Erste Umfragen zur Abstimmung am 25. September zeigen: Bei der Verrechnungssteuer ist die Sache wohl gelaufen. Und zwar zugunsten der Linken.
Zu diesem Schluss kommt Politologe Claude Longchamp (65).
Laut einem Tamedia-Bericht lehnen derzeit 51 Prozent der Befragten die Verrechnungssteuer ab. Der Ja-Anteil liegt bei tiefen 30 Prozent. Angesichts dieser Zahlen dürfte es für das bürgerliche Lager «fast unmöglich» sein, die Abstimmung noch zu gewinnen, analysiert Longchamp. Zwar habe die Kampagne zur Verrechnungssteuer noch nicht richtig begonnen. «Aber eine solch tiefe Zustimmung zu einer Behördenvorlage ist eigentlich tödlich.»
Worum geht es beim Referendum zur Verrechnungssteuer? Diese Frage dürften sich auch viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger stellen – schon darin zeigt sich, wie schwierig es für das Ja-Lager wird.
«Böse Grosskonzerne»
Vereinfacht gesagt, wollen die Bürgerlichen grosse Firmen ermutigen, Anleihen in der Schweiz statt im Ausland auszugeben. Dazu wollen sie die Verrechnungssteuer abschaffen, die heute auf den Ertrag inländischer Anleihen erhoben und dann rückerstattet wird. Davon würden – so die Befürworter – die Wirtschaft und damit indirekt auch die Steuerzahler profitieren.
Die Botschaft aus dem linken Lager ist simpler. SP und Gewerkschaften bekämpfen die Vorlage mit dem schmissigen Hinweis auf «Böse Grosskonzerne». Ihre Argumentation: Erhalten grosse Firmen Steuererleichterungen, ist am Ende der Steuerzahler der Gelackmeierte.
Diese Erzählung haben die Sozialdemokraten in der Vergangenheit erfolgreich etabliert. Mit ihrem Slogan «Nein zum Unternehmenssteuer-Bschiss» bekämpften sie 2017 die Unternehmenssteuerreform (USR) III.
Das «Bschiss»-Argument nahm Bezug auf die missglückte USRII, bei der sich im Nachhinein zeigte, dass sie weit höhere Steuerausfälle verursachte als die Behörden angegeben hatten.
Schwindende Sympathien für Grosskonzerne
Weil die Kampagne bei der folgenden USRIII so gut funktionierte – das Volk lehnte die Vorlage mit 59 Prozent ab – holten die Genossen das «Bschiss»-Argument im vergangenen Jahr erneut aus der Schublade. «Nein zum Stempelsteuer-Bschiss», hiess es vor der Abstimmung. Das Ergebnis: 63 Prozent Nein.
Dass für die Bürger gut ist, was den Unternehmen nützt, gilt nicht länger. Den Linken ist es gelungen, dieses jahrzehntelang dominierende Narrativ in sein Gegenteil zu verkehren – in der bürgerlich geprägten Schweiz eine kleine Sensation.
Dabei erhielten die Sozialdemokraten unerwartete Hilfe: Bonus-Exzesse von Topmanagern und Berichte über Menschenrechtsverletzungen liessen die Sympathien der Bevölkerung für Grosskonzerne beträchtlich schrumpfen.
Bürgerliche haben Vorlage schon abgeschrieben
Die Ausgangslage für die bürgerlichen Parteien von SVP bis GLP vor dem 25. September ist also eher ungemütlich. Hinzu kommt, wie es Claude Longchamp ausdrückt, ein «taktischer Fehler des Bundesrats». Der Politologe hält es aus Sicht der Behörden für einen Fehler, die komplizierte Vorlage zur Verrechnungssteuer gemeinsam mit der AHV-Reform an die Urne zu bringen. Longchamp: «Die AHV-Reform dominiert die Debatte. Da haben die Befürworter der Verrechnungssteuer kaum eine Chance, die Vorlage aufzudröseln und die Vorteile eines Ja zu erklären.»
Hinter vorgehaltener Hand geben auch bürgerliche Politiker zu, dass sie die Vorlage bereits abgeschrieben haben. Mitte-Ständerat Erich Ettlin (60) gehört nicht dazu. Der Steuerexperte gibt sich allerdings auch selbstkritisch, wenn er feststellt: «Wir haben es nicht geschafft, ein Gegennarrativ zu entwickeln zur linken Steuergeschenk-Debatte.»
Ettlin ist von den Vorteilen der Vorlage überzeugt. «Sie ist zielgerichtet und wäre wichtig für den Wirtschaftsstandort Schweiz.» Er stelle aber fest, dass – selbst in seinem bürgerlichen Umfeld – die Bürger vermehrt fragten, was für sie bei einer Abstimmung persönlich drinliege. «Wenn wir von den zusätzlichen Einnahmen zwei Milliarden für die AHV abgezwackt hätten, käme die Vorlage wohl durch», sagt der Obwaldner. Das Wohl des Gemeinwesens rücke zunehmend in den Hintergrund.
GLP-Wähler stehen Vorlage kritisch gegenüber
Von Aufgeben will auch GLP-Präsident Jürg Grossen (52) nichts wissen. Er hält das linke Narrativ von den bösen Grosskonzernen für «extrem schädlich»: «Unser Wohlstand beruht auf dem wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz», sagt der Berner Nationalrat, «da gehören auch mittlere und grosse Unternehmen dazu.»
Grossen ist überzeugt, dass die Abstimmung noch zu gewinnen ist. «Die Meinungen sind noch nicht gemacht», sagt er mit Verweis auf den grossen Anteil der Unentschlossenen, gegenwärtig rund 20 Prozent.
Allerdings zeigt die Tamedia-Umfrage auch: Sogar GLP- und Mitte-Wähler stehen der Vorlage skeptisch gegenüber. Derzeit lehnen 54 Prozent der GLP-Sympathisanten die Verrechnungssteuer ab; bei der Mitte sind es 52 Prozent. Zu einem Ja tendieren lediglich 29 beziehungsweise 33 Prozent. Das Steuer da noch herumzureissen, dürfte schwierig werden. Schwierig bis unmöglich.