. «Am Ende des Jahrzehnts werden uns rund ein Viertel der Bestände fehlen!», erklärte Armeechef Thomas Süssli (54) im Blick. Das sind rund 30'000 Soldatinnen und Soldaten.
Nun sucht das Verteidigungsdepartement (VBS) nach einer Lösung. Um dem Mangel entgegenzuwirken, hat es vier Varianten für die Dienstpflicht der Zukunft ausgearbeitet, berichtete der «Tages-Anzeiger».
Laut den Dokumenten, die auch Blick vorliegen, sehen die Vorschläge für die Dienstpflicht von morgen wie folgt aus:
1. Sicherheitsdienstpflicht
Diese Variante kommt dem heutigen Modell am nächsten: Schweizer Männer blieben dienstpflichtig, die Frauen und ausländische Staatsbürger wären weiter davon ausgenommen. Neu würden Zivildienst und Zivilschutz zu einer Katastrophenschutzorganisation zusammengeführt. Die Armee würde prioritär nur noch die Anzahl Personen rekrutieren, die zum Erreichen des Effektivbestands von 140'000 Armeeangehörigen nötig wäre. Der Rest würde den Dienst im Katastrophenschutz leisten.
2. Modell Norwegen
Hier wären auch Schweizerinnen stellungspflichtig und müssten zur obligatorischen Orientierung einrücken. Zwar wären sie weiterhin nicht zum Armeedienst verpflichtet, sollten aber so eher motiviert werden, in Armee oder Zivilschutz Dienst zu leisten. Auch niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer könnten künftig freiwillig Dienst leisten. Einen Zivildienst im heutigen Sinn gäbe es nicht mehr. In Norwegen wurde diese Dienstpflicht 2014 eingeführt.
3. Einfache Bürgerinnen- und Bürgerdienstpflicht
Hierbei wären alle Schweizerinnen und Schweizer zum Dienst verpflichtet. Der Zivildienst würde durch Einsätze im Sozial-, Gesundheits- oder Umweltbereich ersetzt. Dort wären alle, die weder in der Armee noch im Zivilschutz eingeteilt werden. So könnten in diesen Bereichen sechsmal mehr Dienstpflichtige als heute eingesetzt werden.
4. Ausgebaute Bürgerinnen- und Bürgerdienstpflicht
Mit dieser Variante würde sich einiges ändern. Neu müssten alle Schweizerinnen und Schweizer in irgendeiner Form Dienst leisten. Es wird aber niemand dazu verpflichtet, diesen Dienst in Armee oder Zivilschutz zu leisten. Mögliche Dienste wären auch «politische Mandate auf Gemeindeebene, der Dienst in Feuerwehren, Ämter in Vereinen, Einsätze bei den Samaritern oder Verwendungen in Sportfunktionen». Um die Armee ausreichend bestücken zu können, sei man auf «Anreiz und Dienstattraktivität» angewiesen.
Von der Reform betroffen wären vor allem die Wählerinnen und Wähler der Jungparteien. Bei diesen kommen die Vorschläge unterschiedlich gut an.
Jungparteien uneins
Klar für einen Bürgerdienst ist Sarah Bünter (28). Schliesslich ist sie auch die Präsidentin der Jungpartei der Mitte – also von jener Partei, zu der auch die zuständige Verteidigungsministerin Viola Amherd (59) gehört. «Wir unterstützen eine Dienstpflicht für Mann und Frau, die breiter gedacht wird», sagt sie. Bünter verweist auf die Volksinitiative für einen «Service Citoyen», die im August lanciert werden soll und von ihrer Jungpartei unterstützt wird. Sie sei überzeugt, dass es kein Problem sei, mit der Steigerung der Attraktivität eines Einsatzes den Sollbestand der Armee und des heutigen Zivilschutzes aufrechtzuerhalten. «Das Ansehen einer Ausbildung in der Armee muss in Zukunft wieder einen anderen Stellenwert auch im Beruf erhalten.»
Skeptisch zeigen sich hingegen die Jungfreisinnigen von Präsident Matthias Müller (29): «Das bisherige Milizsystem, das richtigerweise sicherheitspolitisch ausgerichtet ist, hat sich bewährt», sagt er. Er sieht keinen Grund, davon Abstand zu nehmen.
Das wiederum sehen die Jungsozialisten ganz anders. «Aus unserer Sicht braucht es keine Ausweitung der Dienstpflicht, sondern eine Abschaffung», sagt Juso-Geschäftsleitungsmitglied Sandro Covo (24). Die Juso sei daher gegen alle vier Varianten. Auch gegen eine Bürgerdienstpflicht, «weil wir Zwangsarbeit ablehnen».
Die Junge SVP anerkennt die Personalprobleme bei Armee und Zivilschutz. Darauf sei der Fokus zu legen, betont JSVP-Generalsekretär Lukas-Fritz Hüppin (29).
Offiziere erschreckt
Im Mai hatte das VBS eine Konsultation zu den Vorschlägen durchgeführt. An einem Workshop wurden neben den Jungparteien Vertreter von Wirtschaft, Zivilgesellschaft und die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) orientiert. Allerdings: Die Armee sei dort auf wenig Verständnis gestossen, heisst es.
Viele stellten in Frage, dass die Armee ein Bestandesproblem hat. So heisst es in der Auswertung, dass abgesehen von der SOG «die Workshopteilnehmenden die zukünftige personelle Alimentierung von Armee und Zivilschutz nicht als Problem» wahrnehmen. «Das hat mich schon etwas erschreckt», sagt SOG-Präsident Stefan Holenstein.